der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit des Unternehmens mittels „Selbstreinigung“ darstellen können.[5]
2. Umfang und Inhalt der Amnestieregelungen
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Amnestieprogramme können als einseitige Gesamtzusage oder als Betriebsvereinbarung abgefasst werden.[6] Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung kann grundsätzlich in Form der Spezial- oder Generalamnestie geschehen. Bei einer Generalamnestie werden allen Mitarbeitern Zusagen gemacht und vergangenes Verhalten unabhängig vom Eintreten weiterer Voraussetzungen pauschal gebilligt. Hingegen knüpft eine Spezialamnestie den Eintritt der Zusagen an weitere Faktoren, wie z.B. die umfassende Kooperation. Generalamnestieprogramme sind selten sinnvoll und unter Beachtung des Handelns zum Wohle der Gesellschaft (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG) als kritisch zu bewerten, da das Unternehmen hierdurch ohne Gegenleistung vollständig auf etwaige Regressansprüche und Sanktionen verzichtet.[7] Besser wird es meist sein, individuelle Regelungen in Bezug auf inhaltlichen, personellen und zeitlichen Umfang aufzustellen. So sollte in einem individuellen Vertrag mit jedem Mitarbeiter vereinbart werden, auf welche Ansprüche verzichtet wird, welche Kosten unter welchen Umständen übernommen werden und für welchen Zeitraum die Vereinbarung gilt. Nur so wird das Verhältnis von Sachverhaltsaufklärung und Verzicht auf Sanktionierung gegenüber Arbeitnehmern, die sich falsch verhalten haben, gewahrt.
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Eine von einem Unternehmen gewährte Amnestie gegenüber einem oder mehreren seiner Mitarbeiter beinhaltet regelmäßig die Zusage, auf arbeitsrechtliche oder zivilrechtliche Sanktionen zu verzichten. Häufig werden auch Verpflichtungen zur Übernahme von Verteidigerkosten, der vertraulichen Behandlung der gemachten Aussagen sowie dem Absehen von Strafanzeigen eingegangen. Mit seinen Aussagen zu eigenem Fehlverhalten wird sich der Arbeitnehmer häufig in die Gefahr arbeitsrechtlicher Sanktionen begeben. Die Bereitschaft zu einer wahrheitsgemäßen Aussage steigt deshalb, wenn ihm die Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen[8] und Schadensersatzansprüchen[9] genommen wird. Aus diesem Grund ist der Verzicht auf arbeitsrechtliche Maßnahmen, wie Abmahnung und Kündigung regelmäßiger Bestandteil von Amnestieregelungen.
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Vor strafrechtlichen Konsequenzen können die Arbeitnehmer im Rahmen eines Amnestieprogrammes grundsätzlich nicht bewahrt werden, da die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen (§§ 152 Abs. 2, 160 StPO) grds. nicht zur Disposition des Unternehmens steht und damit nur bedingt Gegenstand einer Amnestieerklärung sein kann. Immer wieder verpflichten sich Arbeitgeber jedoch, keine Strafanzeige oder Strafantrag gem. § 158 StPO zu stellen.[10] Die Übernahme von Rechtsanwaltskosten ist eine denkbare, zulässige und übliche Regelung von Amnestieprogrammen, sollte aber auf die zur Rechtsverteidigung notwendigen Kosten begrenzt werden.[11] Auch ist die Übernahme von Geldstrafen, Geldbußen und Geldauflagen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren, solange sie dem Ziel der unternehmensinternen Aufklärung bereits begangener Compliance-Verstöße dient.[12] Anders verhält es sich bei der im Vorfeld einer Tat zugesicherten Übernahme etwaiger Sanktionen, dies verstößt gegen § 138 Abs. 1 BGB und ist daher nichtig.
3. Gesellschaftsrechtliche Grenzen von Amnestieprogrammen
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Der Verzicht auf Schadensersatzansprüche sowie die Übernahme von Rechtsanwaltskosten der Mitarbeiter stellt grundsätzlich einen Schaden für die Gesellschaft dar, den die Unternehmensleitung durch die Gewährung der Amnestie zu verantworten hat.[13] Daher muss die Unternehmensleitung stets gründlich prüfen und abwägen, ob und in welcher Weise ein Amnestieprogramm eingeführt werden soll, damit eine solche Amnestie nicht als Pflichtverletzung i.S.d. § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG und als Untreue nach § 266 StGB zu werten ist.
