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Literatur und Mehrsprachigkeit


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Südafrika, der sich 1976 daran entzündet hat, dass Afrikaans als einzige Bildungssprache verordnet wurde, obwohl es von großen Teilen der Bevölkerung nicht gesprochen wurde (Afrikaans Medium Decree).

      e) Zur integrativen Wirkung der Literatur

      Ethnolekte bilden sich als Gruppensprachen in einer fremdsprachigen Umgebung. Sie korrespondieren nicht mit den leitsprachigen Integrationsprinzipien, weil sie eine Distanz zur Leitsprache darstellen oder markieren sollen. Das Beispiel der Kanaksprak1Zaimoglu, Feridun und des Kiezdeutsch (WieseWiese, Heike/FreywaldFreywald, Ulrike/MayrMayr, Katharina, Kiezdeutsch as a Test Case, 2; WieseWiese, Heike, Kiezdeutsch) zeigt jedoch, wie ein Ethnolekt sich über die sprachkünstlerische Verdichtung zu einem Medium der Integration entwickeln kann. Die Kanaksprak lehnt sich an den Ethnolekt junger Türken an und ist als »Nachdichtung« von Adelbert von Chamisso-Preisträger Feridun ZaimogluZaimoglu, Feridun als Literatursprache geschaffen und damit einer größeren Zielgruppe zugänglich gemacht worden. Aus dem primären Ethnolekt (Kiezdeutsch) unterschiedlicher grammatischer Ausprägungen bildeten sich in der Folge sekundäre und tertiäre Formen, die mittlerweile vor allem als literarische und kabarettistische Varietäten weit über die ursprüngliche Nutzergruppe hinaus verwendet werden. Als Gruppencode sind diese Varietäten inzwischen aber auch unter vielen deutschen Jugendlichen verbreitet, die ansonsten mit dem Türkischen kaum Kontakt haben und sich damit von der Mehrheitssprache der Elterngeneration desintegrieren wollen. Zwar beherrschen die Jugendlichen neben dem politisch inkorrekten Kiezdeutsch in der Regel auch Standarddeutsch und weitere Sprachen, aber das Kiezdeutsch dient als In- oder Gruppensprache, die damit auch nicht-integrierenden Sprechern der Mehrheitssprache Möglichkeiten der Integration in die markierte Außenseitersprache gibt. Diese Beobachtungen zeigen, wie Sprecher mit der Sprache ihre Rolle in der sozialen Interaktion konstruieren und diese an ihre Gesprächspartner und die Außenwelt kommunizieren. Pia QuistQuist, Pia und Normann JørgensenJørgensen, Normann J. (»Bilingual children in monolingual schools«, 386) zeigen am dänischen Äquivalent des Kiezdeutschen, dass diese Rollenmarkierungen wechseln können und dabei selbst die ›most monolingual speakers‹ Code-Wechsel betreiben. Dieser Wechsel muss nicht situativ oder kontextuell, sondern kann auch metaphorisch sein, und die soziale Konstruktion kann ihren Ausdruck in unterschiedlicher sprachlicher Form finden. Sie kann durch syntaktische, morphologische oder phonetische Registermarkierungen unterstützt werden. QuistQuist, Pia/JørgensenJørgensen, Normann J. (»Bilingual children in monolingual schools«) illustrieren dies am Wechsel von einem labio-dentalen /w/ zu einem dentalen Verschlusslaut /v/ in dänischer Jugendsprache, durch die eine Kiezsprachen-ähnliche Identitätskonstruktion entsteht. Auch Peter AuerAuer, Peter und Inci DirimDirim, Inci (»Socio-cultural Orientation«) zeigen in ihrer Studie, wie Jugendliche in Hamburg Strategien zur Identitätskonstruktion und Markierung von Gruppenzugehörigkeiten verwenden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die aus einer der beteiligten Sprachen entlehnten Elemente reale Wörter oder Chunks dieser Sprache sind. Sie können auch als Anlehnungen an diese Sprachen zur Markierung der Fremdsprachigkeit oder eines Identifizierungs- oder Distanzverhältnisses zu einer Sprache verwendet werden. Damit können sich Sprecher von dieser Sprache oder von einer Gruppe abgrenzen, der diese Sprache zugeordnet wird, zum Beispiel indem sie sich über die Sprache lustig machen (vgl. HinnenkampHinnenkamp, Volker, »Mixed Language Varieties of Migrant Adolescents«). Normann JørgensenJørgensen, Normann J. (»Languaging and Languagers«) nennt dieses Verfahren »Languaging« und Bernhard WächliWächli, Bernhard (Relexicalization vs. Relexification) bezeichnet den Vorgang der Neu- oder Umbenennung mittels fremdsprachiger Elemente in Anlehnung an Kreolisierungsprozesse der Relexifizierung vs. Relexicalisation. Auch als Foreignizing kann dieses Verhalten bezeichnet werden. Gerade die Genese und Dynamik der Kanaksprak belegt entgegen der Priorisierung von Leitsprachigkeit den weitreichenden, integrativen und innovativen Einfluss von Mehrsprachigkeit auf die ›Mehrheitssprache‹.

