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Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte


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(und zwar alle) empirisch vorgehen, d.h., dass auch zur Erklärung philosophischer Fragen nur das der sinnlichen Wahrnehmung Zugängliche als Basis dienen dürfe, also nur Materielles. Die Materie ist demnach bei La Mettrie und seiner Kritik an spekulativen und metaphysischen Denksystemen ein zentrales Element. Das radikale an seiner Kritik ist, dass er damit die Behandlung der Seele aus der Theologie und Philosophie herausnimmt und der naturwissenschaftlichen Beschreibung zuführt,4 d.h. die Seele bzw. das, was sich an seelisch-geistigen Vorgängen im Menschen äußert, ist auch Materie und damit beschreibbar, woraus sich in letzter Konsequenz auch sein Atheismus ableitet. Außerdem erklärt dies sein Primat der Medizin, weil für ihn nur die empirische Beschreibung des Funktionierens des Menschen letztlich zu weiteren philosophischen Schlüssen berechtigt.5 Er argumentiert damit gegen Descartes (cf. Discours de la méthode, 1637; Meditationes de prima philosophia, 1641) und seine Unterscheidung einer res cogitans und einer res extensa, d.h. Materie ist für Descartes rein in Ausdehnung zu messen, da sie empfindungs- und bewegungslos ist (cf. Baruzzi 1968:24–29; Wellman 1992:169–170; Christensen 1996:47–55).

      Für La Mettrie ist aus der Materie heraus sowohl Bewegung (puissance motrice) als auch Empfindung möglich (faculté de sentir), was in einen sensualistischen Materialismus mündet. Bezüglich der Seelenvermögen unterscheidet er dabei die âme végétative (Pflanzen, Tiere, Menschen), die âme sensitive (Tiere, Menschen) und die âme raisonnable (Menschen). Dabei ist ersteres Vermögen für Ernährung, Fortpflanzung und Wachstum zuständig, zweites für die durch Gehirn und Nervenbahnen gesteuerten Empfindungen und Wahrnehmungen und drittes schließlich für das Denk- und Urteilsvermögen.6 Er schafft damit ein Kontinuum der Lebewesen (Pflanzen, Tiere, Menschen).7 Der Begriff der ‚Maschine‘ bzw. des Menschen als Maschine wie ihn La Mettrie dann in L‘homme machine (1747/1748) entwickelt, rekurriert auf eben diese Vorstellung von der Materie (cf. Mensching 2008:509–510; Klingen-Protti 2016:139–140).

      Für ihn ist folgerichtig der Mensch nichts weiter als organisierte Materie, eben komplexer organisierte als bei Pflanzen oder Tieren, aber nichtsdestoweniger reine Materie. Dies bedeutet auch eine Materialisierung der Seele und mündet in eine antimetaphysische Metaphysik.8 Er lehnt damit den Dualismus von Leib und Seele ab (cf. Descartes)9 sowie die grundsätzliche Willensfreiheit des Menschen, da die jeweiligen durch die organisierte Materie geschaffenen unterschiedlichen Dispositionen des Einzelnen ihn eher determinieren als ihn frei agieren lassen (cf. Becker 1990:XIII; Hausmann 2003:392).

      Bereits die Materialisierung der Seele, die (fast) Gleichsetzung von Mensch und Tier (er betont das Kontinuum zwischen beiden) und die Einschränkung der Willensfreiheit des Menschen machen ihn für Kirche und Gesellschaft untragbar, was die Verbrennung seiner Schriften und die ihm drohenden Inhaftierungen erklärt. Dass er schließlich aus der sensualistischen und materialistischen Position heraus im Discours sur le bonheur (1750) und der L’art de jouir (1751) die Kunst des Genießens predigt,10 was nicht nur, aber auch die volupté beinhaltet, macht ihn endgültig zur persona non grata. Um überhaupt publizieren zu können, versteckt er in den meisten seiner Schriften seine radikalen Ansichten hinter Ironie und Polemik;11 er erarbeitet zudem kein in sich geschlossenes System (cf. supra: die Ablehnung von Systemen). All dies, d.h. Atheismus, radikaler Materialismus, sexuelle Freizügigkeit, Ablehnung gesellschaftlicher Institutionen und Hedonismus, ein schwer dechiffrierbares Werk sowie seine fehlende Verbindung zu philosophischen Zirkeln (wie z.B. den Enzyklopädisten),12 erklärt seine nur sporadische und selektive Rezeption, zum Teil bis ins 20. Jahrhundert.13

      4 Sprachwissenschaftliche Aspekte

      4.1 Sprachursprungstheorie

      Ausgehend von der nicht möglichen Beweisbarkeit, wer der erste Mensch war der einst zu sprechen begann bzw. wie sich die menschliche Sprache entwickelte und was ihr Ursprung war, zieht La Mettrie verschiedene Parallelen zu anderen, empirisch beobachtbaren und damit beweisbaren Phänomenen im Zusammenhang mit Sprache, nämlich der Sprache im Tierreich, dem kindlichen Erstsprachenerwerb sowie sprachlichen Defiziten beim Menschen (Wolfskinder, Taubstumme). Damit folgt er ganz den Argumentationsschemata seiner Zeit,1 ist aber entsprechend seinem philosophischen Gedankengebäude in manchen Schlussfolgerungen weitaus radikaler. Das grundsätzliche Nichtwissen-Können (cf. Descartes 1960:52–53, § 33; 1992:31–41, § 17–24) formuliert er dabei folgendermaßen:

