Pauline Weiß

Die innere Struktur der DP in den altindogermanischen Artikelsprachen


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freistehende und der suffixale Artikel stehen in der Regel nicht gemeinsam in einer Phrase, d.h. entweder determiniert der vorangestellte oder der nachgestellte.3 Der suffixale Artikel wird stets an ein Substantiv postponiert, wenn dieses ohne attributives Adjektiv steht. Dabei flektiert sowohl das Substantiv als auch der enklitische Artikel; vgl.

      (9) anord. 7.36.19

hǫnd-ina
Hand.Subst.-die.Art.
Akk.Sg.f.
‚die Hand‘

      Der präponierte Artikel steht immer, wenn ein Substantiv durch ein attributives Adjektiv modifiziert wird. Dabei steht der Artikel stets vor dem Adjektiv; vgl.

      (10) anord. 18.58.20–21

inar efri gǫtur
der.Art. hoch.Adj.Komparativ Weg.Subst.
Akk.Pl.f. Akk.Pl.f. Akk.Pl.f.
‚den höheren Weg‘

      Die altnordischen Adjektive verfügen über eine starke und eine schwache Flexion. Treten sie kombiniert mit einem freistehenden Artikel auf, flektieren sie, wie im Deutschen, immer schwach. Der freistehende Artikel des Altnordischen erscheint nie vor einem Substantiv, er kann nur vor einem schwachen Adjektiv stehen. In wenigen Fällen ist er auch vor Kardinalia zu finden. Der enklitische Artikel hingegen wird immer mit einem Substantiv, das grundsätzlich stark flektiert, ohne attributives Adjektiv kombiniert. Dies legt die Vermutung nahe, dass es etwas mit der „Schwere“ der Elemente zu tun haben könnte. Der enklitische Artikel kann als syntaktisch leicht interpretiert werden, da er sonst nicht an andere Elemente antreten könnte. In der Regel tritt er an Substantive an, die somit als schwer gelten können. Die altnordischen Adjektive müssen demgegenüber leicht sein und benötigen einen schweren Artikel als Ausgleich.

      Eine Ausnahme hierzu bilden lediglich Pronominaladjektive. Diese besitzen ausschließlich die starke Flexion. Daher erscheint statt des freistehenden der enklitische Artikel am Substantiv; vgl.

      (11) anord. 2.26.20

allan dal-inn
ganz.PronAdj. Tal.Subst.-das.Art.
Akk.Sg.m. Akk.Sg.m.
‚das ganze Tal‘

      Des Weiteren wird der präponierte Artikel verwendet, wenn ein Adjektiv substantiviert wird. Auch hier flektiert das Adjektiv schwach; vgl.

      (12) anord. 2.26.14

inn yngri
der.Art. jünger.Adj.Komparativ
Nom.Sg.m. Nom.Sg.m.
‚der Jüngere‘

      Der Artikel dient, wie man am letzten Beleg sieht, dazu, etwas von etwas anderem oder jemanden von einem zweiten zu unterscheiden. Dies gilt besonders für die altnordische Prosa.4 Diese Art der Unterscheidung wird ebenso in Phrasen mit Numerale deutlich; vgl.

      (13) anord. 9.40.13

inn þriði
der.Art. dritter.Ord.
Nom.Sg.m. Nom.Sg.m.
‚der Dritte‘

      Der definite Artikel kann ferner mit einem Demonstrativpronomen kombiniert werden. Wie das Beispiel zeigt, kongruieren alle Elemente der Phrase; vgl.

      (14) anord. 9.41.21

inn gamli maðr
dieser.DemPron. der.Art. alt.Adj. Mann.Subst.
Nom.Sg.m. Nom.Sg.m. Nom.Sg.m. Nom.Sg.m.
‚der alte Mann‘

      Heusler (1967) schreibt zu derartigen Fällen, dass „… die erbliche Deixis des enn durch aufgefrischt wird; …“5 Es liegt also eine Verstärkung der Deixis vor. Gleichzeitig könnte dies daraufhin deuten, dass der Artikel bereits anfängt, die Funktion der ererbten Deixis, wie Heusler (1967) sagt, einzubüßen. Möglich sind auch Phrasen aus dem Demonstrativpronomen und dem postponierten Artikel. In der Saga wurde ein derartiger Beleg jedoch nicht gefunden.

      Die Hauptfunktion der altnordischen Artikel liegt also nicht (mehr) in der Markierung von Deixis, sondern in der Determination, die nur schwache Deixis impliziert. Der Artikel kreiert somit eine referentielle Einheit, die auf etwas eindeutig Identifizierbares verweist. In den modernen skandinavischen Sprachen kann der enklitische Artikel optional gesetzt werden, wenn eine generische Lesart der Subjekts-DP vorliegt. Doch wenn nur eine spezifische, i.e. referentielle Lesart der Subjekts-DP möglich ist, muss der enklitische obligatorisch verwendet werden.6 Die Funktion des postponierten Artikels liegt also in der individuellen Referenz. Die Funktion des freistehenden Artikels liegt darin, die Referenz des Bezugswortes überhaupt zu ermöglichen. Diese Charakteristik der modernen Sprachen kann ebenso für das Altnordische angenommen werden.

      Zur Frequenz der Verwendung ist abschließend zu sagen, dass der Artikel im Altnordischen eher selten genutzt wird. So fehlt er auch oft an Nomen, die etwas Bekanntes denotieren. Der bestimmte Artikel ist im Altnordischen demnach noch kein obligatorischer Marker der DP, sondern noch in seiner Entwicklung begriffen.

      I.6.5 Zum armenischen Artikel

      Der altarmenische Artikel besitzt die Formen arm. -s, -d und -n. Es handelt sich hierbei um enklitische Morpheme, die stets an ihr Bezugswort suffigiert werden. Der Artikel ist in seiner Form unveränderlich. Er wird also nicht dekliniert und kann demnach weder Kasus noch Numerus anzeigen.1

      Innerhalb des Armenischen leitet sich der Artikel von den drei Demonstrativstämmen (-)s(-), (-)d(-) und (-)n(-) ab. Mittels dieser Stämme werden nicht nur der enklitische Marker, sondern auch die adnominalen Demonstrativpronomina (arm. ays, ayd, ayn ‚der dort, jener‘), die anaphorischen Demonstrativa (arm. sa, da, na ‚er, der, jener‘), die Identitätspronomina (arm. soyn, doyn, noyn ‚derselbe‘) und schließlich das Korrelativ (arm. ayspisi, aydpisi, aynpisi ‚solcher‘) gebildet. Syntaktisch erfüllen die Pronomina und der Artikel allerdings verschiedene Aufgaben.

      Die