Karl König

Bruder Tier


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vom Südpol bis zu den Inseln und Inselgruppen der ihn umgebenden Meere. Der ganze Kreis dieser Inseln wird von den Pinguinen als Brutplatz benützt. Von Neuseeland über Tasmanien zu den Kerguelen und Crozetinseln, bis nach Süd-Georgien, Süd-Orkney, Süd-Shetland und Südafrika reicht dieses Gebiet. Kalte Meeresströmungen brachten sie sogar zu den Galapagos-Inseln am Äquator.2 Am Nordpol und in den nördlichen Eismeeren hingegen ist der Pinguin unbekannt.

      Das ist ein sehr beachtenswertes Phänomen, dem wir hier begegnen, denn wenige Tierarten haben eine so deutlich umschriebene Lebenszone. Wie ist das zu verstehen? Ist nicht der Nordpol dem Südpol ähnlich? Beide stellen die aus dem übrigen Reich der Erde herausgehobenen Gebiete dar, in denen der Tagesrhythmus zum Jahresrhythmus geworden ist, weil die Sonne nur einmal im Laufe von zwölf Monaten auf- und einmal untergeht. Die Region des ewigen Eises überzieht beide Polarzonen. Unterhalb dieser Decke aber sind beide Reiche völlig voneinander verschieden.

      Das Nordpolargebiet ist ein gewaltiges, vom Meer erfülltes Einsturzbecken, aus dem einzelne Inselreste herausragen, und das von den Küstenstirnen der Festländer umstellt erscheint. Das Südpolargebiet ist im Gegensatz dazu Festland, und zwar ein ausgedehnter Hochlandblock, der vom Meer umgeben wird.3

      Mit dieser Feststellung wird der grundlegende Gegensatz der beiden Polargebiete genau charakterisiert. Noch deutlicher tritt das in der folgenden Feststellung hervor:

      Der Nordpol liegt in einem tiefen Meer von der Größe des Erdteils Europa, das am Pol selbst über 4200 Meter tief ist. Der Südpol dagegen ist, wenigstens annähernd, der Mittelpunkt eines gewaltigen Festlandes, eines Erdteils, anderthalbmal so groß wie Europa. Er liegt auf einer Hochebene in etwa 2900 Meter Meereshöhe. Während nun um das tiefe und weite Meeresbecken am Nordpol die ungeheuren Landmassen Asien, Europa und Amerika einen fast geschlossenen Ring bilden, liegt das Festland des Südpols, der sechste Erdteil, völlig isoliert im 5000 Meter tiefen Weltmeer. Atlantik, Pazifik und Indik fließen zu einer unabsehbaren riesigen Wassermasse zusammen.4

      Versucht man, dieses Bild der beiden Erdpole noch stärker zu konturieren und sich dazu vorzustellen, dass das nördliche Polarmeer 4000 Meter eingesunken und das südpolare Festland beinahe 3000 Meter hoch ist, sodass eine Höhendifferenz von 7000 Metern besteht – bedenkt man ferner, dass im Norden ein von Ufern umgebenes Meer, im Süden aber eine vom Meer umgebene riesige Insel vorhanden ist, dann wird dieser Gegensatz in seiner Urbildlichkeit noch greifbarer. Der Nordpol ist ein See, von den Ufern der großen Kontinente umsäumt. Der Südpol wird zur Insel, von mächtigen Ozeanen umbrandet.

      See und Insel werden zu den beiden Urgestalten, die immer neu und in fast unendlicher Variabilität die Landschaft der Erde formen. Die Ur-Insel ist der Südpol. Der Ur-See ist die Arktis, und aus beiden Bereichen schiebt sich die formende Kraft in alle übrigen Erdgebiete hinein. Man möchte fast sagen, dass alle Inseln, wo immer sie auch liegen, Kinder der Antarktis sind. Die Seen aber, so klein oder groß sie auch sein mögen, sind die Geschöpfe des nordpolaren Einbruchbeckens. Die Insel, jede Insel, ist ein aus dem umgebenden Wasser herauskristallisiertes, verdichtetes Stück Erde. Die im flüssigen Element lebenden Kräfte konzentrieren sich auf einen Mittelpunkt hin und backen die Insel heraus. Der See aber ist ein Auflösungsprozess, der sich im Zentrum des harten Erdreichs bildet. Aus seinem Mittelpunkt strömen die verflüssigenden Kräfte hinein in die umgebenden Ufer und tragen in Jahrtausenden Felsen und Berge ab.

      Die Insel ist ein Erde-Werden; der See ein Entwerden, ein Erde-Vergehen. Verdichtung und Auflösung leben in diesen beiden Gestalten. Der Nordpol ist alt; dort löst die Erde sich auf. Von dort atmen die Eiszeiten in den Strom der Evolution hinein, überdecken die nördlichen Kontinente für Jahrhunderte mit Eis und ziehen sich dann wieder zurück, zur Urmutter aller Seen. Vom Südpol hingegen strömen die verdichtenden Insel-Kräfte in die Erde hinein. Sie halten die Kontinente zusammen und geben dem Erdreich seine verhärtenden Eigenschaften.

