Dr. Sabine Gapp-Bauß

Depression und Burn-out überwinden


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umsonst wird der therapeutische Prozess oftmals als ein Nachreifungsprozess verstanden. Reifung und Wachstum sind jedoch Vorgänge, die man nicht durch Aktionismus erreichen kann, sondern dadurch, dass man günstige Rahmenbedingungen schafft: indem Sie aufhören, Ihre Empfindungen wie bisher unter Kontrolle zu halten oder durch Aktionismus zu überdecken. Jetzt geht es darum, zur Ruhe zu kommen und jede Anstrengung zu vermeiden. Trost und Halt finden Sie bei Menschen Ihres Vertrauens, bei Gleichgesinnten und erfahrenen Leidensgenossen. Mit der folgenden Übung können Sie aber auch in sich selbst Halt und Trost finden.

      Meine Empfehlung:

      Lehnen Sie sich einen Moment entspannt zurück, spüren Sie Ihre Füße auf dem Boden und erinnern Sie sich daran, wann und wo in Ihrem Leben es einmal eine Situation gegeben hat, die Ihnen Halt und Trost gespendet hat. Wer hat Ihnen einmal gutgetan? Das muss kein besonderes Ereignis gewesen sein, es kann sich sogar nur um eine kleine Geste handeln, ein Lächeln, einen Zuspruch, kleine Dinge, die Sie einmal angenehm berührt haben.

      Vollziehen Sie jetzt, in diesem Moment, nach, was für ein Gefühl das bei Ihnen ausgelöst hat. Wie hat sich Ihr Körper angefühlt? Was haben Sie gedacht? Und dann lassen Sie die Empfindungen bewusst auf sich wirken und im Körper ausbreiten. Ähnlich wie in der realen Situation können Sie den Zustand im Hier und Jetzt abrufen und bei sich verankern. Falls Ihnen gerade keine solche Situation einfällt, fantasieren Sie sich selbst eine ideale Situation und das zugehörige Körpergefühl. Für unser Gehirn macht das keinen Unterschied. Es kommt nur auf die Empfindungen und Reaktionen im Gehirn an, die dadurch ausgelöst werden. Dieses innere Bild kann zu einer wichtigen Ressource werden, die Sie immer nutzen können, wenn Ihnen danach ist.

      Der bekannte Arzt und Psychotherapeut Irvin D. Yalom berichtet in einem seiner Filme, wie ein Arzt ihm als kleinem Jungen einmal seine Hand auf den Kopf gelegt und ihm tröstend die Haare „gewuschelt“ habe, als er bei dem Herzinfarkt seines Vaters völlig alleingelassen war und große Angst hatte. Dieses tröstende Erlebnis war so tiefgehend, dass es zu dem frühen Entschluss führte, Arzt zu werden.

      Ich selbst erinnere mich wie heute an den verstehenden Blick und ein wissendes Nicken meiner damals bereits sehr alten Atemtherapeutin, Frau Goralewski in Berlin, die mich tief in meiner Seele berührte und mir, der damals verunsicherten Studentin, vermittelte: „Ich weiß, wer du wirklich bist! Ich verstehe dich.“ Dieser Blick in meine Seele war mit entscheidend dafür, die tiefe Bedeutung von Trost und Zuspruch für Menschen in Not zu verstehen. Öffnen Sie sich für Trost spendenden Zuspruch! Er tut Ihnen gut.

       Zum Verständnis:

      Erinnern wir uns noch einmal an die neurobiologischen Ursachen für die depressive Stimmungslage: Durch andauernden Alarm im limbischen System kommt die Produktion der Neurotransmitter dem Bedarf nicht mehr hinterher. Die so wichtigen Botenstoffe, die für eine stabile Motivation und Stimmung, für Frustrationstoleranz und Offenheit im sozialen Kontakt sorgen, fehlen. Auch die Nebennierenrinde ist in Mitleidenschaft gezogen. Der Körper wird überflutet mit Adrenalin, was ein ständiges Gefühl von Unruhe oder Blockiertheit erzeugt. Indem Sie aufhören, sich anzustrengen oder sich selbst Druck zu machen, tragen Sie dazu bei, dass Ihr System aus diesem Notstand herauskommt.

      Vielleicht haben Sie – schon seit Jahren – die Empfehlung bekommen, gegen ihre depressiven Stimmungen anzukämpfen und sich auf keinen Fall in depressive Stimmungen hineinfallen zu lassen, sondern stets die Kontrolle über ihr Erwachsenen-Ich zu behalten. Häufig haben Sie als Betroffene genau das schon viel zu lange versucht. Stattdessen ist es gerade jetzt wichtig, nichts können zu müssen und nichts tun zu müssen. Das bedeutet nicht, den ganzen Tag nur noch auf dem Sofa zu liegen, sondern ganz bewusst ein Gefühl dafür zu bekommen, wann es gut ist, von sich selbst etwas zu fordern, und wann genau das Gegenteil besser ist.

      Die oben erwähnten Ratschläge sind gerade im Familien- und Freundeskreis oft gängige „Rezepte“, um die eigene Angst (der Ratgebenden) vor solchen seelischen Befindlichkeiten abzuwehren. Meist sind sie gut gemeint, manchmal auch sinnvoll, oft aber eine Überforderung und vor allem jetzt: kein guter Ratschlag. Was können Sie selbst also zu Ihrer Entlastung beitragen?

