Bernhard Pöll

Spanische Lexikologie


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       LEHMANN, Alise/MARTIN-BERTHET, Françoise (42013): Introduction à la lexicologie. Paris: Colin.Den Autorinnen zufolge sind die “domaines constitutifs” der Lexikologie die “sémantique lexicale” (lexikalische Semantik) und die “morphologie lexicale” (Wortbildung). Dem entspricht die Zweiteilung des Buches, wie sie in der Erstauflage (1998) vorgenommen wurde. Spätere Auflagen beinhalten auch ein umfangreiches Kapitel zur Lexikographie des Französischen. Im Bereich der Semantik werden auch neuere Ansätze (Prototypen, Stereotypen) behandelt.

       HARM, Wolfgang (2015): Einführung in die Lexikologie. Darmstadt: WBG.Auf etwas mehr als 160 Seiten werden in diesem germanistisch ausgerichteten Band – wie auch in anderen Werken vom Konzept Wort ausgehend – die Form- und Inhaltsseite des Wortschatzes (Wortbildung und Modelle der Bedeutungsbeschreibung), Sinnrelationen zwischen Wörtern (paradigmatisch und syntagmatisch), die diasystematische Schichtung des Wortschatzes und der lexikalische Wandel sowie die Lexikographie behandelt.

      Wir haben vorläufig als Gegenstand der Lexikologie den Wortschatz und seine vielfältigen Strukturierungen genannt. Intuitiv kann sich jeder etwas darunter vorstellen, weil dieser Begriff auch zur Alltagssprache gehört: Man hat einen großen, reichen, kleinen, differenzierten Wortschatz, etwas gehört nicht zu unserem aktiven Wortschatz, manche Wörter gehören überhaupt nicht zu unserem Wortschatz – oder zumindest behaupten das manche, um die Sprachreinheit besorgte Beobachter –, wenn es sich nämlich um Fremdwörter handelt.

      Mit dieser alltagssprachlichen Verwendung ist nur ein Teil, wenngleich ein sehr wichtiger, des Interesses der Lexikologie abgedeckt, nämlich der individuelle Sprachbesitz wie er sich in Form von Wörtern und dem damit verbundenen semantischen, phonetisch-phonologischen, syntaktischen und pragmatischen Anwendungswissen manifestiert.

      Um die damit nicht beschriebenen Bereiche zu umreißen, kommen wir nicht umhin, einen zusätzlichen, in hohem Maße mehrdeutigen (= polysemen) Begriff einzuführen: Lexikon.

      Damit meinen wir

      1 in Bezug auf die Sprache: den Wortschatz in Opposition zur Grammatik. Wer z.B. eine Fremdsprache lernt, eignet sich in diesem Sinne einerseits Lexikon und andererseits grammatische Regeln (= Grammatik) an.5

      2 in Bezug auf das Individuum: lexikalische Kompetenz im Sinne der Fähigkeit zur Rezeption und Produktion. In der kognitiven Linguistik und in der Psycholinguistik spricht man vom mentalen Lexikon als dem Sitz dieser Kompetenz.

      3 im Rahmen einer Sprachtheorie: eine Komponente des Sprachsystems in Form eines Inventars von Einheiten, auf das phonologische und syntaktische Regeln angewandt werden.

      4 das konkret vorliegende, aufgrund von im Vorhinein fixierten Kriterien erstellte Inventar, d.h. ein Wörterbuch. Je nach Ausrichtung handelt es sich eher um ein Sprachwörterbuch oder um ein Sachwörterbuch, das Informationen zu den von den Wörtern bezeichneten Sachen angibt (cf. Lutzeier 1999, 16).6

      In der weiter unten stehenden Tabelle versuchen wir, diese komplexe terminologische Situation wieder aufzulösen. Was darin als getrennt erscheint, wird in der Praxis jedoch häufig nicht so scharf geschieden.