      Mais qui a parlé le premier? Qui a été le premier Précepteur du Genre humain? Qui a inventé les moiens de mettre à profit la docilité de notre organisation? Je n’en sai rien; le nom de ces heureux et premiers Génies a été perdu dans la nuit de tems. (La Mettrie, HM 1990:54)

      Da La Mettrie in seiner materialistischen Philosophie Tier und Mensch als aus der gleichen Materie aufbauend annimmt und zwischen beiden ein Kontinuum sieht, liegt es für ihn auch nahe, bei dem Menschen nah verwandten Tieren wie dem Affen grundsätzlich ein Vermögen zur Erlernung der Sprache zu postulieren. Die Sprechorgane (organes de la parole) seien beim Affen zwar nicht ganz ausreichend, doch glaubt er, dass es durch einen evtl. kleinen operativen Eingriff (ähnlich wie man es an der Eustachischen Röhre bei den Tauben macht) und durch anhaltende Lehrbemühungen möglich wäre, Affen das Sprechen beizubringen; schon allein deshalb, weil diese im inneren und äußerem Bau dem Menschen so sehr ähneln würden (cf. Haßler/Neis 2009:182–183).2

      Seine diesbezügliche Schlussfolgerung ist modern, radikal und blasphemisch, denn für ihn ist der Mensch letztlich nichts anderes als ein Tier einer bestimmten Gattung, was für ihn durchaus positiv konnotiert ist (cf. Christensen 1996:187); dabei sei der Übergang zwischen Affen und Menschen als fließend anzunehmen.

      Des Animaux à l’Homme, la transition n’est pas violente; les vrais Philosophes en conviendront. (La Mettrie, HM 1990:52)

      Für die Frage nach dem Ursprung der Sprache bedeutet das letztendlich, ohne dass er dies expliziert, ebenfalls ein Kontinuum bzw. eine Entwicklung von der Sprache der Tiere zu der des Menschen. Das von seinen Zeitgenossen, wie z.B. Condillac oder Herder, formulierte klare Abgrenzungsmerkmal derÜberlegenheit des Menschen gegenüber dem Tier, nämlich die Sprache, wird damit eindeutig relativiert (cf. Haßler/Neis 2009:183).3

      Letztlich sei es auf das größere Gehirnvolumen des Menschen zurückzuführen, dass seine Sprache elaborierter sei als die der Tiere, wie er in seinem Traité de l’âme (1751) darlegt.4 Dadurch hätte der Mensch mehr Ideen, diversifiziertere Vorstellungen, was sich wiederum auf die Sprache auswirken würde. Wenn man nun die Frage mit der Erlernbarkeit der menschliche Sprache durch die Affen und die reine Nachahmung der Laute bei Papageien außer Acht läßt, dann besteht der wesentliche Merkmalsunterschied zwischen tierischer und menschlicher Sprache darin, dass erstere aus Gestik besteht, während die der Menschen sich durch Worte konstituiert, was nicht immer von Vorteil sein müsse, da dies mitunter auch in Schwatzhaftigkeit münden könne (cf. Christensen 1996:88; Haßler/Neis 2009:182).

      Quelle différence y a-t-il donc entre notre faculté de discourir, & celle des bêtes? La leur sé fait entendre quoique muette, ce sont d’excellents pantomines; la notre est verbeuse, nous sommes souvent de vrais babillards. […] Ces signes sont perpétuels, intelligibles à tout animal du même genre, & même d’une espece différente, puisqu’ils le sont aux hommes mêmes. (La Mettrie, TA 1774:120, §III)

      Entsprechend der beim Menschen gegenüber den Tieren ausgefeilteren Gehirntätigkeit stellt sich La Mettrie die Erschaffung der Sprache eng verbunden mit der zunehmenden komplexen geistigen Entwicklung des Menschen vor: Durch Gefühl und Instinkt hätten die Menschen Geist erworben, durch den Geist Kenntnisse. Dadurch hätten sich wiederum neue Ideen und die Fähigkeit ergeben, verschiedene Wahrnehmungen besser zu unterscheiden. Um die Welt diversifizierter aufnehmen zu können, braucht es wiederum Zeichen und mit Hilfe der zum exakteren Denken entstandenen Zeichen, konnten die Menschen dann auch kommunizieren.

      Voilà comme je conçois que les Hommes ont emploié leur sentiment, ou leur instinct, pour avoir de l’esprit, et enfin leur esprit, pour avoir des connoissances. Voilá par quels moiens, autant que je peux les saisir, on s’est rempli le cerveau des idées, pour la reception desquelles la Nature l’avoit formé. (La Mettrie, HM 1990:54)