Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart, Berlin/New York 2010, S. 419–469.
Siebs, TheodorSiebs, Theodor (Begr.), Deutsche Aussprache. Reine und gemäßigte Hochlautung mit Aussprachewörterbuch, hrsg. v. Helmut de BoorBoor, Helmut de/Hugo MoserMoser, Hugo/Christian WinklerWinkler, Christian, Berlin 191969.
Sieburg,Sieburg, Heinz Heinz, »Zur Problematik des generischen Maskulinums. Positionen und kritische Analyse«, in: Ders. (Hrsg.), ›Geschlecht‹ in Literatur und Geschichte. Bilder – Identitäten – Konstruktionen, Bielefeld 2015, S. 211–240.
2. ›Heilige Sprachen‹, Weltsprachen, Lingua Franca
Heinz Sieburg
Unter anderen zählt die numerische Stärke von Sprachen zu den soziolinguistisch relevanten Differenzkriterien. Unterschieden wird dabei meist zwischen der Zahl der Muttersprachler und Fremdsprachler bzw. der zahlenmäßigen Größe als Erstsprache oder Zweitsprache. Entsprechende Statistiken sind aufgrund unvermeidlicher methodischer Probleme stets kritisch zu betrachten und weisen eine teilweise erhebliche Schwankungsbreite in Hinblick auf die dargestellten Quantitätsverhältnisse auf. Gravierende Abweichungen bestehen bereits in Bezug auf die Quantifizierung der Sprachen dieser Welt. Hier schwanken die Angaben – je nach Zählung – zwischen 2.500 und 10000. Als ›Weltsprachen‹ kommen davon nur ganz wenige in Betracht. Dabei gilt, dass der Begriff der Weltsprache linguistisch nicht einheitlich definiert ist, sondern, abhängig von den jeweils zugrunde gelegten Kriterien, variabel verwendet wird.
Die überwiegende Mehrzahl aller Sprachen ist an kleine und kleinste Sprachgemeinschaften gebunden. Nach einigen Zählungen (KönigKönig, Werner/ElspaßElspaß, Stephan/MöllerMöller, Robert, dtv-Atlas Deutsche Sprache, 37) haben nur 88 Sprachen mehr als 10 Millionen und nur 8 Sprachen mehr als 100 Millionen muttersprachliche Sprecher. Wie belastbar derlei Zählungen im Einzelnen sind, sei dahingestellt. Die Kernaussage, dass nur wenige Sprachen numerisch exponiert sind, ist dagegen zweifellos richtig. Diese werden oft in Ranglisten vorgestellt, die allerdings wiederum eine erhebliche Variabilität zeigen, begründet zum einen durch dynamische demografische Entwicklungen in einzelnen Sprachgemeinschaften, zum anderen aber auch dadurch, dass mitunter statt auf belastbare Datenerhebungen auf grobe Schätzungen zurückgegriffen werden muss.
Für die Stellung einer Sprache als Weltsprache spielen Größenverhältnisse eine entscheidende Rolle, mitunter wird allein das Frequenzmerkmal als Kriterium für eine Weltsprache herangezogen: »Weltsprachen sind also die meistgesprochenen Sprachen der Welt.« (http://www.weltsprachen.net/ [Stand: 10.1.2016]) Eine aktuelle Rangfolge vermittelt die Übersicht in Abbildung 1.
Die Grafik verdeutlicht, dass auch im Vergleich der weltweit größten Sprachen extreme Quantitätsunterschiede bestehen. So umfasst das hier an Position 12 platzierte Koreanische nur etwa rund 1,2 % des auf Position 1 rangierenden Englischen. Erkennbar wird zudem, wie sehr sich Sprachen in Hinblick auf die Relation der Erstsprache zur Zweit-/Fremdsprache unterscheiden.
Die Stärke einer Sprache allein auf die Zahl ihrer Sprecher zu stützen, verstellt jedoch den Blick auf eine Reihe weiterer Kriterien, die ebenfalls maßgeblich für die Position einer Sprache im Sinne einer Weltsprache sein können. Relevant sind insbesondere die geografische Verteilung einer Sprache, ihre internationale Verbreitung als Amtssprache, ihre Funktion als Arbeitssprache in der internationalen Kommunikation sowie, nach HaarmannHaarmann, Harald (Weltgeschichte der Sprachen, 342), ihr »globales Prestige als Modernitätsikon[e]«. Wichtige flankierende Kriterien hierbei sind die politische, ökonomische, wissenschaftliche oder kulturelle Stärke der zugrundeliegenden Sprachgemeinschaft.
Weltsprachen in diesem Sinne zeichnen sich durch eine besonders große ›kommunikative Reichweite‹ bzw. internationale Verbreitung aus. Weltsprachen können so zum Instrument übereinzelsprachlicher globaler Kommunikationsbewältigung werden. Funktional sind sie hierbei als Verkehrssprache (Lingua Franca) zu bezeichnen, da sie die durch Sprachdifferenz bedingten Sprachbarrieren überwinden und somit einen kommunikativen Austausch (Verkehr) in einem größeren mehrsprachigen Raum ermöglichen. In diesem Sinne ist das Arabische beispielsweise Lingua Franca im arabisch-nordafrikanischen Raum oder Französisch in der Frankophonie.
