Satchin Panda

Der Zirkadian-Code


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wie ich erkunden auch weiterhin die täglichen Rhythmen der Physiologie, des Stoffwechsels und selbst der Wahrnehmung von Erwachsenen. Dabei stellte sich heraus, dass nahezu jeder Aspekt unseres täglichen Lebens Rhythmen unterliegt. Auch wenn Menschen nicht blühen wie Blumen und keine Wanderungen über lange Strecken unternehmen wie Zugvögel, verfügen auch wir über innere Uhren, bei denen fast alle Aspekte unserer täglichen Gesundheit mit der richtigen Tages- oder Nachtzeit verbunden sind. Unser Körper ist darauf programmiert, jeden Tag bestimmte Rhythmen zu durchlaufen. Was Sie am Abend machen, hat dabei große Auswirkungen auf Ihren zirkadianen Rhythmus. Die wichtigsten Veränderungen, die Sie nach dem Lesen dieses Buches vornehmen werden, haben mit der Überprüfung Ihres Tagesablaufs zwischen 18 Uhr und Mitternacht zu tun.

      Schon bevor wir morgens die Augen öffnen, bereitet unsere innere Uhr unseren Körper auf das Aufwachen vor. Die Produktion des Schlafhormons Melatonin in der Zirbeldrüse wird gestoppt. Unsere Atmung beschleunigt sich und unser Herzschlag ebenfalls, während der Blutdruck leicht ansteigt. Unsere Körperkerntemperatur nimmt um etwa ein halbes Grad zu, noch bevor wir wach werden.

      Unser gesamtes Wohlbefinden wird von unseren täglichen Rhythmen beeinflusst. Sich am Morgen gut zu fühlen, bedeutet, dass man nach einem geruhsamen Schlaf erfrischt und erholt aufwacht und beim morgendlichen Stuhlgang die in der Nacht angesammelten Giftstoffe loswird. Man fühlt sich leicht, ist wach und hat Frühstückshunger. Kurz nachdem wir die Augen öffnen, produzieren die Nebennieren eine erhöhte Menge des Stresshormons Cortisol, damit wir unsere Morgenroutine zügig erledigen können. Die Bauchspeicheldrüse bereitet sich darauf vor, Insulin für die Verarbeitung des Frühstücks auszuschütten.

      Nach einer erholsamen Nacht und einem guten Frühstück ist unser Gehirn bereit, in der ersten Tageshälfte zu lernen und Probleme zu lösen. Am Nachmittag fühlen wir uns gut, wenn wir mit unserem Arbeitspensum zufrieden sind. (Wenn Sie in der Nacht zuvor hingegen nicht gut geschlafen haben, mag das Gefühl vorherrschen, Sie hätten den Tag vergeudet.) Gegen Ende des Tages erreicht der Muskeltonus einen Höhepunkt. Sobald dann die Sonne untergeht und den Abend einläutet, beginnt unsere Körpertemperatur zu sinken, die Produktion des Schlafhormons Melatonin setzt ein und der Körper bereitet sich auf den Schlaf vor.

      Am Abend heißt bei guter Gesundheit zu sein, dass man ruhiger wird, müde ist und ohne große Probleme einschläft. Schlaf ist im Übrigen kein Zustand, in dem das Gehirn einfach herunterfährt. In Wahrheit ist es ganz schön beschäftigt, denn es konsolidiert Erinnerungen, basierend auf den sensorischen Informationen, die wir am Tag aufgenommen haben. Es bildet neue Synapsen oder Verbindungen zwischen verschiedenen Neuronen. Das Gehirn produziert nachts auch einige Hormone, beispielsweise das Schlafhormon Melatonin in der Zirbeldrüse. Auch menschliches Wachstumshormon produziert der Körper im Schlaf.24 Bei Menschen, die zu wenig Schlaf bekommen, ist häufig zu wenig Wachstumshormon vorhanden. Das ist speziell bei Kindern ein Problem, da Schlafmangel die Menge dieses wichtigen Hormons verringern und das Wachstum bremsen kann.

       Die täglichen Rhythmen des Körpers

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      Viele der Funktionen unseres Körpers erreichen zu bestimmten Tages- oder Nachtzeiten ihren Höhepunkt. Diese Rhythmen werden wahrscheinlich von unseren inneren Uhren gesteuert. Wenn wir vollkommen aus dem natürlichen Zyklus von Tag und Nacht fallen, laufen sie eine Zeit lang normal weiter.

      Nachts ist auch die Zeit, in der das Gehirn entgiftet. Tagsüber nehmen die Gehirnzellen Nährstoffe auf und verarbeiten sie, wobei unerwünschte giftige Abfallstoffe entstehen. Diese Giftstoffe werden abgebaut, während wir schlafen. Gleichzeitig entstehen durch Neurogenese neue Hirnzellen. In dieser Hinsicht funktioniert unser Gehirn wie ein Büro. Wenn Sie morgens den Raum betreten, glauben Sie nicht, dass nachts irgendwer dort gearbeitet hat, aber in Wahrheit ist eine Menge passiert. Der Müll wurde herausgetragen und möglicherweise war auch jemand da und hat die Server nachgerüstet oder die Glühbirnen ausgetauscht. All diese Arbeiten müssen getan werden, damit Sie entspannt in den Tag starten können.

