zeigt sich, dass die autochthonen Sprecherinnen und Sprecher des Kurdischen zwar Kurdisch als ihre Muttersprache nennen, sie aber selbst abwertend einstufen, da sie für die Sprache in ihrer neuen Umgebung (Wien) außerhalb der Familie kaum kommunikative Funktionen oder Konvertierbarkeit erkennen. Sie empfinden sie selbst als nicht integrierbar oder nicht integrationswürdig. Diese Art der Selbstexklusion in Bezug auf die eigene Sprachkompetenz oder Verwendungsabsicht, die individuelle und gesellschaftliche Ambivalenz in der Bewertung des Nutzens oder die Einschätzung der vermeintlichen Nutzlosigkeit einer Sprache sowie die negative Einschätzung des Sprachstatus erzeugen damit negative Wirkungen auf den Erwerb, den Gebrauch und die Weitergabe einer Sprache an die nächste Generation, die oft nur in (folkloristischer) Literatur und Musik und durch eine Besinnung auf das kulturelle Erbe korrigiert werden.
c) Sprache und Milieu
Wie stark Integration und Sprachenkenntnisse zusammenhängen, zeigt am deutlichsten die Sinus-Studie (Migranten-Milieus in Deutschland) in einer differenzierten Milieulandschaft auf. Die insgesamt acht Migranten-Milieus unterscheiden sich in Bezug auf den sozialen Status und die damit verbundenen Wertvorstellungen, Lebensstile und ästhetischen Vorlieben, nicht aber auf Grund ethnischer Kriterien. Die Sinus-Studie kommt zu dem Schluss, Menschen des gleichen Milieus mit unterschiedlichem Migrationshintergrund, inklusive der autochthonen deutschsprachigen Milieus, verbinde mehr miteinander als mit dem Rest ihrer Landsleute aus anderen Milieus. Der Integrationsgrad in die Zielgesellschaft ist wesentlich von der Bildung und der sozialen Herkunft abhängig: Je höher das Bildungsniveau und je urbaner die Herkunftsregion, desto leichter und besser gelingt die Integration in die Aufnahmegesellschaft und desto besser ausgeprägt sind auch die sprachlichen Kompetenzen der entsprechenden Milieus. Die Ausbreitung transnationaler Lebensweisen und die Annäherung unterschiedlicher Kulturen durch neue Kommunikationsmedien und Transporttechnologien führt zu einem Bedarf an adäquaten transkulturellen und anderssprachlichen Kommunikationsmitteln (BeckBeck, Ulrich, Generation Global, 241) und damit zu einem erhöhten Bedarf an Mitteln und Strategien zur Integration in neue Diskursgemeinschaften. Diese Integration bedeutet entsprechend den Normen und Normenspielräumen der jeweiligen innergesellschaftlichen oder internationalen Diskursgemeinschaften Erwerb, Beherrschung und Gebrauch angemessener kommunikativer Kompetenzen.
d) Monolinguale Grundorientierung und Leitkultur
Der Versuch, den differenzierten, variantenreichen Bedarf an internationaler Kommunikation, der durch die Vielfalt der pragmatischen, interkulturell geprägten Konstellationen von Sprechern/Schreibern, Hörern/Lesern und Sachverhalten potenziert wird, durch eine Ausrichtung auf monolinguale Codes in Form einer Lingua Franca zu umgehen – etwa eine natürliche oder künstliche Leitsprachigkeit –, scheint zwar basale Kommunikationsbedürfnisse abdecken zu können, führt oft aber auch zu einer intellektuellen und linguakulturellen Verarmung. Mit monolingualen und monokulturellen Normen, wie sie mit dem Englischen als dominierender Sprache der Wissenschaft und Bildung gesetzt werden, ergibt sich de facto auch eine Beschränkung und eine Zensur multiperspektivischer Wissenspotentiale, also eine erzwungene Anpassung. Diese manifestiert sich etwa in einer international sehr verbreiteten Englisch-als-einzige-Fremdsprache-Politik in den Schulen, in wissenschaftsmethodisch und sprachlich restriktiven Publikationsnormen von Zeitschriften oder einer ›English-only‹-Gutachtenpolitik der wissenschaftlichen Förderinstitutionen. Bemerkenswert daran ist, dass eine auf Monolingualität und Monokulturalität reduzierte Internationalität im Gegensatz zur mehrsprachigen und mehrkulturellen Realität oft nicht den funktionalen Kommunikationsanforderungen genügt und ironischerweise nicht selten gerade von den prominenten Akteuren propagiert wird, die die internationale Varietät selbst nicht beherrschen oder sich in ihr nur unverständlich ausdrücken können. Bereits aus früheren Zeiten ist bekannt, dass internationale Verkehrssprachen wie das Arabische, das Griechische, das Lateinische, das Deutsche, das Russische oder andere Gelehrten- und Wissenschaftssprachen meist nur für eine begrenzte Dauer bestimmte Funktionen erfüllen, sich dann aber auch zunehmend entwicklungshemmend auf die Wissenschaften auswirken.
