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Die Entdeckung der Freiheit


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sein: „Unsere einzige Chance – aber auch die einzige Chance aller kleinen Völker – liegt in einem neuen föderalen System Europas. […] Die Räume, die wirklich ökonomisch und politisch zu halten sind, erweitern sich dauernd. Es kann sehr bald eine Zeit kommen, wo die Zugehörigkeit zum Territorium durch die Zugehörigkeit zu einem Nationenverband ersetzt wird, in welchem nur der Verband als gesamter Politik macht. Also europäische Politik bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung aller Nationalitäten. Bei solch einer Gesamtregelung wäre die Gefahr der Folklore nicht mehr existent […] Das neunzehnte Jahrhundert hat uns den Zusammenfall von Staat und Nation beschert. Da die Juden überall staatstreu waren – Sie besinnen sich! –, mußten sie sich bemühen, ihre Nationalität loszuwerden, sie mußten sich assimilieren. Das zwanzigste Jahrhundert zeigt uns in den furchtbaren Bevölkerungstransferierungen und den diversen Massakern – von den Armeniern und den Ukrainepogromen angefangen – die letzten Konsequenzen dieses Nationalismus. Die englische Commonwealth zeigt – wenn auch oft und zumeist in verzerrter Form – Ansätze zu neuen Bildungen. Man hört nicht auf, Inder oder Kanadier zu sein, wenn man dem Britischen Weltreich angehört. […] Es scheint mir keine Utopie, auf die Möglichkeit eines Nationenverbandes mit europäischem Parlament zu hoffen.“18 Damit wird zugleich jedes bisheriges Bemühen um eine Minderheitenpolitik überflüssig, die immer noch von einem letztlich verhängnisvollen Verhältnis von Mehrheit und Minderheit ausgeht.

      Im Herbst 1939 wurde Blücher für zwei Monate interniert, im Mai 1940 Arendt. Blücher wurde dank guter Verbindung zur Witwe des Polizeipräsidenten von Paris freigelassen, Arendt nutzte die Wirren anläßlich der deutschen Besetzung von Paris, um Entlassungspapiere zu bekommen. Eine kurzfristige Lockerung der Flüchtlingspolitik der Vichy-Regierung im Januar 1941 ermöglichte es ihnen, mit dem Zug über Port-Bou, Barcelona und Madrid nach Lissabon und schließlich nach New York zu entkommen.

      Während dieser Zeit setzte Arendt ihre Studien zur jüdischen und europäischen Geschichte aus der Zeit in Paris fort und erweiterte sie im Lauf der folgenden Jahre unter dem Eindruck der für sie zunächst kaum zu glaubenden Nachrichten von der beginnenden Ermordung der Juden. Zwei weitere Themenbereiche sollten die Grundlagen des Totalitarismus beleuchten: das Zeitalter des Imperialismus und die Elemente der totalen Herrschaft. Alle drei Themen veröffentlichte sie als eine Analyse der Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft im Jahr 1951.

      Arendt begegnete in Amerika der Wirklichkeit einer anderen politischen Tradition, die ihren in Paris gewonnenen Einsichten über die politische Krise Europas nahekam und die sich nicht nur als Lösung der Krise der europäischen Nationalstaaten anzubieten schien, sondern auch die Hoffnung nährte, Teil einer Tradition zu sein, an der sich eine nachtotalitäre Politik orientieren könnte.