Satchin Panda

Der Zirkadian-Code


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ertragreiche Bäume, Pflanzen und Reissorten eingeführt hatte. Einige dieser neuen Reissorten konnten sowohl im Winter als auch im Sommer angebaut werden, sodass ein Stück Land nun den doppelten Ertrag brachte. In diesem Fall schien die Veränderung des natürlichen Laufs der Dinge gar keine so schlechte Idee zu sein.

      Als ich in der Mittelschule war, verunglückte mein Vater tödlich. Ein Lkw-Fahrer, der wahrscheinlich übermüdet war, verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug. Jahre später lernte ich, dass ein unter Schlafmangel leidendes Gehirn gefährlicher ist als ein alkoholumnebeltes. Aber auch heute noch ist es nicht strafbar, sich nach einer schlaflosen Nacht hinters Steuer zu setzen.

      Nach der Highschool besuchte ich, genau wie mein Vater, eine Landwirtschaftsschule. Zur damaligen Zeit war das der sicherste Weg, um einen Posten als Beamter oder Bankangestellter zu bekommen. Wann immer ich meine Großeltern auf dem Land besuchte, zog mein Großvater mich auf und fragte mich, ob ich den Code der Natur knacken könnte, damit er zu jeder Jahreszeit jede beliebige Pflanze anbauen könnte. So entwickelte ich ein Interesse daran, wie alles Leben mit Tages- und Jahreszeiten verbunden ist.

      Natürlich besuchte ich auch meinen Großvater mütterlicherseits, der mittlerweile im Ruhestand war. Schon wenige Jahre nach seiner Pensionierung häuften sich die Anzeichen für eine beginnende Demenz. Meine Großmutter sorgte für ihn wie für ein Baby. In meinem letzten Jahr im College besuchte ich ihn nahezu jedes Wochenende. Ich gehörte zu den drei bis vier Menschen, die er noch erkannte. Er verlor jedes Gefühl für Tag und Nacht und war zu beliebigen Zeiten hungrig oder müde oder hellwach. Dadurch wurde mir bewusst, wie wichtig der einfache Code der Zeit in unserem täglichen Leben ist. Kurz nach meinem College-Abschluss verstarb er im Alter von 72 Jahren.

      Ich hatte einen guten Abschluss in Pflanzenzucht und Genetik gemacht. Der nächste Schritt hätte normalerweise darin bestanden, auf diesen Gebieten einen Master-Abschluss zu machen, aber ich hatte das Glück, ein Stipendium für einen Master in Molekularbiologie zu ergattern, in Indien auch als Biotechnologie bezeichnet. Durch den damals recht neuen Zweig der Molekularbiologie kam ich mit dem genetischen Code in Berührung.

      Anschließend fand ich eine Stelle in der Forschungsabteilung von Bush Boake Allen (heute International Flavors and Fragrances) in Chennai, einem Unternehmen, das Aroma- und Duftstoffe für nahezu alle großen Lebensmittelkonzerne der Welt herstellt. Meine erste Aufgabe dort bestand darin herauszufinden, welche chemischen Komponenten für das Aroma von Vanilleschoten verantwortlich sind. Ich besuchte die Vanille-Farmen in den Nilgiri-Bergen im Süden Indiens. Meine Gastgeber weckten mich um zwei Uhr morgens und wir fuhren hinaus zu den Feldern, wo sie mir zeigten, wie Arbeiter jede einzelne Vanilleblüte von Hand bestäubten, sobald sie sich frühmorgens öffnete. Obwohl die Arbeit gut bezahlt wurde, war es eine Belastung für die Arbeiter, einige Monate lang immer mitten in der Nacht aufstehen zu müssen, und viele waren am Ende der Saison richtiggehend krank. Ich fragte mich, ob ihr Leiden durch etwas auf dem Feld ausgelöst wurde oder ob womöglich der Schlafmangel verantwortlich war. Zu dieser Zeit tauchte das Thema zirkadianer Rhythmen immer häufiger in Fachzeitschriften auf, vor allem als Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young, die gemeinsam im Jahr 2017 den Nobelpreis für Medizin gewannen, ihre bahnbrechenden Arbeiten veröffentlichten.

      Ich verließ Indien, um im kanadischen Winnipeg ein Aufbaustudium zu absolvieren. Das Leben in Kanada stellte mich in vielerlei Hinsicht vor Herausforderungen, nicht zuletzt durch den Temperaturunterschied – von 36 Grad Celsius in Indien auf bis zu minus 18 Grad im kanadischen Winter. Die Winternächte waren zudem sehr lang und mein Gehirn verlor die Orientierung. Lag es am Kulturschock, dem Temperaturunterschied oder dem Lichtmangel? Nahezu die Hälfte meiner Kommilitonen im Fachbereich Immunologie waren ständig niedergeschlagen und viele bezeichneten dies als „Winterblues“. Die Auswirkungen der langen Nächte in Winnipeg auf meinen zirkadianen Rhythmus und meine Stimmung weckten mein Interesse an diesem Gebiet. Nach nur einem Winter schaffte ich den Sprung nach San Diego. Hier gelang es mir alle Fragen, die mich beschäftigten, und alle Erfahrungen, die ich im Laufe meines Lebens gemacht hatte, auf ein Gebiet zu konzentrieren. Ich begann mit der Erforschung zirkadianer Rhythmen.

