Satchin Panda

Der Zirkadian-Code


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der wechselnden Tageslichtdauer passen sich unsere zirkadianen Rhythmen an die Zeitverschiebungen bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang an. Lange Zeit wussten wir nicht genau, wie diese Rhythmen sich auf die neuen Zeiten einstellen oder auf welche Weise unsere innere Uhr von Licht beeinflusst wird. Doch unsere Forschungen ergaben, dass es genau diese Sensoren für blaues Licht sind, die unsere innere Uhr justieren, wenn die Tageslänge sich aufgrund der Jahreszeiten oder einer Reise in eine andere Zeitzone verändert. Auch haben sie direkte oder indirekte Verbindungen zu Hirnregionen, in denen Depression, Wachheit, Schlaf und die Produktion des Schlafhormons Melatonin stattfinden, und sogar zu dem Hirnzentrum, das die Entstehung von Migräne oder Kopfschmerzen steuert.

      Melanopsin verfügt über eine weitere interessante Eigenschaft: Es benötigt eine Menge Licht, um es zu aktivieren. Wenn Sie beispielsweise Ihre Augen in einem dämmrigen Raum für wenige Sekunden öffnen, können Ihre Zapfen und Stäbchen ein Bild des Raumes aufnehmen, aber Ihre Melanopsin-Zellen werden reagieren, als sei es zu dunkel, um etwas zu sehen.

      Diese Entdeckungen vermittelten uns einen ersten Eindruck davon, inwieweit Licht unsere Gesundheit beeinflusst. Unsere moderne Lebensweise, in der wir einen Großteil unserer Zeit in geschlossenen Räumen verbringen, auf helle Bildschirme starren und anschließend am Abend helles Licht einschalten, aktiviert Melanopsin zu den falschen Tages- und Nachtzeiten, was dann unsere innere Uhr durcheinanderbringt und die Produktion des Schlafhormons Melatonin senkt. Die Folge davon ist, dass wir keinen erholsamen Schlaf mehr finden. Wenn wir am nächsten Tag aufwachen und wieder den größten Teil des Tages drinnen verbringen, kann das dämmrige Licht das Melanopsin nicht voll aktivieren und wir können unsere innere Uhr nicht an den Tag-Nacht-Zyklus anpassen. Wir fühlen uns schläfrig und sind weniger aufmerksam. Nach wenigen Tagen oder Wochen stellen sich Depressionen und Ängste ein.

      Da wir nun mehr über die Art, Menge und Dauer des Lichts wissen, das unsere Gesundheit beeinflusst, lässt sich leicht vorstellen, wie wir durch kleine Veränderungen an unseren Glühbirnen, Computer-Bildschirmen oder Brillen einiges für unsere Gesundheit tun können.

       KAPITEL 2

       Wie zirkadiane Rhythmen funktionieren, oder: Timing ist alles

      Der zweite Teil meiner Forschungen enthüllte weitere Informationen über unsere innere Uhr. Alle Lebewesen der Erde erleben täglich eine unabänderliche und vorhersehbare Veränderung ihrer Umgebung: Aus Tag wird Nacht. Ganz gleich, ob ein Lebewesen in der Wüste, den Bergen oder im Regenwald zuhause ist, und unabhängig davon, ob es vor einer Milliarde Jahren auf diesem Planeten existierte oder heute. Um mit diesem täglichen Wechsel von Hell zu Dunkel umzugehen, hat nahezu jeder lebende Organismus eine Art von innerer Uhr oder zirkadianem Rhythmus entwickelt.

      Jedes Lebewesen erledigt während seines 24-Stunden-Tages Folgendes:

      •Energieaufnahme (Nahrung)

      •Optimierung des Energieverbrauchs durch Nutzen eines Teils der Energie für den jeweiligen Tag und Speichern der restlichen Energie zum späteren Gebrauch

      •Schutz vor gefährlichen Stoffen und Raubtieren bzw. Fressfeinden

      •Wachstum oder Reparatur

      •Fortpflanzung

      Alle diese Funktionen werden gesteuert von einer inneren Uhr, die die Fähigkeiten des jeweiligen Organismus zur Ausführung dieser Aufgaben optimiert, indem sie jedem einzelnen Aspekt eine optimale Tagesoder Nachtzeit zuweist.

      Die innere Uhr von Pflanzen folgt mehr oder weniger einem 24-Stunden-Rhythmus, in dem Sonnenaufgang und Sonnenuntergang sozusagen einprogrammiert sind, damit die Pflanze Sonnenlicht und Kohlendioxid optimal nutzen und daraus Nahrung herstellen kann. Die Uhr gibt den Rhythmus vor und die Pflanzen heben ihre Blätter eine Stunde oder zwei vor Sonnenaufgang an und aktivieren bestimmte Gene, damit sie bereits die ersten Sonnenstrahlen nutzen können. Am Ende des Tages stellen Pflanzen ihre „Licht-Erntemaschine“ eine oder zwei Stunden vor Sonnenuntergang ab, damit keine Energie darauf verschwendet wird, die Maschine laufen zu lassen, wenn gar kein Licht vorhanden ist. Schließlich sinken die Blätter gegen Abend wieder ab, als wären die Pflanzen bereit, nun schlafen zu gehen.