      Viele Betroffene erzählen mir, wie wohltuend es für sie ist, wenn sie die Erlaubnis bekommen, nichts tun zu müssen. Dazu gehört manchmal, einfach nur auf dem Boden zu sitzen und nur wahrzunehmen, dass es ganz still ist. Andere halten sich mit leichten Spaziergängen am liebsten in der Natur auf. Menschen im Arbeitsprozess können zum Beispiel darauf achten, dass sie keine Höchstleistungen von sich erwarten, sondern einfach nur das Notwendigste schrittweise abarbeiten. Die Seele sucht nach Ausgleich. Wenn Ihr System diesen Ausgleich bekommt, werden Sie ganz von selbst wieder aktiver, indem Sie Ihre Belastung steigern oder mehr Kontakt nach außen aufnehmen. Entscheidend ist, sich nicht einfach passiv „hängen zu lassen“, sondern sich ganz bewusst in eine entspannte, anstrengungslose Verfassung zu bringen oder etwas zu tun, was Ihrer Verfassung gemäß ist.

      Vielen Betroffenen ist es peinlich, sich wegen einer seelischen Krise krankschreiben zu lassen. Sie kommen sich unnütz vor und haben das Gefühl, anderen nur noch zur Last zu fallen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schlimm sich jedes Eingeständnis anfühlt, gerade nicht einsatzfähig zu sein. Ja, das ist schwer auszuhalten, nichts mehr „bringen“ zu können, aber Ihr entschiedenes Ja zu all dem, was jetzt ist, wird Ihnen helfen zu heilen. Es gibt Gründe für Ihren derzeitigen Zustand, für den Sie nur bedingt etwas können. Fangen Sie an, sich selbst wertzuschätzen, mit all dem, was jetzt ist! So kommt Ihre Seele zur Ruhe und kann sich Schritt für Schritt erholen.

      Nichts zu können oder nichts von sich zu verlangen ist kein Rückzug in die Resignation, im Gegenteil: Die Depression ist ähnlich wie ein Verpuppungsstadium im Tierreich. Im „Kokon“ eines geschützten Raumes spart Ihr gesamtes System wertvolle Energie, um innere Kräfte zu mobilisieren. Nach außen hin geschieht nichts Großartiges, denn Anzeichen der Genesung sind sehr subtil. Und doch ist genau dieser innere Ruhezustand so notwendig, um aufzutanken und Körper, Geist und Seele wieder in Einklang zu bringen. Wenn die Zeit reif ist, werden Sie aus diesem Zustand langsam auftauchen. Ich kann Ihnen versichern, Sie werden danach alles, was wirklich für Ihr Leben wichtig ist, ganz leicht aufholen. „Ja, im Moment geht noch nicht viel“ – genau dieses Eingeständnis der eigenen geringen Kraft ist etwas sehr Wertvolles.

      Wenn Sie also merken, dass es Ihnen schwerfällt, Ihre Hausarbeit zu machen, dass jede Aktion sich anfühlt, als hätten Sie Blei in den Knochen, dann sagen Sie Ja dazu: „Ja, so ist es gerade!“ Sie werden feststellen, dass Sie sich dadurch schon etwas leichter fühlen. Der Druck ist weg und Sie können schauen, was gerade möglich ist. Tun Sie die Dinge Schritt für Schritt und so gut Sie können. Eine Kleinigkeit geht immer. Allein dadurch, dass Sie den Druck herausnehmen, werden Sie viel mehr schaffen, als Sie gedacht haben. Sie werden dadurch Ihr Alarmsystem zunehmend außer Gefecht setzen und Ihr emotionales Gehirn wird sich erholen.

      Viele Betroffene beschreiben ihre Krankheitsphase als eine besondere Zeit, in der sie ihr Leben so intensiv erlebt haben wie noch nie zuvor. Sehr gut ist, wenn Sie von einem Experten ihres Vertrauens begleitet werden, der die „Zeichen der Zeit“ versteht und Sie in Ihrem Bemühen unterstützt.

      Meine Empfehlung:

      Die nachfolgende Übung hilft Ihnen, sich für einen Moment auf sich selbst zu besinnen und sich angenommen und beschützt zu fühlen. Falls Sie mögen, legen Sie sich eine gemütliche Decke um und lassen Sie sich an einem ruhigen Ort nieder. Sie können die Anleitung aber in jeder Haltung erst einmal lesen.

      Die Kontaktübung

      Legen Sie eine Hand auf den Brustkorb und die andere Hand auf den Bauch. Spüren Sie den angenehmen Kontakt Ihrer Hände auf Ihrem Körper. Vielleicht können Sie die feinen Atembewegungen wahrnehmen. Nehmen Sie den Kontakt von Gesäß und Rücken zu Ihrer Sitzgelegenheit, den Kontakt Ihrer Füße zum Boden, den Kontakt zu Ihrer Kleidung wahr und folgen Sie mit den Händen den natürlichen Atembewegungen Ihres Körpers. Wenn es geht, spüren Sie den Schutz,