      In den vergangenen 21 Jahren habe ich mein Leben diesem Forschungsgebiet gewidmet. Als Doktorand am Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla erforschte ich, wie Pflanzen Zeit messen – eine besonders spannende Erfahrung, da das Labor zu den Vorreitern auf diesem Gebiet zählte. Hier entdeckten wir, dass sowohl Pflanzen als auch Tiere über sogenannte „Uhren-Gene“ verfügen, und wie diese arbeiten. Jeder Tag war ein Abenteuer – als würde man ständig in der ersten Reihe seiner Lieblingsshow sitzen. Ich war Teil des Teams, das entdeckte, wie bestimmte pflanzliche Uhren-Gene zusammenarbeiten, um den Pflanzen mitzuteilen, wann es Zeit war für die Fotosynthese und die Aufnahme von Kohlendioxid und wann Schlaf- und Reparaturzeiten anstanden. Eines der von mir entdeckten Pflanzengene ermöglichte uns einen besseren Einblick in den Zusammenhang zwischen zirkadianer Uhr, Stoffwechsel und DNA-Reparaturen.

      Im Jahr 2001 lud man mich im Anschluss an meine Promotion ein, am neu gegründeten Genomics Institute der Novartis Research Foundation (GNF) weiterzuforschen, und zwar auf dem Gebiet der inneren Uhr von Tieren. An diesem Institut lag der Schwerpunkt darauf, die vorhandenen Informationen zum menschlichen Genom und dem Genom von Mäusen zu nutzen, um biologische Vorgänge zu verstehen. Meine Aufgabe bestand im Erforschen der Geheimnisse der zirkadianen Biologie.

      Gleich im ersten Jahr konnte ich einen Durchbruch erzielen. Ich fand heraus, wie sich unsere zirkadianen Rhythmen an verschiedene Jahreszeiten und Lichtverhältnisse anpassen. Mein Team entdeckte einen Blaulichtsensor in der Netzhaut des Auges, der Lichtsignale an die innere Uhr im Gehirn sendet, um ihr mitzuteilen, wann Tag und wann Nacht ist. Das Entdecken des Lichtsensors half uns dabei herauszufinden, wie viel Licht – in welcher Farbe, für wie lange und zu welcher Tageszeit – wir benötigen, um unsere innere Uhr vorzustellen oder zurückzudrehen. Das war eine wahrhaft große Entdeckung, denn obwohl Wissenschaftler seit nahezu 100 Jahren wussten, dass es einen Lichtsensor im Auge gab, war doch unbekannt, wo er saß und was genau er bewirkte. Die Entdeckung wurde von der renommierten Zeitschrift Science zu einer der wichtigsten 10 Entdeckungen des Jahres 2002 ernannt und ist außerdem der Grund, warum Sie neuerdings bei Ihrem Smartphone oder Tablet einstellen können, dass die Hintergrundfarbe einige Zeit vor dem Zubettgehen von hellem Weiß zu einem gedämpfteren Orange wechselt.

      Wir benötigten rund acht weitere Jahre um festzustellen, wie dieser Lichtsensor genau arbeitet, wie die Informationen vom Auge zum Gehirn gelangen und von welchen Hirnregionen sie empfangen werden, um auf dieser Grundlage Dinge wie Schlaf, Depressionen, zirkadiane Rhythmen und Schmerz zu regulieren. Auch heute noch arbeite ich daran herauszufinden, wie hoch der Einfluss von Licht auf zirkadiane Rhythmen ist und welche Rolle die moderne Beleuchtung bei diesem Prozess spielt. Dennoch ist es sehr befriedigend zu sehen, wie unsere Entdeckung von einer reinen Beobachtung zur Umsetzung gebracht wurde, sodass nun mehr als eine Milliarde Menschen sich des Einflusses von Licht auf ihre Gesundheit bewusst sind.

      Ein weiterer Forschungsschwerpunkt lag darauf herauszufinden, wie unsere innere Uhr ihre Informationen überträgt und wie unsere Organe die Zeit erkennen und zu bestimmten Zeiten bestimmte Aufgaben erledigen. Wir nutzten modernste Gentechnologie, um festzustellen, welche Gene zu bestimmten Zeiten in unterschiedlichen Organen aus- und eingeschaltet werden. Diese Forschungsarbeiten begannen im Jahr 2002. Seither ist uns ein weiterer Durchbruch gelungen: die Entdeckung, dass Hunderttausende von Genen sowohl im Gehirn als auch in der Leber sich zu bestimmten Zeiten ein- und ausschalten. Wir sind immer noch dabei, die entsprechenden Versuche auf unterschiedliche Organe, Gewebe, Hirnregionen und Drüsen auszudehnen. Dabei haben wir festgestellt, dass nahezu jedes Organ über eine eigene innere Uhr verfügt und über Gene, die ein- und ausgeschaltet werden, was sich auf die Höhe der Proteinproduktion zu vorhersehbaren Tageszeiten auswirkt.

      Nachdem ich beim renommierten Salk Institute for Biological Studies mein eigenes Forschungslabor bekam, setzte ich meine Erforschung der inneren Rhythmen gemeinsam mit hochgeschätzten Kollegen fort. Wir können mittlerweile sagen, dass die Existenz von vorhersehbaren zirkadianen Rhythmen bedeutet, dass ein Organ gesund ist. Genau wie eine Mutation im genetischen Code Krankheiten hervorrufen kann, kann auch ein Leben, das gegen unseren zirkadianen Rhythmus geführt wird, unsere Gesundheit