Unter den Voraussetzungen globaler Verbreitung sind eine Reihe der oben aufgelisteten Sprachen jedenfalls nicht Weltsprachen im engeren Sinne. So zählt das Deutsche zwar zu den zahlenmäßig großen Sprachen, Deutsch ist zugleich international verbreitet (Amtssprache in sieben Ländern, mit insgesamt rund 87,5 Mio. Muttersprachlern und ca. 8,5 Mio. Fremdsprachlern; vgl. AmmonAmmon, Ulrich, Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt [2015], 170) und zudem eine weit verbreitete Fremdsprache. Dennoch ist hier die Bezeichnung Weltsprache aufgrund der weitgehenden (monopolaren) Beschränkung auf einen Raum (Europa) problematisch. Im engeren Sinne sind damit nur Englisch, Spanisch, Französisch und Portugiesisch, unter besonderen Voraussetzungen auch Arabisch und Russisch, als Weltsprachen anzusehen.
Voraussetzung für die Etablierung von (neuzeitlichen) Weltsprachen war in der Regel die Kolonialisierung außereuropäischer Gebiete/Länder durch europäische Mächte und die damit einhergehende Implementierung und Ausbreitung der Kolonisatoren-Sprachen. Diese bestehen als Amtssprache nach Beendigung der Kolonialzeit in den ehemaligen Kolonien häufig fort. Ein Grund hierfür kann in ihrer Funktion gesehen werden, die oft unterschiedlichen lokalen Sprachen im Sinne einer nationalen Lingua Franca zu überdachen. Heute ist Französisch weiterhin Amtssprache in zahlreichen Ländern Afrikas, während Spanisch und Portugiesisch in Südamerika verbreitet geblieben sind.
Wenngleich das Chinesische die mit Abstand größte Muttersprache ist, hat sich das Englische inzwischen als die eigentliche Weltsprache und damit als »die lingua franca, die Verkehrssprache schlechthin« (LeitnerLeitner, Gerhard, Weltsprache Englisch, 8) etabliert. Aufgrund der voraussehbaren Entwicklung zu einem vom Großteil der Menschheit gleichermaßen verwendeten Kommunikationsmittel ist hier auch die Bezeichnung Universalsprache angemessen. Die exponierte Stellung des Englischen basiert politisch auf der globalen Ausdehnung des (ehemaligen) Englischen Empires und dem seit dem 20. Jahrhundert zunehmenden Einfluss der USA, sprachpraktisch aber insbesondere auch auf den mit der zunehmenden Globalisierung und digitalen Vernetzung einhergehenden Kommunikationserfordernissen. Englisch dominiert in Hinblick auf den Status als Amtssprache, wenngleich auch hier die Zahlenangaben, je nachdem, wie abhängige Gebiete gezählt werden, erheblich schwanken können. Gemäß Fischer Weltalmanach ’97 fungiert Englisch in 48 Ländern als solo- oder ko-offizielle Amtssprache.
Abb. 1: Die meistgesprochenen Sprachen weltweit (Muttersprachler und Sprecher in Millionen
(Quelle: http://de.statista.com/graphic/1/150407/die-zehn-meistgesprochenen-sprachen-weltweit.jpg [Stand: 10.1.2016])
Im Vergleich hierzu ist Französisch Amtssprache in 27 Ländern, Arabisch in 23, Spanisch in 20, Portugiesisch und Deutsch in jeweils 7 und Italienisch in 4 Ländern (nach AmmonAmmon, Ulrich, »Die Stellung der deutschen Sprache in der Welt« [2003], 347). Auch in ökonomischer Hinsicht, etwa in Bezug auf das ›Handelsvolumen der Muttersprachgemeinschaften weltweit‹, rangiert das Englische an erster Stelle, deutlich vor Deutsch und Französisch (vgl. ebd., 347). Englisch dominiert zugleich als die weltweit am meisten erlernte Fremdsprache (bei stark schwankenden Größenangaben). Bezogen auf Deutschland geben gemäß einer repräsentativen Allensbach-Umfrage von 2008 insgesamt 98 % der Befragten an, Englisch sei die wichtigste Fremdsprache bzw. solle in der Schule vor allem gelernt werden (HobergHoberg, Rudolf/Eichhoff-CyrusEichhoff-Cyrus, Karin M./SchulzSchulz, Rüdiger, Wie denken die Deutschen, 36). Zudem ist das Englische die am weitesten verbreitete Verkehrssprache in zahlreichen internationalen Organisationen wie UNO, NATO, EU oder ASEAN. Auch als Wissenschaftssprache hat sich das Englische im Verlauf des letzten Jahrhunderts, vor allem der letzten Jahrzehnte, – unter Zurückdrängung anderer Wissenschaftssprachen wie Deutsch,