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Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte


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prompte à juger, embrassera par le raisonnement, la plus grande Sphère d’objets […]. (La Mettrie, HM 1990:68)

      In seiner Konzeption von den Wahrnehmungs- und Denkprozessen radikalisiert La Mettrie den Empirismus und wendet sich dabei gleichzeitig von seinen Vorbildern Boerhaave, Locke und Descartes ab, die allesamt sich nicht von metaphysischen Prämissen gelöst haben, während er selbst alle Voraussetzung in der organisierten Materie sieht und versucht jedwede Grunddisposition medizinisch und materialistisch zu erklären.7 Was seine Vorstellung von Sprache anbelangt bzw. den Zusammenhang von Sprache und Denken erscheint oberflächlich gesehen kein wesentlicher Unterschied zu beispielsweise Locke und seinen Ideen, die sich in der Sprache wiederspiegeln, doch bekommt die ganze Beziehung durch seinen radikaleren, oder besser, konsequenteren Grundansatz, eine andere Dimension, auch insofern als in seiner Konzeption Denken und Sprache enger zusammengedacht werden.

      4.3 Sprache und Gesellschaft: Zeichentheorie

      Auf den Zeichencharakter der Sprache kommt La Mettrie in dem schon erwähnten Zusammenhang mit der Problematik der Abgrenzung von Tier und Mensch zu sprechen. Bereits im Traité de l’âme werden dabei verschiedene Aspekte thematisiert. So stellt La Mettrie vor dem Hintergrund des alten physei-thesei-Streits (cf. Platon, Kratylos) die Arbitrarität des Zeichens heraus (thesei). Die Wörter der Sprache sind willkürliche Repräsentanten der dahinterstehenden Ideen, grundsätzlich also so wie auch heute noch das arbitraire du signe in der Konzeption von Saussure verstanden wird. Das ist zunächst nicht weiter revolutionär, da die Arbitrarität des Zeichens sich weitgehend durchgesetzt hatte und sich ähnliches z.B. auch bei Sanctius (1523–1601), Marin Mersenne (1588–1648), Antoine Arnauld (1612–1694) und Pierre Nicole (1625–1695),1 Géraud de Cordemoy (1626–1684) oder John Locke (1632–1704) und später u.a. bei Nicolas Beauzée (1717–1789) findet (cf. Haßler 1983:515–519; Haßler/Neis 2009:206–211).2

      La Mettrie geht aber insofern darüber hinaus als er diese Willkürlichkeit nicht nur für die menschliche Sprache postuliert, sondern auch für die tierische.3 Die herrschende Meinung dieser Zeit ist jedoch, dass Tiere kein komplexes Zeichensystem haben, sondern nur ihre Empfindungen ausdrücken, wie es z.B. Johann Amos Comenius (1592–1670), Marin Mersenne oder Georges-Louis Leclerc Buffon (1707–1788) vertreten.4 La Mettrie greift hingegen auf ältere Positionen zu dieser Thematik zurück, wie sie sich bei Pierre Gassendi (1592–1655), Michel Montaigne (1533–1592) oder Jean de La Fontaine (1621–1695) finden lassen und radikalisiert diese (cf. Gunderson 1964:204; Wild 2006:142; Haßler/Neis 2009:179).

      Verfolgt man die Ausführungen zur Tiersprache bei La Mettrie genau und parallelisiert man diese mit der zur menschlichen Sprache, so zeigt sich deutlich, dass er eine Saussure (cf. Cours de linguistique générale, 1916) sehr ähnliche Konzeption des Zeichens hatte: Vorstellungen (idées), Zeichenvorstellungen (signes d’idées) und willkürlich damit verknüpfte phonische oder graphische Zeichen.

      Voilà des idées & des signes d’idées qu’on ne peut refuser aux bêtes, sans choquer le sens commun. […]

      Qu’on ne nous objecte pas que les signes du discernement des bêtes sont arbitraires, & n’ont rien de commun avec leurs sensations: car tous les mots dont nous nous servons le sont aussi, & cependant ils agissent sur nos idées, ils les dirigent, ils les changent. (La Mettrie TA 1774:120; XI, §III)

      Er geht in diesem Zusammenhang auch darauf ein, dass die Buchstaben der Schrift ebenfalls arbiträr sind und, auch hier Saussure vorgreifend, sekundär sind und später „erfunden“ wurden.

      Les lettres qui ont été inventées plus tard que les mots, étant rassemblées, forment les mots, desorte qu’il nous est égal de lire des caracteres; ou d’entendre les mots qui en sont fait, parce que l’usage nous y a fait attacher les mêmes idées, antérieures aux unes & aux autres lettres, mots, idées, tout est donc arbitraire dans l’homme […]. (La Mettrie, TA 1774:120; XI, § III)

      Wie so oft bei La Mettrie findet sich eine provokative Überspitzung (alles im Menschen ist willkürlich), die aber sicherlich mit Vorsicht zu genießen ist, was die eigentliche Intention anbelangt.

