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Die Entdeckung der Freiheit


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vor allem auf die Frage nach der Modernität Arendts im Vergleich zu anderen Theorien des Handelns, etwa bei Max Weber oder Jürgen Habermas.

      Michael Th. Greven stellt in seinem Beitrag explizit die Frage nach der Modernität des politischen Denkens von Hannah Arendt. Jedes Konzept von Modernität, so Greven, müsse „der Kontingenz und damit Krisenhaftigkeit der modernen Welt zureichend Rechnung tragen“. Nach einer Rekonstruktion von Arendts Handlungsbegriff und der ihn tragenden philosophischen Annahmen versucht Greven dann Schritt für Schritt, „ontologisierende“ und inkonsistente Begriffsbildungen in Arendts politischem Denken aufzuzeigen. Dabei bezieht er sich auf ihre Dreiteilung der menschlichen Tätigkeiten in Arbeiten, Herstellen und Handeln. Diese Trias sei willkürlich, weil sie der „unendlichen Vielfalt und Kontingenz menschlichen Tuns“ nicht gerecht werde. Greven kontrastiert im weiteren Verlauf seiner Ausführungen Arendts Handlungsbegriff mit Max Webers Beitrag zur Begründung einer „eigenständigen Soziologie als Handlungswissenschaft“. Weber, so Greven, unterscheide zwischen beobachtbarem Verhalten und einem nur beim Menschen in seiner Sinnhaftigkeit rekonstruierbaren Untertypus, den er „Handeln“ nenne. Dank dieser Unterscheidung vermeide Weber die Festlegung auf bestimmte Grundformen menschlicher Tätigkeit und könne durch die Einführung der Kategorien der „Möglichkeit“ und „Chance“ den „kontingenten Dimensionen des Handelns“ besser begegnen als Arendt. Hannah Arendt dagegen bleibe durch ihre „essentialistische Gleichsetzung“ des Handelns mit einem bestimmten Seinsbereich hinter der unaufhebbaren Kontingenz der modernen Welt zurück und lasse Zweifel an der Anschlußfähigkeit ihres Handlungsbegriffs für eine heutige Theorie der Politik aufkommen.

      Winfried Thaa arbeitet in seinem Beitrag zunächst eine Reihe durchaus sinnfälliger Gemeinsamkeiten zwischen Hannah Arendt und der Kritischen Theorie heraus, etwa in bezug auf die Kritik „instrumenteller Vernunft“, den Konformismus moderner Massengesellschaften oder die Gefährdung des Individuums durch Hedonismus und Kulturindustrie. In einem zweiten Schritt versucht er dann zu zeigen, daß Arendt im Unterschied zu den Vertretern der Kritischen Theorie jedoch durch ihre Auseinandersetzung mit den Freiheitspotentialen der amerikanischen politischen Tradition eine „Demokratisierung der Kulturkritik“ gelang. Arendt entwickle ihre Kritik an der Hybris und Amoralität des modernen Menschen nicht vom melancholischen Standpunkt einer „unwiderruflich verlorenen objektiven Vernunft“, sondern bestimme aufgrund ihrer Unterscheidung von Arbeiten, Herstellen und Handeln im „sinnstiftenden und Freiheit verwirklichenden Handeln ein Gegenmodell zum Funktionalismus des Arbeitens und zur instrumentellen Logik des Herstellens“. Insbesondere ihre existentialphilosophisch geprägte Qualifikation des Handelns durch Weltlichkeit und Pluralität ermöglichte es Arendt, die herrschaftszentrierte Wahrnehmung des Politischen zu überwinden. Im Gegensatz zu Max Weber gelinge es Arendt deshalb, das Kontingenzproblem moderner Gesellschaften statt durch Dezisionismus und Herrschaft nun politisch, das heißt durch das institutionell begrenzte Handeln unter Gleichen zu lösen. Während Greven Arendts Handlungsbegriff als vormodern kritisiert und im Vergleich für Webers „offeneren“ Handlungsbegriff plädiert, argumentiert Thaa, daß erst der Handlungsbegriff Arendts die von Platon bis Weber reichende, letztlich auf Technik und Befehls-Gehorsams-Beziehungen rekurrierende Wahrnehmung des Politischen überwinde und den modernen Bedingungen von Kontingenz und Gleichheit gerecht werde.

      Im vierten Block diskutieren Horst Mewes und Dana Villa die Frage, ob Arendt in ihrer Interpretation der amerikanischen Revolution zu einseitig auf republikanische Momente fixiert war und dadurch liberale Freiheitsvorstellungen sowie die unhintergehbare Heterogenität moderner Gesellschaften vernachlässigt habe. Rahel Jaeggi nimmt in ihrem Kommentar diese Frage auf und erweitert sie in Richtung einer allgemeinen Auseinandersetzung mit Arendts Verständnis von Pluralität und Individualität im Verhältnis zu liberalen Konzeptionen.

