Adharanand Finn

Der Aufstieg der Ultra-Läufer


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an meinem verschwitzten Körper. Schon seit Tagen presst die Sonne jeden Tropfen Feuchtigkeit langsam aus meinem Körper und meinem Geist heraus, als wäre ich in einem Schraubstock gefangen. Aber jetzt stehe ich wieder und bewege mich, immer Hansmartins Fußstapfen folgend. Niemand sagt ein Wort. Die beiden sind fast genauso erschöpft wie ich, doch wir kämpfen uns weiter voran. Alles nur im Schritttempo, doch beide verwenden Walking-Stöcke und bewegen sich zielstrebig vorwärts. Ich starre auf Hansmartins Rucksack, der sich auf und ab bewegt, als er sich seinen Weg durch den Sand bahnt. Irgendwann beginnt sich mein Körper langsam zu erholen. Ich fühle ein leichtes Zucken in meinen Beinen. Mein Kopf wird wieder klarer. Unbewusst beginne ich zu traben.

      „Ah, gut, gut“, sagt er. „Geh nur. Wir sehen dich dann im Ziel.“ Und mit diesen Worten beginne ich wieder zu laufen. Die Dünen wachsen nun langsam zu Bergen an; die höchsten Dünen des Rennens, aber ich kann das Meer fast schon riechen. Ich nehme meine Sonnenbrille ab und stecke sie in die Tasche. Der Sand ist weiß. Ich stapfe die hohen rutschigen Hänge hinauf und hüpfe und stolpere auf der anderen Seite wieder hinunter. Ich stelle mir vor, ich wäre ein Kind, das ganz aufgeregt zum Meer läuft.

      Mehrere Male denke ich, ich wäre endlich am Ziel, doch da türmt sich die nächste Düne vor mir auf. Aber jetzt bin ich voller Adrenalin. Ich höre schon, wie das Ziel nach mir ruft. Und plötzlich bin ich da. Ein Zieleinlauf aus Ballons. Zelte. Menschen, die zwischen den Wellen auf- und abtauchen. Ich bin unter den Letzten, die ins Ziel kommen und die meisten hier erholen sich bereits im Lager, kochen und waschen ihre Kleidung. Zwei holländische Läufer sehen mich die Ziellinie überqueren und applaudieren mir verhalten. Ihr Enthusiasmus, die anderen beim Zieleinlauf zu bejubeln, hält sich mittlerweile bereits in Grenzen. Ein gelangweilter Fotograf erhebt sich aus seinem Stuhl im Schatten und richtet seine Kamera auf mich. Er fragt, wie ich mich fühle. Für das Rennvideo, sagt er.

      Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Nach allem, was ich durchgemacht habe, sollte ich eigentlich vor Emotionen überschäumen, doch ich fühle mich eigenartig wortkarg.

      „Es war hart“, ist alles was ich herausbringe. „Verdammt hart.“ Mit diesen Worten nehme ich meinen Rucksack ab und stolpere den Strand hinunter, hinein ins kühle Nass des Golfs von Oman und lasse mich in die Wellen fallen.

      „Nie wieder werde ich so etwas Dämliches machen“, sage ich zu mir.

      1

      Der Oman Desert Marathon war mein erster Ultra-Marathon. Das Rennen verläuft knapp 165 km durch brennendheißen Wüstensand. Eigentlich wollte ich ja gar nicht daran teilnehmen. Die Idee kam auf, als mich ein Redakteur der Financial Times kontaktierte und fragte, ob ich einen Artikel darüber schreiben würde. Meine erste Antwort damals war ein klares „Nein“.

      Wenn es ums Laufen geht, habe ich mich immer irgendwie als Puristen gesehen. Als einen Menschen, der gleich viel Bewunderung für jemanden empfindet, der für die Meile unter vier Minuten benötigt, wie für jemanden, der rund um die Welt läuft. Um rund um die Welt zu laufen, benötigt man Entschlossenheit, Verbissenheit, gute Vorausplanung und jede Menge Freizeit. Aber um schnell zu sein, wirklich schnell, dazu braucht es Können, Engagement und ein spezielles Talent, das über viele Jahre hinweg trainiert werden muss. Athleten wie Mo Farah, David Rudisha oder Eliud Kipchoge in voller Fahrt zu sehen, war reine Poesie – menschliche Anstrengung kombiniert mit unglaublicher Grazie, Balance und Kraft. Es war Laufen in seiner schönsten Form.

      Ultra-Running hingegen war so, als drösche man so lange auf das Laufen ein, bis es fast tot war. Rucksäcke, Stöcke, Verpflegung, Stirnlampen – das alles machte es nur noch umständlicher. Es wurde zu etwas anderem. Bewundernswert und mutig, sicherlich. Verrückt und geisteskrank, möglicherweise. Aber mit Laufen hatte das nichts mehr zu tun.

      Innerlich ärgerte es mich immer, wenn Leute, die mich aufs Laufen ansprachen, mehr von der Distanz, die ich gelaufen war, beeindruckt waren als von meiner Zeit. Für mich war die Länge der Strecke irrelevant, wenn man nicht wusste, wie schnell man gelaufen war. Meiner Meinung nach konnte so ziemlich jeder Jogger oder sogar Spaziergänger lange Distanzen zurücklegen, wenn er es nur wollte. Das war jetzt kein besonderer Verdienst.