      Auflösung strömt aus dem Norden; sie aber wird von den mächtigen Landmassen der Kontinente im Gleichgewicht erhalten, damit die Erde nicht völlig verflüssigt werde. Verdichtung wirkt aus dem Süden; die Wassermassen der Ozeane stellen sich dieser gigantischen Macht entgegen, damit nicht die Erde ganz verhärte.

      Das sind die Gegensätze der beiden Polargebiete. Die quellende Schönheit der Seen, die ein träumendes, ahnendes Element in jede Landschaft hineingießen, da der Himmel sich in ihren Wassern spiegelt und darin sich selbst erblickt, stammt aus dem Norden. Die verhärtende Strenge, die ein Grundcharakter aller Inseln, die den Wassern Halt geben, ist, und die dem Himmel nicht einen Spiegel, sondern eine Faust entgegenstrecken, kommt aus dem Süden. Die Erde wird eigenständig und lehnt sich gegen den Himmel auf.

      Die Pinguine sind Geschöpfe dieser eigenwilligen Kräfte. Sie versammeln sich im Wirkungsgebiet der Erdverdichtung und Inselbildung.

      Fisch oder Vogel?

      Warum fühlen wir uns, wenn immer wir den Pinguinen begegnen, ein wenig über sie erhaben und drücken das in einem leisen Lächeln aus? Auch wenn wir an diese kleinen, sich aufrecht haltenden Tiere denken, empfinden wir eine Art tragikomischen Mitgefühls für sie. Ist es die Karikatur des Vogels, die uns veranlasst, den Pinguin zu belächeln? Er ist ein Vogel und ist wieder keiner; denn fliegen kann er nicht und die beiden Flügel sind verkümmerte Stummel, die gleich missgebildeten Armen mit Schuppenfedern bedeckt, hilflos auf und ab bewegt werden. Streckt der Pinguin diese Arme aus, dann wird es eine kümmerliche Geste; denn niemals – das sieht man ihnen an – könnten die Stummelglieder den runden Leib in die Luft hinaufheben. Dass dieser Vogel nicht fliegen kann, macht ihn aber nicht zur lächerlichen, sondern zur tragischen Gestalt.

      Die Komik, die von ihm ausgeht, hat eine andere Wurzel. Liegt sie nicht dort, wo der Pinguin versucht den Menschen nachzuahmen? Statt zu fliegen, stellt er sich, wenn er an Land geht, aufrecht hin, fängt zu schnattern und zu schreien an und nimmt sich so wichtig, als wäre er wirklich jemand. So erscheint es uns; und deshalb verzieht sich unser Mund zum Lächeln. Es ist, als würde ein Fisch, dem die Bauchflossen zu Füßen geworden sind, an Land steigen und aufrecht dort herumstolzieren. Der Pinguin ist eigentlich ein zum Fisch umgewandelter Vogel. Sein Reich ist das Wasser; und dort ist er ganz zu Hause. In Brehms Tierleben heißt es:

      Meist schwimmen sie unter Wasser etwa 30 m weit, dann springen sie, vermutlich um Luft zu holen, wie kleine Delphine bis 30 cm über die Oberfläche empor und verschwinden nach einem 60 bis 80 cm weiten Satz wieder im Wasser. Bei dieser Bewegungsart bedienen sie sich nur der Flügel; sie fliegen gleichsam im Wasser … Dabei bewegen sie sich mit außerordentlicher Geschwindigkeit durch die Flut, nach Chun so rasch, dass sie den in Fahrt begriffenen Dampfer mit spielender Leichtigkeit überholen.5

      Bei Gerlach lesen wir:

      Mit ihren Flügeln können sie nicht mehr fliegen: dafür führen sie die Flugbewegung mit ihnen unter Wasser aus. Die Flossenflügel drehen sich in geschwinder und weiter Schwingung und machen bis zu zweihundert Schläge in der Minute. Die Pinguine sausen wie im Fluge unter Wasser dahin und legen zehn Meter in der Sekunde zurück.6

      Sie können also leicht in zwei Minuten einen Kilometer und in einer Stunde 30 Kilometer schwimmend zurücklegen. Ist es dann zu verwundern, dass es noch immer nicht zu ergründen ist, wohin sie ziehen, wenn sie mit ihren herangewachsenen Jungen die Inseln verlassen und ins Meer hinein verschwinden? Vielleicht sind alle südlichen Meere bis zum Äquator hinauf ihr Lebensgebiet. Wir wissen es nicht; aber das Wasser ist ihre rechte Heimat.

      Kommen sie an Land, um ihre Eier zu legen und auszubrüten, dann beginnen wir erst sie komisch zu finden. Denn nun nehmen sie, wie in der Rückerinnerung, das Vogelleben an; Männchen und Weibchen finden einander, bauen Nester, und ein ehrbares Familienleben beginnt. Aus einem ziehenden Jäger ist ein gesetzter Bürger geworden. Ein Fisch verwandelt sich in einen Vogel.

      Durch den aufrechten Gang, die seltsame Zeichnung und Färbung des Federkleides, mit weißer, über den Bauch reichender Hemdbrust und schwarzem, frackähnlichem Rücken, wird diese Bürgerlichkeit noch deutlich unterstrichen. Dazu stehen sie zu Tausenden zusammen, schwätzen, schnattern, stoßen einander, nehmen sich gegenseitig die Steine, die sie zum Nestbau nötig haben, fort; rauben