Adharanand Finn

Der Aufstieg der Ultra-Läufer


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kaum nennen. Ich beobachtete meinen Schatten, das Kissen, das ich aus dem Flugzeug mitgehen hatte lassen, war oben auf meinem Rucksack befestigt. Ein Geniestreich. Es wog so gut wie nichts, würde mir jedoch helfen besser zu schlafen. Ich mochte vielleicht nur mit Schlaufen befestigte Laufgamaschen haben, aber ich hatte ein Kissen.

      Insgesamt waren wir nur ungefähr 75 Läufer am Start und das Feld begann sich schnell auseinanderzuziehen. Die erste Stunde führte unser Weg durch eine flache, sandige Ebene, bevor er nach der ersten Versorgungsstelle in die Sanddünen verschwand. Hier war der vom Wind zusammengetragene Sand tief, abschüssig und sehr locker. Schon darauf zu gehen war mühsam, geschweige denn zu laufen. Dies waren Dünen, wie man sie aus den Tim-und-Struppi-Heften kennt, aus ganz feinem Sand, der dir sofort in die Schuhe läuft, egal wie stramm deine Gamaschen sitzen. Und meine saßen gar nicht besonders stramm.

      Zudem stieg auch die Temperatur immer weiter und näherte sich, nun als wir durch die Dünen liefen, 40 °C. Ich kämpfte mich weiter. Mit jedem meiner schweren Schritte sank ich tiefer ein und ich wurde langsamer und langsamer. Jeden Moment erwartete ich, dass die erfahrenen Läufer gleich an mir vorbeikämen, doch niemand tauchte auf. Die hatten wohl alle die gleichen Schwierigkeiten.

      Nach einigen Stunden, in denen wir uns nur dahingeschleppt und vor uns her geflucht hatten, rollten wir den letzten langen Dünenhang hinunter auf den finalen und flachen Teil der Strecke. Dieser erste Tag war weitaus härter, als ich erwartet hätte.

      An diesem Nachmittag, als ich in einem der berberartigen Zelte im Camp saß, redete ich mir ein, dass uns die Organisatoren am ersten Tag durch die Dünen gehetzt hatten, um uns eine Kostprobe davon zu geben, wie es sein könnte, um das Rennen gleich einmal mit einem Knaller zu beginnen, dass aber das restliche Rennen – wie anfangs versprochen – größtenteils über festgestampften Boden verlaufen würde und sich an der einen oder anderen Stelle durch die Dünen zieht.

      Das müssen sich wohl auch die anderen gedacht haben, da gegen vier Uhr nachmittags plötzlich ein Aufschrei durch das Lager ging. Was war los? Die Leute kamen aus ihren Zelten, deuteten und schüttelten die Köpfe. „Das kann doch nur ein Witz sein“, sagte jemand. „Das geht doch nicht“, ein anderer.

      Ganz oben auf der Düne, gegenüber des Lagers, war die erste Wegmarkierung gesetzt. Wir würden also den zweiten Tag damit beginnen, dorthin nach oben zu laufen. Das würde die Sache nicht einfacher machen.

      Und so ging es weiter. Jeden Tag war ich mir sicher, dass wir uns auf der nächsten Etappe etwas erholen könnten, doch jeder Tag war härter als der davor. Der endlose Sand, die Hitze, die jedes bisschen Leben aus mir herausquetschte. Doch es gab auch Momente, die mir Energie gaben, mich motivierten. Am vierten Renntag stellte ich fest, dass ich unter den Top 20 lag und entschied, in einem plötzlichen Anfall von Wettkampfdenken, diese Etappe ohne zu gehen zu absolvieren. Das klappte auch beinahe. An Stellen, wo der Sand tiefer wurde, versuchte ich breitbeinig mit kleinen Schritten hochzukommen. Das war zwar langsam, aber einfacher und noch immer schneller als gehen. Vor allem da ich weniger tief einsank. Ich passte mich einfach an die Dünen an. Langsam hatte ich den Dreh raus. Ich würde mich nicht unterkriegen lassen.

      Am vierten Tag kam ich mit zum Jubel geballten Fäusten ins Ziel und setzte mich zu den schnellsten Läufern, wo ich auf die anderen wartete, die ihre Tortur erst nach mir bewältigt hatten. Das Gute daran schneller zu sein war, dass du weniger Zeit im Würgegriff der sengenden Hitze verbringen musstest. So gesehen war es sogar einfacher, schneller zu laufen. Am nächsten Tag sagten uns die Organisatoren, dass die Strecke nun flacher und der Sand fester sein würde. Diesmal glaubte ich ihnen wirklich. Ich konnte es mir sogar in meinem Kopf richtig vorstellen: ein fester Weg bis ins Ziel. Das würde ich locker bewältigen.