      Literatur

      Auer, PeterAuer, Peter/Inci DirimDirim, Inci, »Socio-cultural Orientation, Urban Youth Styles and the Spontaneous Acquisition of Turkish by non-Turkish Adolescents in Germany«, in: Jannis K. AndroutsopoulosAndroutsopoulos, Jannis/Alexandra GeorgakopoulouGeorgakopoulou, Alexandra (Hrsg.), Discourse Constructions of Youth Identities, Amsterdam 2003, S. 223–246.

      Beck, UlrichBeck, Ulrich (Hrsg.), Generation Global. Ein Crashkurs, Frankfurt/M. 2007.

      Bohn, CorneliaBohn, Cornelia/Alois HahnHahn, Alois, »Pierre BourdieuBourdieu, Pierre (1930–2002)«, in: Dirk KäslerKäsler, Dirk (Hrsg.), Klassiker der Soziologie, München 2007, S. 289–310.

      Brizić, KatharinaBrizić, Katharina, »Ressource Familiensprache. Eine soziolinguistische Untersuchung zum Bildungserfolg in der Migration«, in: Karen SchrammSchramm, Karen/Christoph SchroederSchroeder, Christoph (Hrsg.), Empirische Zugänge zu Sprachförderung und Spracherwerb in Deutsch als Zweitsprache, Münster 2009, S. 23–42.

      Heß, BarbaraHeß, Barbara, Zuwanderung von Hochqualifizierten aus Drittstaaten in Deutschland. Ergebnisse einer schriftlichen Befragung. Working Paper 28 des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg 2009.

      Hinnenkamp, VolkerHinnenkamp, Volker, »Mixed Language Varieties of Migrant Adolescents and the Discourse of Hybridity«, in: Journal of Multilingual and Multicultural Development 24.1/2 (2003), S. 12–40.

      Jørgensen, Normann J.,Jørgensen, Normann J. »Languaging and Languagers«, in: Christine B. DabelsteenDabelsteen, Christine B./ders. (Hrsg.), Languaging and Language Practicing, Copenhagen 2004, S. 5–22.

      List, GudulaList, Gudula, »Eigen-, Fremd- und Quersprachigkeit: psychologisch«, in: Frank KönigsKönigs, Frank/Karl-Richard BauschBausch, Karl-Richard/Hans-Jürgen KrummKrumm, Hans-Jürgen (Hrsg.), Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts, Tübingen 2004, S. 132–138.

      Quist,Quist, Pia Pia/Normann J. JørgensenJørgensen, Normann J., »Bilingual Children in Monolingual Schools«, in: Peter AuerAuer, Peter/Li WeiWei, Li (Hrsg.), Handbook of Multilingualism and Multilingual Communication, New York 2009, S. 155–173.

      Sinus-Institut Sociovision (Hrsg.), Migranten-Milieus in Deutschland. Studie über die soziale Eingliederung und Arbeitsmarktintegration ethnischer Minderheiten, 2008. URL: http://www.sinus-institut.de/veroeffentlichungen/downloads/download/migranten-milieus-in-deutschland/download-file/131/download-a/download/download-c/Category/ (Stand: 8.2.2016).

      Stolle, Anne-KatrinStolle, Anne-Katrin, »Integrationspolitik und -praxis im europäischen Vergleich. Theoretische Diskussion und Darstellung anhand exemplarischer Gesetze und bildungspolitischer Richtlinien«, in: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 18.1 (2013), S. 146–164.

      Wächli, BernhardWächli, Bernhard, Relexicalization vs. Relexification: The Case of Stadin Slangi Finnish. Manuskript, Leipzig 2005.

      Wandruszka, MarioWandruszka, Mario, Die Mehrsprachigkeit des Menschen, München 1981 [1979].

      Wiese, HeikWiese, Heikee, Kiezdeutsch. Ein neuer Dialekt entsteht, München 2012.

      Wiese, HeikeWiese, Heike/Ulrike FreywaldFreywald, Ulrike/Katharina MayrMayr, Katharina, Kiezdeutsch as a Test Case for the Interaction between Grammar and Information Structure, Potsdam 2009.

      Winford, DonaldWinford, Donald, »Irrealis in Sranan: Mood and Modality in a Radical Creole«, in: Journal of Pidgin and Creole Languages 15.1 (2000), S. 63–125.

      5. Ethik der Mehrsprachigkeit

      Arvi Sepp

      a) Ethik und Mehrsprachigkeit

      Die Welt als sinnhaltiger Ort ist immer zeichenhaft und dabei insbesondere sprachlich vermittelt. Die Andersartigkeit der Anderen in der Welt auf dem Weg über Zeichenprozesse