Das internationale Modell der monolingualen Leitsprachigkeit findet ihre Parallele auch im nationalen Integrationsdiskurs. Nach diesem reduktionistischen Modell wird in deutschsprachigen Ländern der Erwerb des Deutschen als Landes- und Verkehrssprache propagiert oder auch der Versuch unternommen, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern. Ähnlich verfahren andere Länder mit ihren Nationalsprachen. Auch im verfassungsrechtlich zweisprachigen Kanada sehen etwa die Einwanderungsbestimmungen in Québec vor, dass sich nur diejenigen Migranten dort niederlassen dürfen, die hinreichende Französischkenntnisse nachweisen können. Außerdem schreiben rigide Sprachgesetze vor, dass alle öffentlichen Beschilderungen, z.B. auch von Geschäften, in französischer Sprache abgefasst sein müssen. Nach diesem Modell der Leitsprachigkeit soll Französisch als Mehrheitssprache in einem anglophonen Umfeld als dominante Sprache im öffentlichen Sprachgebrauch festgeschrieben und gegen den unvermeidbaren Einfluss des Englischen von außen und den quantitativ geringen, aber ethisch und ethnisch anspruchsvollen Einfluss der Cree-Sprachen von innen (First Nations) verteidigt werden. Dieses Modell wird zwar dem gesellschaftlichen Bedarf nach einer gemeinsamen, integrativen Verkehrs- und Bildungssprache gerecht, limitiert aber die mögliche Wertschöpfung aus mehrsprachigem und mehrkulturellem Kapital. Das Beispiel Finnlands illustriert jedoch, dass es entgegen dieser allgemeinen Tendenz unterschiedlich assimilative Sprachenpolitiken gibt. Während in Finnland das Schwedische als Minderheitensprache trotz eines niedrigen Bevölkerungsanteils auf eine lange Fördertradition zurückblickt, wird das Russische als Migranten-, Minderheiten- und internationale Verkehrssprache trotz hoher Sprecherzahlen weitestgehend ignoriert (vgl. StolleStolle, Anne-Katrin, »Integrationspolitik und -praxis«, zu einer Charakterisierung der unterschiedlichen Sprachenpolitiken Frankreichs, Deutschlands und Schwedens in Bezug auf eine assimilative Ausrichtung).
Etwas anders ist dagegen das Modell mehrsprachiger Leitsprachigkeit, wie es unter anderem in vielen Ländern Afrikas praktiziert wird. Dort sind Länder mit vielen gleichberechtigten Nationalsprachen nichts Ungewöhnliches (zum Beispiel 11 in Südafrika und 10 in Nigeria, von 500 dort verwendeten Sprachen). Bemerkenswert an diesem System ist jedoch, dass trotz eines dynamischen Verständnisses von Mehrsprachigkeit im Alltag die Schulsysteme der Länder Subsahara-Afrikas die traditionellen Schulsprachen Französisch, Englisch oder Portugiesisch weitgehend immer noch als Leitsprachen so vermitteln, dass sie nur schwer eine Integration des mit ihnen vermittelten Wissens in die Sprachen der autochthonen Bevölkerung erlauben. Sie werden also gar nicht als Kommunikationsmittel behandelt, wie die autochthonen Sprachen, sondern als abstraktes, meist formbasiertes Sonderwissen vermittelt. Ein drittes Modell nutzt mehr oder weniger pidginisierte Mischsprachen aus indigenem Substrat und kolonialem Superstrat, die heute oft in einer Art Diglossie neben anderen Sprachen als Verkehrssprachen stehen, als Bildungs- und Hauptsprache und für wichtige integrative Funktionen in der Alltagskommunikation. Dazu gehören etwa das Hiberno English oder das African American Vernacular English oder stärker kreolisierte Sprachen wie das Unserdeutsch in Papua-Neuguinea, das Barbadian Creole, das Réunionnais, das Rural Guyanese und die Jamaican, Belize, Haitian Creoles (WinfordWinford, Donald, »Irrealis in Sranan«, 74).
Die Frage der erfolgreichen gesellschaftlichen Integration, so die Annahme bei allen Modellen, kann dabei vergleichsweise einfach an der angemessenen Beherrschung der politisch gewünschten zielsprachlichen Haupt-Varietät(en) abgelesen werden. Folglich werden in Deutschland die mit viel Aufwand betriebenen Integrationskurse mit dieser Zielsetzung begründet und nicht die Aus- und Weiterbildung mehrsprachiger Bürger als primäre Ziele anerkannt. Gesetzliche Regelungen und Prüfungen zu Minima von Kenntnissen der Zielsprache werden daraufhin als Vorbedingung für die Einwanderung festgelegt. Bei Nichterfüllung dieser Anforderungen werden (nicht nur in Deutschland) in der Regel Zuwanderung und Arbeitserlaubnis verweigert sowie soziale Integrationsmöglichkeiten vorenthalten. Bemerkenswerterweise gilt das im Kontext der eingangs dargestellten fehlverstandenen Orientierung auf das Englische als internationaler Norm nicht in gleichem Maße für Migranten aus englischsprachigen Ländern, wie es die Befragungsstudie des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigt (Heß,Heß, Barbara Zuwanderung von Hochqualifizierten). Nicht selten führen aber restriktive politische Normierungen in Bezug auf die Leitsprachigkeit gerade nicht zu integrativen Effekten,