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Wie dargestellt, ist hinsichtlich der Art und Weise der Durchführung von Untersuchungen (das „Wie“) die Business Judgement Rule gem. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG anwendbar. Da die Einführung von Amnestieprogrammen zur Durchführung der Untersuchung zählt, begeht die Unternehmensleitung keine Pflichtverletzung, wenn sie bei der Vornahme ihrer unternehmerischen Entscheidung für ein Amnestieprogramm vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.[14]
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Die Unternehmensleitung muss daher abwägen, ob das Aufklärungsinteresse einer unternehmensinternen Untersuchung gegenüber dem Gesellschaftsinteresse der Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche, sowie Aufwendung der Rechtsanwaltskosten überwiegt. Hierbei muss jeweils der konkrete Einzelfall betrachtet werden und durch die Amnestie eine höhere Aufklärung als ohne eine Amnestie zu erwarten sein. Gerade bei der Entscheidung über die Anwendung von Amnestieprogrammen ist dabei eine ex ante Betrachtung mit geringer Sachverhaltskenntnis ausreichend, da das Amnestieprogramm die Kenntnis des Sachverhalts ermöglichen soll. Insbesondere kann Zeitdruck ein wichtiger Aspekt für die Entscheidung zugunsten einer Amnestie sein. Die bereits vorhandenen Kenntnisse und Aussagen müssen aber dahingehend ausgewertet werden, ob die Durchführung eines Amnestieprogrammes überhaupt notwendig ist. Nicht erforderlich ist es aber, zunächst eine (erfolglose) Mitarbeiterbefragung ohne Amnestieregelung durchzuführen, da eine schnelle Aufklärung stets im Interesse des Unternehmens ist.[15]
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Sollen auch Mitgliedern der Unternehmensleitung, die Compliance-Verstöße begangen haben, Amnestie gewährt werden, sind gesellschaftsrechtliche Besonderheiten zu beachten. Da die Unternehmensleitung letztlich die Verantwortung für Compliance-Verstöße innerhalb des Unternehmens trägt, bedürfen Amnestien für die Mitglieder der Geschäftsleitung grundsätzlich einer besonderen Rechtfertigung.[16] Zudem muss beachtet werden, dass ein Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegenüber der Unternehmensleitung nicht ohne weiteres möglich ist.
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In der GmbH ist der Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegenüber der Unternehmensleitung grds. möglich. Dieser obliegt allerdings der Gesellschafterversammlung gem. § 46 Nr. 8 GmbHG, sofern nicht die Satzung etwas anderes regelt.[17] In der AG hingegen können die Organe nicht ohne weiteres auf Schadensersatzansprüche gegenüber dem Vorstand verzichten. Gem. § 93 Abs. 4 AktG kann die Hauptversammlung zwar auch nachträglich auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand verzichten, allerdings erst nach Ablauf von drei Jahren, sofern nicht eine Minderheit von Aktionären, deren Anteil zusammen 10 % des Grundkapitals ergeben, dagegen stimmt (§ 93 Abs. 3 Nr. 4 AktG). Zu beachten ist auch, dass der Vorstand die Gesellschaft gegenüber den anderen Vorstandsmitgliedern beim Abschluss von Amnestieregelungen nicht vertreten darf, da gem. § 112 AktG allein der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber dem Vorstand vertritt.
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Einer gesonderten Überprüfung bedarf auch der Verzicht der Gesellschaft auf Schadensersatzansprüche gegenüber den Vorstandsmitgliedern im Rahmen von Amnestieprogrammen. Auch wenn größere Schäden in der Praxis wohl nur selten vollständig durch Schadensersatzansprüche gegen die Vorstandsmitglieder abgedeckt werden, wird in der Praxis zunehmend häufiger gegen ehemalige Vorstände vorgegangen. Prominente Beispiele hierfür sind Schadensersatzklagen des Solarherstellers Conergy gegen vier ehemalige Vorstände in Höhe von 280 Mio. EUR. MAN hat von seinen ehemaligen Vorständen 237 Mio. EUR gefordert, die Bayern LB 200 Mio und der Insolvenzverwalter von Arcandor 175 Mio. EUR.[18] Auch Siemens hat bereits eine Reihe von ehemaligen Vorständen auf Schadensersatz verklagt. Auslöser dieser Entwicklung ist die ARAG-Garmenbeck-Entscheidung des BGH, in welcher der BGH klarstellte, dass der Aufsichtsrat einer AG grundsätzlich durchsetzbare Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand der AG geltend zu machen hat.[19] Obwohl die Werthaltigkeit der Ansprüche oftmals fraglich sein wird, darf der Aufsichtsrat von der Geltendmachung nur ausnahmsweise