quantifizieren, aber sie steigen mit zunehmender Nutzung der sozialen Medien. Es gibt immer mehr laufende Nachrichtenmeldungen und Orte, an denen Mitarbeiter in aller Öffentlichkeit ihr Feedback abgeben können. Glassdoor verzeichnet 32 Millionen individuelle Besucher pro Monat. Diese Beispiele stehen hier repräsentativ für Veränderungen, die sich auch in zahlreichen anderen Zusammenhängen feststellen lassen.
Der zunehmende Wandel um uns herum treibt innerhalb der Organisationen, die uns beschäftigen, die uns mit notwendigen Waren und Dienstleistungen versorgen und die uns regieren, immer umfangreichere Change-Initiativen an. Je nach Branche, Sektor und Region nehmen diese Projekte ein jeweils anderes Gesicht an, aber im Allgemeinen gibt es heute eine viel, viel größere Zahl von Initiativen, die in den Organisationen Veränderungen herbeiführen sollen, als noch vor 30 Jahren. Vor 50 Jahren war bei praktisch keiner Organisation die Rede davon, dass die eigene Kultur verändert werden sollte. Heute dagegen ist das überall der Fall. Die wachsende Zahl der Anstrengungen führt dazu, dass immer mehr Unternehmen eigene Projektmanagementbüros (Project Management Offices, PMO) einrichten.
Abbildung 1.1: World Uncertainty Index
Quelle: Angepasst aus H. Ahir, N. Bloom und H. Furceri (2018) »World Uncertainty Index«, Stanford mimeo. Der WUI errechnet sich aus dem Prozentanteil des Vorkommens des Wortes »uncertain« (»unsicher«) – oder seiner Variationen – in den Länderberichten der Economist Intelligence Unit.
Gemeinsam und in direktem Zusammenhang mit der Erhöhung der Geschwindigkeit und Komplexität der Veränderungen erleben wir in den letzten beiden Jahrzehnten einen steilen Anstieg des Unsicherheitsniveaus. Er ist die direkte Folge komplexer Veränderungen. Die hohe wirtschaftliche und politische Unsicherheit macht es oft schwer, genau festzulegen, welche Initiativen erforderlich sein werden, um die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und neue Gelegenheiten ausschöpfen zu können.
Wie wir an den im weiteren Verlauf des Buches beschriebenen Beispielen leider sehen werden, kann die interne Veränderung in den Organisationen mit dem externen Wandel und der Unbeständigkeit nicht Schritt halten. Diese Schwierigkeit hat Auswirkungen auf alles: auf die Qualität und Verfügbarkeit der Gesundheitsversorgung, den Aktienmarkt, die Umwelt, die Erschwinglichkeit von Produkten, die das Leben leichter, interessanter oder zufriedener machen, die Wirtschaft, die Reaktionsfähigkeit der Regierung, die Armut, die Fähigkeit zur Bewältigung medizinischer Notsituationen (einschließlich Pandemien), die Anzahl der Menschen, die ein angenehmes und erfüllendes Leben führen können, und sogar auf die Zahl derjenigen, die unnötigerweise sterben werden. Die Liste ließe sich endlos weiterführen.
Veränderung: Problem und Lösung
In diesem Buch werden wir tief in diese zunehmende Unsicherheit, Unbeständigkeit und Veränderung eindringen. Wir behandeln ihre Implikationen – so, wie wir sie bisher verstehen –, für Menschen, die versuchen, die Unternehmen (und die Gesellschaft) zu verbessern. Wir argumentieren, dass wir ein äußerst großes und unnötiges Risiko eingehen, wenn wir weiterhin nur unsere Fähigkeit zu schrittweisen Anpassungen und Veränderungen verbessern.
Die gute Nachricht lautet, dass wir im Lauf der letzten paar Jahrzehnte sehr viel darüber gelernt haben, warum so viele Menschen und Organisationen so schwer mit Veränderungen zu kämpfen haben, warum eine Minderheit damit sehr gut zurechtkommt und warum mehr als nur einige wenige Menschen wortwörtlich daran zugrunde gehen. Wie Sie sehen werden, wird ein großer Teil dieser Erkenntnisse aus zwar sehr verständlichen, aber auch korrigierbaren Gründen in den meisten Organisationen noch nicht angewandt.