       Wir brauchen starke zirkadiane Rhythmen

      Zirkadiane Rhythmen optimieren biologische Abläufe. Jede Funktion unseres Körpers hat ein spezifisches Zeitfenster, weil unser Körper nicht alles auf einmal erledigen kann. Wenn wir Neugeborene betrachten, wird uns bewusst, warum wir zirkadiane Rhythmen brauchen. Aus den Entwicklungsmustern von Neugeborenen ist ersichtlich, dass Babys ohne eine ausgereifte innere Uhr auf die Welt kommen: Es sind Rhythmen erkennbar, aber sie sind nicht stabil. Babys versuchen beispielsweise einzuschlafen, aber mitten in der Nacht bekommen sie Hunger oder machen in die Windel. Beide biologischen Bedürfnisse sind stark genug, um sie aufzuwecken. Dann weinen sie, weil sie Hunger oder eine schmutzige Windel haben, gleichzeitig aber auch müde sind. Alles ist durcheinander. Wenn ihre innere Uhr jedoch im Alter von fünf bis acht Monaten stabiler wird, gewinnen sie mehr Kontrolle über ihre Körperfunktionen. Das zeigt sich zunächst daran, dass sie mehrere Stunden am Stück schlafen können. Die Verdauung verlangsamt sich, sodass sie nachts nicht mehr gefüttert werden müssen, und der Stuhlgang verschiebt sich auf morgens, weil die Produktion der Hormone, die ein Entleeren des Darms fördern, während des Schlafs unterdrückt wird. Der Rhythmus wird Tag für Tag eingefahrener.

      Wenn aus Babys Kleinkinder werden, weist das Familienleben bestimmten Aktivitäten bestimmte Zeiten zu. Wir haben festgesetzte Zeiten für Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Gleichzeitig sind die Lichtsensoren in unseren Augen darauf programmiert, Veränderungen des Morgenlichts zu bemerken und unsere innere Uhr jeden Tag um einige Minuten oder Sekunden anzupassen. Diese „Lichtaufnahme“ und das Abgleichen unserer inneren Uhr mit der Natur hat unsere Vorfahren in die Lage versetzt, unabhängig von der Jahreszeit bei Sonnenaufgang aufzuwachen.

      Die zirkadiane Uhr ist unser inneres Zeitsystem, das zusammen mit dem Licht und dem Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme unsere täglichen Rhythmen bestimmt. Unsere Aufgabe besteht darin, unsere innere Uhr zu pflegen, um optimale Gesundheit zu erzielen. Wie dieses Buch Ihnen zeigen wird, funktioniert dies am besten, wenn wir gemäß unserer inneren Uhr leben, anstatt gegen sie anzuarbeiten. Doch schauen wir uns zunächst einmal an, welche Rolle das Licht spielt.

       Eine kurze Geschichte des Lichts

      Die gesamte Menschheitsgeschichte lässt sich zusammenfassen als Wettlauf gegen die Zeit. Wir versuchten immer wieder neue Ur-Rhythmen zu entwickeln, um Veränderungen der Umwelt vorherzusehen und auf sie zu reagieren. Wenn wir verstehen wollen, auf welche Weise Licht unser Verhalten beeinflusst, müssen wir unser Augenmerk auf die Evolutionsbiologie lenken. Sie verfolgt unsere Entstehungsgeschichte rund zwei Millionen Jahre zurück und beschäftigt sich mit den Anpassungsmechanismen, die wir entwickelt haben, um in jeder Umgebung zu überleben. Auch heute noch spielt die Evolution eine Rolle, weil unsere Physiologie – unsere elementare Funktionsweise – sich in den letzten zwei Millionen Jahren kaum verändert hat. Wir sind immer noch darauf ausgelegt, nachts zu schlafen und am Tag zu essen und zu arbeiten, basierend auf einem Zyklus, den unsere innere Uhr vorgibt.

      Wir wissen, dass die Entwicklung des modernen Menschen größtenteils auf Höhe des Äquators stattfand und dass sein Tagesablauf durch die Sonne und einen entsprechend starken zirkadianen Rhythmus bestimmt wurde. Urzeitmenschen mussten vor Sonnenaufgang wach werden, um erfolgreich zu jagen, denn ihre Strategie bestand darin, Tiere auf dem Weg zu einem Wasserloch zu erlegen. Wenn Jagen nicht möglich war, hatten unsere Vorfahren viel Zeit, um die Gegend zu erkunden und Beeren und Früchte zu sammeln. Nahrung zu finden und zu essen, nahm viel Zeit in Anspruch, vor allem, wenn man sich dabei vor Raubtieren vorsehen musste.

      Die Menschen der Urzeit benötigten am späten Nachmittag auch einen ausreichenden Muskeltonus, um nach der Nahrungssuche den oft kilometerlangen Rückweg zu ihrer Höhle oder ihrem Unterschlupf antreten zu können. Anthropologen gehen davon aus, dass die ersten Menschen ihre letzte Mahlzeit in der Abenddämmerung zu sich nahmen, sodass vor Einbruch der Nacht genügend Zeit blieb, um einen sicheren Schlafplatz zu finden. Die nächtliche Ruhezeit betrug 12 bis 15 Stunden, die meiste Zeit davon diente