Dr. Sabine Gapp-Bauß

Depression und Burn-out überwinden


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ist die Depression jedoch eine notwendige und „gesunde“ Verweigerung des ganzen Menschen, die dazu dient, sich neu im Leben auszurichten. Endlich ist Zeit, um Ihre gesamte Energie zur Regeneration all ihrer Kräfte zu nutzen.

      Die typischen Symptome einer Depression, sowohl körperliche als auch seelische, wollen uns immer etwas sagen. So kann die Tatsache, dass Sie sich körperlich und seelisch völlig erschöpft fühlen und Ihr Herz viel zu schnell schlägt, daran erinnern, dass Sie mehr Stille, Schutz und Erholung brauchen. Die Tatsache, dass Ihr Gedächtnis und der gesamte Denkapparat, ja, oft sogar das Hörvermögen in Mitleidenschaft geraten sind, will signalisieren, dass Ihr Kopf dringend Entlastung braucht. Es fühlt sich oft an, wie wenn das System abgeschaltet hat, ein seelischer „Totstellreflex“, der wie im Tierreich dem Überleben dient. Auf diese Weise verschafft Ihre Seele sich mehr Gehör. Zu lange war sie unter Druck oder bekam zu wenig Aufmerksamkeit.

      Manche Depressive trifft die Erkrankung zu einem Zeitpunkt, an dem die größten seelischen Belastungen eigentlich längst vorbei sind. So liegt vielleicht die überfordernde Pflege eines Angehörigen hinter ihnen und eigentlich könnte eine Phase des Aufatmens folgen. Vielleicht haben sie nach einer längeren Mobbingphase am Arbeitsplatz endlich wieder gute Arbeitsbedingungen. Offensichtlich hat die anstrengende Zeit ihre Seele jedoch so sehr überfordert, dass das System jetzt jeglichen Dienst verweigert. Jedoch kann auch die Tatsache, nun nicht mehr gebraucht zu werden oder unter Druck zu sein, eine tiefe Sinnkrise auslösen.

      Bei Depressiven, die seit Jahren immer wieder Rückfälle haben und unter heftigen Symptomen leiden, fehlen nach meiner Erfahrung oft noch ganz bestimmte Bausteine für einen nachhaltigen Heilungsprozess, die es herauszufinden gilt. Vielleicht hat die bisherige Behandlung die tiefer liegenden Ursachen noch nicht berührt. Vielleicht fehlen noch Bewältigungsstrategien für den Umgang mit bestimmten Stressfaktoren. Vielleicht steckt dahinter ein Problem, das bisher noch nicht angesprochen werden konnte oder durfte. Vielleicht hat die Krankheit auch eine wichtige Bedeutung für Sie, die man nicht einfach ignorieren darf. Schließlich kann es sein, dass für eine dauerhafte Heilung noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen ist oder Sie noch nicht den Menschen gefunden haben, der Sie wirklich versteht.

      Gerade in der Behandlung von traumabedingten Depressionen fehlt es vielfach noch an Wissen und Erfahrung, da die Auswirkungen von Traumen erst in den letzten zehn Jahren genauer verstanden werden. Vielen Betroffenen hat es geradezu „die Sprache verschlagen“, sodass es ihnen schwerfällt, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Manche werden auch als „therapieresistent“ angesehen, weil sie angeblich nicht „mitmachen“. Betroffene haben oft einen leidvollen Weg hinter sich, bei dem sie von Therapeuten die Zuschreibung bekommen haben, dass sie angeblich nicht therapiefähig seien. Das ist bitter! Mit dem tiefen Wunsch, gesund zu werden, und der hartnäckigen Suche nach einer kompetenten Begleitung können Betroffene jedoch Schritt für Schritt Fortschritte auf ihrem Gesundungsweg machen.

      Genau dieser Prozess, nämlich herauszufinden, was Ihre Seele braucht, um wieder stabil zu werden, ist die Herausforderung dieser Krankheit. Wie im Folgenden beschrieben wird, können Sie selbst dazu eine Menge beitragen.

      Depression ist eine Antwort der Seele auf innere und äußere Not. Heilung erfolgt meist nicht direkt, sondern indirekt durch Herstellen guter Bedingungen – ein Gedanke, der in der naturheilkundlichen Medizin schon seit Jahrhunderten bekannt ist. In der wissenschaftlichen Medizin und nach der WHO-Definition wird mit „Gesundheit“ ein Zustand des vollkommenen körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen bezeichnet. Nach dieser Definition gibt es heute streng genommen kaum gesunde Menschen. Im naturheilkundlichen Denken wird hingegen unter Gesundheit die Fähigkeit verstanden, flexibel auf das reagieren zu können, was uns immer wieder aus unserer eigenen Mitte bringt. Hier wird vielmehr die grundsätzliche Regulationsfähigkeit unseres Körpers und unserer Seele in den Mittelpunkt gestellt. Statt eines Zustands von Symptomfreiheit geht es um die Fähigkeit, uns mithilfe unserer Selbstheilungskräfte zu regenerieren und wieder zu regulieren.