Unser gemeinsames Ringen mit dem Wandel scheint häufig die Schuld von einigen schlecht vorbereiteten, scheinbar inkompetenten oder stur kurzsichtigen Personen zu sein. Geschichten von Unternehmen wie Kodak, Blockbuster oder Borders werden oft als Fallstudien über arrogante, eigensinnige Führungskräfte herangezogen, die sich stur weigern, das Offensichtliche einzugestehen. Im Nachhinein stellen wir infrage, ob sie überhaupt versucht haben, etwas zu verändern. Bis zu einem gewissen Grad treffen diese Vorwürfe zu, aber sie sind nicht die ganze Geschichte und daher teilweise irreführend.
Der große Zusammenhang ist, dass weder die menschliche Natur in ihrem Kern, der schon vor vielen Jahrtausenden in uns angelegt wurde, noch das zentrale Design der modernen Organisationen, das zu großen Teilen eine Erfindung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts war, für schnelle, flexible und intelligente Veränderungen eingerichtet sind. Sowohl Menschen als auch Organisationen sind so gestaltet, dass sie möglichst effizient und zuverlässig so funktionieren, dass ihr Überleben gesichert ist. Wir sind zwar in der Lage, Dinge zu erfinden und neue Gewohnheiten oder Produkte zu erschaffen, aber diese Fähigkeit ist nicht unsere stärkste Triebkraft – außer bei jungen Menschen und Organisationen. Mit der Reife stellen sich alle möglichen Mechanismen ein, die eher für Stabilität und kurzfristige Sicherheit sorgen. Daher kommt es, dass sich Unternehmen, selbst wenn sie neue Bedrohungen erkennen, oft nicht schnell oder umfassend genug verändern können, um die Probleme zu überwinden.
Heute, im komplexen und sich rasch weiterentwickelnden 21. Jahrhundert, erleben wir angesichts der wachsenden Unsicherheit regelmäßig viel zu langsame Veränderungen, wenn wir Menschen, die für eine längst vergangene Welt »entworfen« wurden, in Organisationen stecken, die ebenfalls nicht für dieses Jahrhundert geschaffen sind. Wir beobachten, dass der Prozess, mit dem Individuen und Organisationen mit den unvermeidlichen Herausforderungen einer Transformation zurechtzukommen versuchen, viel zu schmerzhaft ist. Wir erhalten zu wenig von den erforderlichen Ergebnissen und das auch noch viel zu langsam, selbst wenn dieses Defizit nicht immer sofort offensichtlich ist.
Abbildung 1.2: Das Veränderungsproblem (und seine Chance)
Dieser Kampf ist heute schon die Realität und morgen vielleicht die Katastrophe. Aber das muss nicht so sein. Möglich ist sehr viel mehr.
Wir wissen, dass es so ist, weil wir Beispiele für Erfolge beobachtet haben, bei denen sich die Lücke zwischen der äußeren und inneren Veränderung minimiert oder ganz geschlossen hat. Wenn Unternehmen diese Korrektur gelingt, können sie in eine neue, bessere Zukunft springen, von deren Vorteilen eine breite Masse von Menschen profitiert.
Herausragende Erfolge werden oft einigen wenigen, überlebensgroßen Führungspersönlichkeiten zugeschrieben. Es liegt ein Körnchen Wahrheit in der Behauptung, dass ein einzelner Mensch in bestimmten Situationen eine übergroße Wirkung entfalten kann. Doch sowohl wissenschaftliche Forschungen als auch unsere Beratungserfahrungen ergeben ziemlich eindeutig, dass sich die erfolgreichsten Veränderungen einstellen, wenn die Führungsstärke einer viel größeren Zahl von Menschen mobilisiert wird. Drei Forschungsstränge, auf die wir im folgenden Kapitel näher eingehen werden, erscheinen uns besonders vielversprechend. Sie liefern Erkenntnisse darüber, wie sich dieses erweiterte Konzept von Leadership entfesseln lässt. Die erste Strömung geht aus der Hirnforschung hervor und befasst sich mit der menschlichen Grundnatur und unseren Reaktionen auf Bedrohungen und Chancen. Die zweite kommt aus den Organisationswissenschaften und der Geschichte der Unternehmen und untersucht die Grenzen und Beschränkungen der modernen, »managementzentrierten« Organisation sowie Möglichkeiten zu ihrer Überwindung. Und bei der dritten handelt es sich um einen Zweig der Erforschung von Führungskompetenzen, der sich speziell mit den allzu häufigen Problemen des Change-Leadership beschäftigt.
Abbildung 1.3: Die Veränderungslösung
Zusammengenommen liefern diese drei Forschungsstränge machtvolle Erkenntnisse darüber, wie sich realistisch betrachtet wesentlich mehr Führungsstärke bei einer größeren Anzahl Menschen mobilisieren lässt, sodass sie Veränderungen schneller und intelligenter vorantreiben und damit die Lücke zwischen der externen und internen Realität