zuschreiben, da sie Ausgangspunkt für die Flexion (z.B. colgamos) und auch die Derivation (z.B. colgadura) ist. Andererseits kommt sie nicht in allen flektierten Formen vor, was dazu verleiten könnte, sie als Teil der Endung anzusehen (z.B. cuelgo, cuelguen). Bleiben noch zwei weitere Fragen: (a) Wie ist die Alternanz des Basismorphems zu interpretieren, die in einigen flektierten Formen von colgar und descolgar auftritt? (b) In welcher hierarchischen Beziehung stehen die einzelnen Glieder zueinander?In den stammbetonten Formen vieler Verben treten andere Vokale bzw. Diphthonge auf als in den nicht stammbetonten Formen. Dieses Phänomen lässt sich nur sprachhistorisch erklären, denn es hängt mit einem der charakteristischen Lautwandelprozesse des Spanischen zusammen, dem Wandel Ŏ > [we], der nur in betonten Silben auftritt: CŎLLŎCÁRE > vlat. CŎLGÁRE > sp. colgar vs. vlat. CŎ́LGO > sp. cuelgo.2 Alternanzen von Morphemen sind häufig und betreffen auch Konsonanten, z.B. indivisible vs. imbatible vs. irregular/ilimitado. Da diese Formen die gleiche Funktion haben und bedeutungsgleich sind, werden sie als Allomorphe, d.h. verschiedene Realisierungen eines Morphems, aufgefasst. Allomorphische Variation kann frei (z.B. delinea-mento = delinea-miento), phonologisch (unser obiges Beispiel) oder lexikalisch (moned-a vs. monet-ario) bedingt sein (cf. Schpak-Dolt 2012, 8f.).Spontan, dem modernen Sprecherbewusstsein folgend, würde man descolgar wohl so zerlegen: des- + colgar. Bei dieser Analyse müssten aber die Verbalformen als Ableitung der jeweils flektierten Form des Verbs colgar gelten, also des- + colgasen, des- + cuelguen usw. Als Ausgangspunkt der komplexen Form geht man deshalb von colg- aus, an das des- tritt, und diese Form wird dann flektiert. Als Klammerausdruck kann man das so darstellen [[des- [colg -a- ]] r] – übersichtlicher ist die Visualisierung als Baumdiagramm:
deseoso: Im Unterschied zum Verb descolgar lässt sich dieses Adjektiv nicht in ein Präfix und eine Basis zerlegen. Was wie ein Präfix aussieht, ist in Wirklichkeit ein unabtrennbarer Teil des Substantivs deseo, von dem unter Tilgung des Auslautvokals mit -oso ein Adjektiv abgeleitet wird.
por: Auf der Ebene der Wortbildung oder der Flexion kann dieses Wort nicht weiter zergliedert werden.
3.2.2 Typen von Morphemen
Aus den oben diskutierten Beispielen kann man die folgende Klassifikation von Morphemen ableiten:
frei | gebunden | |
lexikalisch | deseo; ilusión | -oso; des-; -ista; |
grammatisch | por | -s; -a-; -r |
Freie lexikalische Morpheme und freie grammatische Morpheme fassen wir intuitiv als Wörter auf; erstere sind in jedem Fall Autosemantika, die eine volle kontextunabhängige Bedeutung aufweisen, letztere sind immer Synsemantika (grammatische Wörter, Funktionswörter): y, con, él, para usw. Freilich können aber auch Funktionswörter aus mehreren Morphemen bestehen.
Gebundene lexikalische Morpheme dienen der Wortbildung, während gebundene grammatische Morpheme Funktionen innerhalb der Flexion (Deklination, Konjugation, Komparation) haben.
Die gebundenen wie die freien grammatischen Morpheme bilden ein im Wesentlichen geschlossenes Inventar, das sich kaum verändert. Die lexikalischen Morpheme sind eine offene Klasse.
3.3 Verfahren der Wortbildung
Je nach theoretischem Standpunkt unterscheidet man verschiedene Verfahren der Wortbildung. Wir gehen im Folgenden von zwei Grundtypen aus: Derivation (Ableitung), in der wir einen Überbegriff für Suffigierung und Präfigierung sehen, und Komposition (Zusammensetzung). Daneben gibt es noch andere, quantitativ weniger bedeutende Bildungstypen, auf die wir am Schluss eingehen.