      Eines schönen Tages, ich holte mir gerade eine Tasse Kaffee im Londoner Büro, sprach mich ein Kollege, der wusste, dass ich gerne lief, auf das Thema an.

      „Du läufst doch Triathlons, oder?“, fragte er.

      „Nein“, antwortete ich.

      „Oh. Ultra-Marathons?“

      „Nein“, sagte ich. Er sah verwirrt drein.

      „Also nur Marathon?“, sagte er.

      Einen Marathon zu laufen war früher einmal eine ganz große Sache. Die Leute ließen sich leicht damit beeindrucken. Manchmal fragten sie sogar nach der Zeit, die man gelaufen war, und wenn diese unter drei Stunden lag, konnte man sehen, wie sie beeindruckt ihre Augenbrauen hochzogen. Aber diese Kaffeepausenmentalität, bei der man gerne den Kopf über die Verrücktheiten anderer schüttelt, bei der man dieses erstaunte „Verdammt, das ist ja komplett irre, na besser du als ich“ erwartet, sich jedoch nicht in irgendwelchen Details verlieren möchte, hat sich inzwischen an viel extremere Dinge gewöhnt. Marathons sind nur mehr kleine Fische. Es scheint, als wären wir im Zeitalter des „Es ist ja nur ein Marathon“ angekommen. Heute muss Laufen schon mit der protzigen Vorsilbe „Ultra“ daherkommen. Hundertsechzig Kilometer durch die Wüste? Wow. Das beeindruckt wirklich jeden.

      Jeden außer mich, anscheinend. Immer wenn ich mir ein Video auf einer dieser Ultra-Laufseiten im Internet ansah und sah, wie die Läufer zum Teil nur mehr gingen, tat mir das Herz weh. Ich erinnere mich an einen Blog namens Das A bis Z des Ultra-Running und unter G war zu lesen: „Gehen: eine Art sich fortzubewegen, die selten Anerkennung findet, jedoch oft bei Ultra-Marathons zum Einsatz kommt. Um unser Gesicht einigermaßen zu wahren, nennen wir es ‚Powerhiking‘.“

      In meiner Welt schneller 10.000-Meter-Läufe und dienstäglichen Laufbahnsessions mit meinem Leichtathletik-Club beeindruckten Ultra-Marathons – das heißt Rennen über der Standarddistanz von 42,195 km – nur Leute, die absolut keine Ahnung vom Laufsport hatten. Aber ich hatte eine Ahnung vom Laufen. Also sagte ich auch nein zu dem Oman-Job.

      Es war dann allerdings Marietta, meine Frau, die mich dazu brachte, doch noch einmal darüber nachzudenken.

      „Sag, zahlen die meisten Leute nicht einen Haufen Geld dafür, um an solchen Rennen überhaupt teilnehmen zu dürfen?“, meinte sie. „Und dich würden sie sogar dazu einladen, dort zu laufen. Ich dachte, du läufst so gerne?“

      Sie hat recht. Eine Teilnahme an solch großen mehrtägigen Etappenrennen ist nicht billig. Dazu kommt auch noch die Ausrüstung. So ein Rennen kostet einiges an Geld und viel Zeit weg von zu Hause und der Arbeit. Warum also machen Leute so etwas? Sicherlich nicht nur, um damit ihre Arbeitskollegen in der Kaffeepause zu beeindrucken.

      Es war zwar nicht meine Art von Rennen, doch je mehr ich darüber nachdachte, was alles damit zusammenhing, desto mehr wurde mir bewusst, dass quer durch die Wüste zu laufen ein unglaubliches Abenteuer wäre, schon allein der Erfahrung wegen. Draußen unter den Sternen zu schlafen, hundertfünfundsechzig Kilometer Wildnis aus eigener Kraft zu durchqueren. So gesehen hörte sich das ganze eigentlich sehr verlockend an, ja geradezu genial. Ich schob meinen inneren Lauffreak für einen Moment beiseite. Das wäre die Gelegenheit, eins mit der Natur zu werden, mit dem Planeten, und Zeit draußen in der Wildnis zu verbringen. Wer kann schon sagen, was da auf mich zukäme und welche Erfahrungen da draußen unter der gleißenden Sonne auf mich warteten. Vielleicht käme ich ja als neuer Mensch zurück. Und außerdem verlöre ich ja dabei wohl kaum Fitness für mein „richtiges“ Laufen. Nach meiner Rückkehr wäre ich in der Form meines Lebens. Win-win könnte man sagen. So rief ich also den Redakteur zurück.

      „Ich weiß, das hört sich ziemlich krank an“, sagte er. „Das Ganze geht über sechs Tage, aber du kannst ja nach zwei oder drei Tagen aufhören, wenn du willst.“

      Oh nein, ganz oder gar nicht war nun die Devise. Auf einmal war ich wie besessen von dieser Idee, immer weiter zog sie mich in ihren Bann. Ich wollte wissen, wie es