      Lag in der strukturalistisch geprägten Lexikologie das Hauptinteresse auf dem Lexikon 3, so haben sich seit den 1970er Jahren deutliche Verlagerungen ergeben: Die zentralen Bereiche der Lexikologie hängen heute am Lexikon 2 und Lexikon 3. Mit der sog. kognitiven Wende der 1960er und 1970er Jahre trat das mentale Lexikon als Erkenntnisobjekt neben das modelllinguistische Lexikon (= Lexikon 3).

Objektbereich Lexikon 1 (auch: Wortschatz) Lexikon 2 (auch: mentales Lexikon) Lexikon 3 (auch: Lexik) Lexikon 4 (auch: Wörterbuch)
Element Wort (oder größere Einheit, z.B. Redewendung) Wort (oder größere Einheit, z.B. Redewendung) Lexem (und seine Komponenten) Wörterbucheintrag (auch: Lemma)
Reihenfolge bzw. Struktur der Anordnung der Elemente ? theorieabhängig abhängig von Konzeption (alphabetisch, nach Lautung etc.)
Status schriftlich, mündlich mental theoretisch klassifiziert und beschrieben schriflich fixiert, definiert
Rolle des Elements Bestandteil einer Zeichenkette Komponente eines (individuellen) Reservoirs Komponente eines (überindividuellen) Reservoirs Komponente eines Reservoirs
wissenschaftliche Prozeduren Erforschung der Struktur, der Art des Zugriffs usw. Deskription Deskription und/oder Kodifikation
Abhängigkeit des Objektbereiches nach Umfang und Struktur von Lernprozess und Sprachbeherrschung von einer bestimm-ten Sprachtheorie von benutzerabhängigen Zielvorgaben
wissenschaftliche Disziplinen u.a. Sprachdidaktik, Lexikologie Psycho-/Neurolinguistik, kogn. Linguistik, Spracherwerbsforschung, Lexikologie theoretische Lin-guistik, Semantik, Terminologie, Lexikologie Metalexikographie, Lexikographie, Terminographie

      1.2 Exkurs: Zum Begriff des mentalen Lexikons

      Faktisch liefert das mentale Lexikon – über den Wortschatz, der uns in geschriebenen und gesprochenen Texten entgegentritt – das Material für linguistische Theoriebildung und den Versuch, Strukturen des Wortschatzes (= Lexikon 3) aufzudecken. Die von der Lexikologie entdeckten Strukturen (siehe Kapitel 4) sollten sich im Idealfall mit jenen des mentalen Lexikons decken. Das Fragezeichen in der Tabelle soll andeuten, dass damit eine große Unbekannte angesprochen ist, denn es bleibt trotz unzähliger empirischer Untersuchungen weitgehend eine black box, wenngleich seit vielen Jahren hoher Forschungsaufwand dazu betrieben wird. Die relevanten Disziplinen für die Erforschung des mentalen Lexikons und damit in Zusammenhang stehender Fragen der menschlichen Sprachverarbeitung sind neben der Linguistik i.e.S. vor allem die Psychologie sowie die Psycho- und Neurolinguistik.

      Die folgenden Ausführungen gelten heute als einigermaßen gesicherte Erkenntnisse über das mentale Lexikon:

      1 Man darf sich das mentale Lexikon als jenen “Teil unseres Langzeitgedächtnisses vorstellen, in dem das Wissen über alle Wörter einer Sprache gespeichert ist” (Schwarz 1992, 70), allerdings sind Konzepte und Wortformen wahrscheinlich getrennt gespeichert. Diese Sicht wird durch zahlreiche Erkenntnisse der Erstspracherwerbsforschung und der Psycho- bzw. Neurolinguistik (z.B. Priming-Experimente, cf. Rummer/Engelkamp 2005) gestützt. So erwerben z.B. Kinder Konzepte von Quantität oder räumlichen Dimensionen, bevor sie sie versprachlichen können. Alltägliche Erscheinungen wie das “tip of the tongue”-Phänomen, bei dem zwar das Konzept, aber nicht die dazugehörige Wortform präsent ist, weisen ebenfalls in diese Richtung. Auch der Umstand, dass wir mental Kategorien bilden, bevor wir sie