      In dem obigen Zitat verbirgt sich jedoch ein weiteres wichtiges Moment in Bezug auf die Frage nach der Zeichenhaftigkeit der Sprache, nämlich die der Konvention, der gesellschaftlichen Übereinkunft (cf. Saussure),5 die La Mettrie dadurch ausdrückt, dass er den usage dafür verantwortlich macht, der die idées mit den mots bzw. den lettres verknüpft.

      Im L’homme machine betont La Mettrie wiederum die Arbitrarität des Zeichens und verweist zusätzlich vor allem auf die gesellschaftliche Funktion des Zeichensystems der Sprache; nebenbei erklärt er, wiederum wie gewohnt eher mechanistisch-medizinisch, wie Kommunikation funktioniert.6

      Rien de si simple, comme on voit, que la Mécanique de notre Education! Tout se réduit à des sons, ou à des mots, qui de la bouche de l’un, passent par l’oreille de l’autre, dans le cerveau, qui reçoit en même tems par les yeux la figure des corps, dont ces mots sont le Signes arbitraires. (La Mettrie, HM 1990:52, 54)

      Diese prägnante Schilderung des Kommunikationskreislaufes, bei dem sowohl die physikalische Komponente der Übertragung impliziert wird, als auch die kognitive Repräsentation der Vorstellungen und deren Umsetzung in Zeichen, die von Mensch zu Mensch übertragen werden, ähnelt in vielen Elementen dem Saussure’schen Konzept und damit nicht zuletzt dem aktuellen Stand der sprachwissenschaftlichen Forschung.

      La Mettrie betont außerdem die Schlüsselposition der Zeichen und damit der Sprache (v. supra) bei dem Erwerb von Kenntnissen und Erkenntnis (d.h. auch Wissenschaft).

      Tout s’est fait par des Signes; chaque espèce a compris ce qu’elle a pu comprendre; et c’est de cette manière que les Hommes ont acquis la connoissance symbolique, ainsi nommée encore par nos Philosophes d’Allemagne.7 (La Mettrie, HM 1990:52)

      Hier verknüpft sich der Themenkreis der Zeichenhaftigkeit bzw. des Zeichens in der Gesellschaft wieder mit der Frage nach dem Sprachursprung, insofern der Mensch grundsätzlich ein Bedürfnis hat (wie auch die Tiere) seine Empfindungen mitzuteilen; mit wachsender Komplexität der Gesellschaft und der damit verbundenen, komplexer werdenden Sprache wird der Geist des Menschen geschliffen (v. supra) und sein Kenntnisstand über die Welt wächst.

      5 Fazit

      Resümiert man nun die bei La Mettrie angesprochenen Aspekte der Sprachphilosophie bzw. die Reflexionen zur Sprache, so läßt sich folgendes konstatieren:

      Die Ausführungen La Mettries zur menschlichen Sprache sind wie bei vielen anderen Philosophen der Zeit kein zentraler eigenständiger Abhandlungsgegenstand. Vielmehr sind seine Betrachtungen zur Sprache eng mit seiner philosophischen Gesamtkonzeption verbunden. Basierend auf seinen medizinischen Studien, die eben auch die physiologischen Aspekte des Körpers umfassen (Anatomie) und in direkter Auseinandersetzung mit seinen wichtigsten Vorbildern Boerhaave (Empirismus, Medizin, Chirurgie), Locke (Empirismus, Sensualismus) und Descartes (Rationalismus) kommt er zu einem sensualistischen-mechanistischen Weltbild, in dessen Mittelpunkt die sich selbst bewegende (force motrice) und empfindende Materie steht, aus der heraus alles erklärbar wird. In der Negierung von allem Metaphysischen wird die kreative Natur und die dort entstehende komplexe organisierte Materie, also das was man empirisch beschreiben kann, als die einzige Erklärungsbasis akzeptiert. Daraus resultiert auch seine Radikalität, d.h. sein reiner Materialismus, sein Atheismus und der bedingungslose Empirismus. Anders als der Titel seines Hauptwerkes L’homme machine suggeriert, ist dabei der Mensch mitnichten eine rein mechanistische seelenlose Maschine, sondern sein monistischer Materialismus veranlasst ihn dazu ein Kontinuum der Lebewesen Pflanze – Tier – Mensch zu postulieren, innerhalb dessen er z.B. auch den Tieren Empfindungen zugesteht (im Gegensatz zu Descartes) und bereits vor Rousseau zu einer sehr positiven Bewertung der Natur kommt. Die „menschliche Maschine“ ist bei ihm äußerst dynamisch und voller physikalisch-biologisch erklärbaren Empfindungen mit einem hedonistischen Telos.

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