      Für einen Menschen in der Krise bedeutet das, zu verstehen, wie es dazu gekommen ist und welche Faktoren die „Schieflage“ aufrechterhalten. Statt des Anspruchs unserer heutigen Gesellschaft auf völlige Unversehrtheit und Fitness geht es mehr um die Wertschätzung und Akzeptanz der eigenen Möglichkeiten, auch wenn diese unter Umständen begrenzt sind, sowie um unsere Verantwortung, das Beste aus dem eigenen Leben zu machen. Verständlicherweise bedeutet Gesundheit deshalb für den einen schon die Fähigkeit, wieder arbeiten zu können; für einen andern Menschen geht es um Stabilität und Glücksempfinden im privaten Bereich.

       Dass es manchen Menschen schwerer fällt als anderen, wieder stabil zu werden, hat unter anderem mit der Neurotransmitterausstattung des Gehirns zu tun, die meist schon im Kindesalter ausgeprägt wird.

      So hat eine Untersuchung ergeben, dass es konstitutionell gesehen zwei Gruppen von Kindern gibt. Die eine hat einen normalen Serotoninspiegel, der sie gegen Stresseinwirkungen sehr gut abfedert. Die andere Gruppe von Kindern weist einen erniedrigten Serotoninspiegel auf, wodurch die Kinder deutlich stressanfälliger sind. Interessant ist, dass eine fürsorgliche Haltung der Eltern in den ersten Lebensjahren diesen Mangel völlig ausgleicht und diese Kinder im Erwachsenenalter sogar besonders flexibel und stressresistent macht, mehr noch als die Kinder mit erhöhtem Serotoninspiegel. Belastende oder gar traumatische Kindheitserlebnisse wirken sich bei der einen Gruppe also besonders fatal aus, während die andere Gruppe davon weniger stark irritiert wird.

      Man kann sich vorstellen, dass manche Menschen einen ausgeprägteren Neurotransmittermangel haben als andere und deshalb von Medikamenten eher profitieren. Das heißt nicht, dass die einen Medikamente benötigen, die anderen nicht. Vielmehr kann eine vorübergehende oder langzeitige Behandlung bei manchen Menschen wichtiger sein als bei anderen. Es kann sogar sein, dass insbesondere in der Anfangsphase der Krise ein ganzes Arsenal von Medikamenten notwendig ist, um eine Destabilisierung zu verhindern. Das Gehirn ist jedoch äußerst regenerationsfähig und reagiert positiv auf jede stimmige therapeutische Unterstützung.

       Medikamente in Form von Psychopharmaka sind eine Möglichkeit, den Betroffenen unerträgliches Leiden zu nehmen und die therapeutische Verarbeitung möglich zu machen. Die alleinige medikamentöse Therapie bringt allerdings keine wirkliche Heilung und erhöht die Gefahr einer erneuten Erkrankung.

      Der Grund ist, dass die Ursachen nicht erkannt und bearbeitet werden und sich deshalb an den zugrunde liegenden ungesunden Mustern nichts verändert. Allerdings möchte ich erwähnen, dass gewisse Mangelzustände stofflicher Art und manche Grunderkrankungen ähnliche Symptome verursachen wie Depression oder Burnout. Ich denke hier an die Wochenbettdepression, die Schilddrüsenunterfunktion oder schwere Allgemeinerkrankungen. In diesen Fällen bedarf es gezielter ganzheitlicher Behandlung und unterstützender Medikamente, damit auch die Seele wieder ins Gleichgewicht kommen kann. In den Kapiteln über Körpersymptome und Nahrung für die Seele wird darauf näher eingegangen.

      In der heutigen Medizin gibt es gute therapeutische Behandlungsansätze, die sich ständig weiterentwickeln. Dabei kommt es weniger auf die verwendeten Methoden als auf die heilende Beziehung zwischen dem Hilfesuchenden und dem Behandler an, mit dem gemeinsam nach Wegen aus der Krise gesucht wird.

      Es ist mir ein Anliegen, mit diesem Buch von der Festschreibung von Krankheitszuständen wegzukommen und Heilung nicht als einen idealen Endzustand, sondern als einen Prozess betrachten, der in vielen kleinen Schritten gelingen kann. Auf diese Weise erschließen sich neue Denkhorizonte und die Kreativität, die es braucht, um auch mit schwierigen Krankheitsverläufen umgehen zu können. Ich möchte deshalb die bei jedem Menschen vorhandenen Selbstheilungskräfte in den Vordergrund stellen, die dann wirksam werden, wenn sich günstige Bedingungen dafür ergeben: das Gefühl, wirklich verstanden zu werden, die Möglichkeit sich selbst zu verstehen, bessere Lebensumstände wie zum Beispiel ein geschütztes Umfeld, stärkende Substanzen, vor allem aber wirksame Strategien, die einem Menschen das Gefühl geben: „Ich bin nicht ohnmächtig, sondern handlungsfähig.“