      Zusätzlich verfügen Pflanzen über einen täglichen Rhythmus, der ihnen sagt, wann sie blühen sollen – basierend auf der Jahreszeit oder verschiedenen Tages- oder Nachtzeiten. Dieser Pflanzenrhythmus richtet sich nach dem Rhythmus der bestäubenden Bienen und Insekten, die in den Pflanzenblüten ihre Nahrung finden. Große Pflanzenfresser wie Kühe oder Kamele fressen am Tag und kleine Nagetiere fressen Früchte und Gemüse bei Nacht, um ihren Fressfeinden zu entgehen. Anders gesagt: Sie nutzen ihre innere Uhr, um dann wach zu werden, aktiv zu sein und zu fressen, wenn es am sichersten ist. Selbst der Brotschimmel Neurospora, der auf anderen Lebensmitteln wächst, verfügt über eine innere Uhr, die ihn in einem 24-Stunden-Rhythmus anhält zu wachsen und mehr Sporen zu produzieren. Seine Sporenproduktion ist zeitlich so abgestimmt, dass zur jeweiligen Tageszeit eine optimale Verteilung der Sporen durch den Wind gewährleistet ist.

      Wie wir bereits im vergangenen Kapitel gesehen haben, scheint dieses hervorragende Timing zunächst vom Licht abhängig zu sein. Doch erst durch Erforschen der genetischen Komponenten konnten Wissenschaftler wie ich tatsächlich herausfinden, wie innere Uhren genau funktionieren. Wir stellten fest, dass zirkadiane Rhythmen zwar vom Licht beeinflusst werden, das Timing aber durch die Gene bestimmt wird.

       Die Genetik unserer inneren Uhr

      Der menschliche Körper besteht aus Millionen von Zellen, die alle – je nach ihrer Position im Körper – spezielle Aufgaben haben: Es gibt Zellen, die jeden Körperteil vom Zeh bis zum Gehirn bilden. Dennoch besitzt jede dieser Millionen von spezialisierten Zellen das gleiche Genom, das alle Erbinformationen enthält, die wir von unseren Eltern bekommen haben. Diese Information ist in unserer DNA verschlüsselt. Die einzelnen Segmente, die diese genetische Information enthalten, werden Gene genannt. Einige Gene drücken sich in sichtbaren Eigenschaften aus und bestimmen beispielsweise die Augenfarbe. Andere wiederum steuern biologische Eigenschaften wie die Blutgruppe, das Risiko für bestimmte Krankheiten sowie Tausende von biochemischen Prozessen, einschließlich unserer inneren Uhr.

      Diese Prozesse werden durch verschiedene Arten von Proteinen ausgeführt. Einige Proteine sind Enzyme, die wie Werkzeuge arbeiten (Bohrer, Hammer, Meißel usw.). In jeder Zelle führen Enzyme viele verschiedene Aufgaben durch, beispielsweise die Produktion von Cholesterin und das Aufspalten von Fett. Andere Proteine dienen dem Aufbau, sie sind die Bausteine der Zellen, ähnlich wie einzelne Teile Ihres Zuhauses (Wände, Türen usw.). Einige kleine Proteine sind in Wahrheit Hormone (obwohl nicht alle Hormone kleine Proteine sind) – also chemische Botenstoffe, die die Funktionsweise der Organe steuern. Manche Proteine leben lange, andere nur für kurze Zeit.

      Die Gesundheit unserer Organe und das Risiko für bestimmte Krankheiten hängt davon ab, welche Gene wir besitzen und wie sie exprimiert, also ausgedrückt sind, sprich: ob ein bestimmtes Gen ein- oder ausgeschaltet ist und ob es sich um ein normales Gen oder eine Mutation handelt. Sicher ist Ihnen schon aufgefallen, dass manche Menschen essen können, was sie wollen, während andere darüber klagen, dass bestimmte Lebensmittel wie Milchprodukte ihnen Verdauungsprobleme bereiten und Blähungen oder Verstopfung auslösen. Menschen, die unter solchen Problemen leiden, haben eine Mutation in dem Gen, das dafür verantwortlich ist, die in Milch enthaltenen Nährstoffe aufzuspalten und zu verarbeiten.

      Durch den Vergleich von mutierten Genen mit normalen lernen wir viel darüber, wie Gene funktionieren sollen und welche Folgen eine Mutation hat. In meinem Fachgebiet lernten Forscher, unsere innere Uhr zu verstehen, indem sie nach mutierten Organismen suchten, deren Uhren entweder zu schnell oder zu langsam liefen. Im Jahr 1971 hielten am California Institute of Technology der Genetiker und Fruchtfliegenspezialist Professor Seymour Benzer und sein Doktorand Ron Konopka Tausende von Fruchtfliegen bei konstanter Dunkelheit. Junge Fliegen sind zumeist in der Morgen- und Abenddämmerung aktiv, nehmen tagsüber eine Auszeit und schlafen in der Nacht. Die Fruchtfliegen