      Da Hannah Arendt, wie Horst Mewes argumentiert, ihre Kategorien und Prinzipien des Politischen aus den Erfahrungen der politisch Handelnden selbst ableitet, geht er methodisch zunächst so vor, daß er Arendts Lektüre der Dokumente der „Founding Fathers“ mit seiner eigenen Lektüre und Interpretation dieser Texte vergleicht. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, daß Arendts Interpretation zu einer verzerrten Analyse der modernen amerikanischen Politik führe. Den amerikanischen Revolutionären wäre es nicht allein, wie Arendt nahelege, um „öffentliche Freiheit und öffentliches Glück“ gegangen, sondern um die Sicherung und Erweiterung von „öffentlicher und privater Freiheit“. Mewes greift in diesem Kontext Tocquevilles Formulierung vom „richtig verstandenen Eigeninteresse“ auf und sieht darin die Möglichkeit, eine Brücke zwischen dem privaten und öffentlichen Bereich herzustellen. Arendt erkenne aber gerade die „privaten“ Gruppen der Zivilgesellschaft, wie sie Tocqueville besonders hervorhebe, nicht als politisch essentiell an. Ein weiteres Versäumnis Arendts bei ihrer Lektüre der Gründungsdokumente der amerikanischen Republik sieht Mewes in ihrer Vernachlässigung der Diskussionen über das Repräsentationsprinzip, obwohl gerade hier ein Schlüssel dafür vorliege, das Verhältnis von privater und öffentlicher Interessenvertretung in der amerikanischen Politik angemessen zu verstehen. Dadurch komme es bei ihr zu einer Überbewertung des Republikanismus. Auch Arendts Interpretation von John Adams’ Leidenschaft für das „öffentliche Erscheinen und Auszeichnen“ im Prozeß des politischen Handelns führe, so Mewes, zu Mißverständnissen, weil sie es versäume, der Ambivalenz des öffentlichen Auftretens, welches auch vom Verlangen nach publicity und Zurschaustellung geleitet sein kann, Rechnung zu tragen. Insofern vertrage sich ihr emphatischer Begriff des politischen Handelns kaum mit der Wirklichkeit der heutigen Mediengesellschaft.

      Dana Villa wählt in seinem Beitrag ebenfalls die Methode des Vergleichs, um Hannah Arendts spezifischen Zugang zur amerikanischen politischen Tradition herauszuarbeiten. Im Zentrum stehen dabei Arendts und Tocquevilles Interpretationen der amerikanischen Demokratie. Er stellt große Übereinstimmung nicht nur in der Bewunderung beider Autoren für das Prinzip der Selbstregierung und der Dezentralisierung der Macht fest, sondern auch in ihrer Betonung des Vorrangs des Politischen. Ein weiterer Punkt, der Arendt und Tocqueville eint, ist nach Dana Villa ihre Diagnose möglicher (bei Arendt bereits eingetretener) Pathologien der amerikanischen Gesellschaft. Dazu zähle die Sorge vor einem despotischen Verwaltungsstaat und einem auf materiellen Reichtum orientierten Individualismus. Tocqueville verstehe jedoch „Individualismus“ nicht als Selbstsucht und Selbstbezogenheit, sondern sehe darin eine desintegrierende Kraft in bezug auf Familien, Generationen und Klassen, dessen moralische Wirkung darin bestehe, „öffentliche Tugenden trockenzulegen“. Einen wesentlichen Unterschied zwischen Arendt und Tocqueville erkennt Dana Villa in ihrer Herangehensweise an das Verhältnis von Religion und Politik. Während Arendts Denken von einem tiefen „Mißtrauen gegenüber einem religiösen Antrieb der Politik“ gekennzeichnet war, meinte Tocqueville im christlichen Glauben das moralische Fundament der amerikanischen Freiheit gefunden zu haben. Diesen Aspekt der religiösen Fundierung der Demokratie bei Tocqueville, das Paradox, daß er als Advokat des Pluralismus zugleich eine gemeinsame Religion befürworte, übersähen wir heute unter dem Einfluß kommunitaristischer Interpretationen, die lediglich Tocquevilles Vorliebe für die vielfältigen zivilen Assoziationen betonten. Im weiteren Verlauf seines Beitrags fragt Villa dann, ob Arendts republikanisches Motiv des „Gründens und Bewahrens“ eine angemessenere Lösung für die radikale Pluralität moderner Gesellschaften biete. Arendt sehe in der amerikanischen Verfassung das Beispiel für einen neuen Raum der Freiheit, der ohne die Rückversicherung auf „zweifelhafte Absolutheiten“ und übergeordnete Autoritäten auskommt. Arendts „geniale“ Interpretation bestehe nun darin, den Akt der Gründung selbst zur Quelle der Autorität der Verfassung zu erklären. Gleichwohl hält Dana Villa Tocquevilles und Arendts Versuche, den „Vorrang des Politischen“ auf etwas „Stabileres als konstitutionelles Recht und institutionelle Rahmenbedingungen“ und damit auf „Mythen“ zu gründen, für nicht vereinbar mit dem moralischen Pluralismus, der die gegenwärtigen liberalen Demokratien kennzeichnet.

      Rahel Jaeggi greift die Kritik von Horst Mewes und Dana Villa an Arendt auf und versucht, die Motive von Arendts Kritik am liberalen Modell des Politischen zu ergründen. Es gehe Arendt um die „priority of the political“ gegenüber der „priority of the private“ im liberalen Modell. Nicht weil sie „antiliberal“ gewesen sei, sondern weil in der liberalen Tradition Probleme, die aus „Privatinteressen heraus motiviert sind“, zum Gegenstand politisch-öffentlicher