      Es war Tag fünf und die längste Etappe des Rennens stand auf dem Programm – diesmal über die normale Marathondistanz und größtenteils während der Nacht. Die Top 20 Läufer würden zwei Stunden nach dem Rest des Feldes starten. Also fanden wir uns alle am Nachmittag im Camp zusammen, wo sie die Namen der Top 20 Läufer verlautbarten. Auch mein Name war darunter, Platz 17. Du bist wirklich ein harter Kerl Finn. Legt euch besser nicht mit mir an. Als wir wieder in unsere Zelte gingen, bemühte ich mich, nicht zu selbstzufrieden dreinzusehen. Einige der erfahrenen Ultra-Läufer sprachen bereits darüber, wie hart dieses Rennen sei. Ich war aber noch immer gut dabei, und das, obwohl ich nur halb so gut vorbereitet war.

      Viele Läufer nehmen an diesen Rennen auch teilweise aus Kameradschaft mit den anderen Läufern teil. Wenn man eine Woche lang zusammen durch die Wüste läuft, verbindet das einfach. Unsere Gruppe in Zelt 2, wie wir genannt wurden, bestand vorwiegend aus Italienern – unter anderem auch der Mutter eines Spielers aus der Premier League – sowie einem Biotechniker aus Belgien, einer quirligen Dame aus Südafrika und einem weiteren Briten, namens Rob, der in der Armee diente.

      Einige der anderen in Zelt 2 waren ebenso unter den Top 20, doch leider nicht Dino, mein Freund. Er schien trotzdem guter Dinge zu sein. Ihm war die Platzierung egal, er war hier für die Erfahrung, zu plaudern und Fotos zu schießen. Oft hielt er nachmittags Hof in unserem Zelt, wenn wir uns ausruhten, und erzählte uns, wo er schon überall war – in über 200 Ländern, sagte er dann und begann sie aufzuzählen – meist bei Ultra-Rennen. Er erzählte Geschichten über Probleme mit Banditen in Mexiko, gefährliche Begegnungen mit Krokodilen in Botswana, Stürze in Gletscherspalten in Island. Er erzählte sie alle mit großer Begeisterung, viel Humor und ausladenden Gesten.

      Monate später sandte mir Dino einen Clip aus einem Interview, das er dem italienischen Sky-Sports-Kanal über das Rennen im Oman gegeben hatte – der Gute wird immer von jemandem interviewt. In diesem Interview spricht er darüber, dass er sich das Zelt mit der Mutter eines Liverpool-Spielers aus Italien und einem Engländer aus Liverpool geteilt hatte. Damit war ich gemeint. Ich stamme zwar nicht aus Liverpool, aber ich verbrachte dort drei Jahre während meines Studiums und ich mochte das Team. Wie dem auch sei, er erzählte, wie wir die langen Nachmittage damit verbrachten, uns über Liverpools Fußballlegenden zu unterhalten, die großen Spiele und über die Hymne Liverpools – You’ll Never Walk Alone – welche von allen Fans am Spieltag gesungen wird.

      Kurz darauf spricht er darüber, wie er sich während einer Etappe plötzlich ganz alleine und erschöpft unter der sengenden Sonne wiederfand. Er hatte begonnen zu gehen und summte dieses Lied leise vor sich her. Dabei verlor er sich in seiner eigenen Welt, so dass er gar nicht bemerkte, wie ich zu ihm aufschloss. Als ich hörte, was er da vor sich hin summte, begann ich miteinzustimmen. Da blickte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht durch seine spiegelnden Sonnenbrillen zu mir herüber und wir gingen zusammen weiter, während wir wie zwei glückselige Fußballfans You’ll Never Walk Alone aus voller Kehle sangen.

      „Wissen Sie“, sagte er zu dem Reporter, „wenn du an verrückte Orte reist, triffst du verrückte Leute.“ Ich weiß nicht, wen genau er damit gemeint hatte, mich oder ihn oder vielleicht uns beide, aber mir gefiel dieser Satz. Ultra-Marathons und die Orte, an die es einen dadurch verschlug, waren wirklich verrückt und langsam fing ich an zu begreifen, dass dieser Sport einen ganz bestimmten Typ Mensch ansprach. Nicht ganz klar im Kopf, vielleicht, aber auch offen, freundlich und warmherzig. Zumindest ist es das, was Dino sagte.

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      Um etwa drei Uhr nachmittags gesellte ich mich zu den Top 20, der Crème de la Crème des Ultra-Laufs, um das Hauptfeld, mit Dino an der Spitze, zu verabschieden. Wir sahen ihnen dabei zu, als sie wie Ameisen über den Sand davonkrabbelten. Danach gingen wir wieder zurück in unsere Zelte, um uns auf unseren Start vorzubereiten.

      Nachdem ich mich schon ein paar Tage durch meine Vorräte gefuttert hatte, war meine Tasche inzwischen um einiges leichter geworden und einfacher zu tragen. Ich werde nur so dahinfliegen, sagte ich zu mir. Vor allem auf dem härteren Boden.

      Doch der härtere Untergrund kam nicht. Und je länger die Nacht andauerte, desto lockerer wurde die endlos scheinende Spur aus aufgewühltem Sand. Es kam mir vor, als versänke ich langsam im Boden und mir wurde klar, dass ich mich am Vortag übernommen hatte und meine Beine nun immer schwerer wurden. Einer der Rennärzte hatte mir meine überstrapazierte Leiste zwar getapt, doch nun begann sie richtig zu schmerzen. Auch die