3.3.1 Derivation
Bei Derivationsprozessen, deren Ergebnisse Derivate heißen, wird eine Basis mit Hilfe von Derivationsaffixen erweitert. Bei der Präfigierung geht das Affix der Basis voran; bei der Suffigierung folgt es der Basis.
3.3.1.1 Bei der Suffigierung gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten: (a) durch den Derivationsprozess tritt keine Änderung der Wortart ein (homogene Derivation) und (b) das Derivat gehört einer anderen Wortart an als die Basis (heterogene Derivation).
1 Homogene Derivation: Zu dieser Gruppe gehören die qualifizierend-quantifizierenden Suffixe, z.B. -ito, -iño (nur regional), -illo; -azo, -ón, -ote: caballo + -ito → caballito, blanco + -illo → blanquillo, libro + -ote → librote, fácil + -ón → facilón ‘kinderleicht’. Z.T. haben augmentative Suffixe eine abwertende Nuance (z.B. cobarde → cobardón), deutlich pejorativ sind: -aco, -acho/a, -ucho/a, -uco/a, -ejo/a, -orrio, -astro. Mit der Verkleinerung (durch Diminutivsuffixe) verbindet sich meist eine positive Wertung. Der genaue semantische Gehalt dieser Suffixe hängt jedoch stark vom jeweiligen Kontext ab.Gelegentlich tritt zwischen Stamm und Suffix ein Fugenelement (auch: Interfix): mujercita, panecillo, corazoncillo, pueblecito usw.Bei diesen Suffixen, die man auch als Evaluativsuffixe bezeichnet, fällt generell auf, dass sich die Wortbildungsbedeutung und die Wortschatzbedeutung oft nicht decken, d.h. das Derivat muss nicht die Bedeutung haben, die aufgrund der Komponenten zu erwarten wäre: Die Diminutivbildungen bolsillo und bolsito bedeuten nicht einfach ‘kleine Tasche’ (Wortbildungsbedeutung) sondern ‘Tasche (in einem Kleidungsstück)’ bzw. ‘kleine (Hand-)Tasche’ (Wortschatzbedeutung). Auch mensajito illustriert dieses Phänomen sehr gut, da es nicht generell für eine kleine Botschaft steht, sondern auf eine kurze Mitteilung referiert, die man mit Hilfe eines Handys verschickt.Ein weiteres Merkmal dieser Bildungen ist, dass das Derivat in der Regel das Genus des Basiswortes behält.1Homogene Suffigierung gibt es aber auch mit anderen Suffixen; im Folgenden geben wir nur einige wenige Beispiele:N → N:vaca + -ada (Kollektivsuffix) → vacada ‘Rinderherde’; decano + -ato → decanato; carta + -ero → cartero ‘Briefträger’; limón + -ero → limonero2 ‘Zitronenbaum’; símbolo + -ismo → simbolismoV → V:morder + -isc(ar) → mordiscar ‘knabbern’; correr + -ete(ar) → corretear ‘herumlaufen’; nevar + -isc(ar) → ‘leicht schneien’A → A:rojo + -izo → rojizo ‘rötlich’; mísero + -érrimo → misérrimo; feo + -ísimo → feísimo
2 Heterogene Suffigierung: Wir geben im Folgenden einige Beispiele für die häufigsten Transpositionen; je nach Basis spricht man von deverbalen, denominalen oder deadjektivischen Ableitungen:V → N:almacenar + -aje → almacenaje ‘Lagerung; Lagergebühr’; educar + -dor → educador; ayudar + -nte > ayudante; dormir + -torio → dormitorioA → N:pedante + -ería → pedantería; humano + -ismo → humanismo; agudo + -eza → agudezaV → A:agradar + -ble → agradable (aktivische Bedeutung); lavar + -ble → lavable (passivische Bedeutung); tolerar + -nte → toleranteN → A:deseo + -oso → deseoso; leche + -ero → lechero ‘Milch …’; escuela + -ar → escolar