rel="nofollow" href="#ulink_6cca5222-44ba-5c92-94f9-6e8d620624fc">3 auch die Mythologie der Alten (ohne weitere Gründe,) beizubehalten:« als daß sie »auf dem Irrthum und dem Aberglauben4 der Alten beruhe:« als daß sie »nichts als ein Namenregister,5 Schälle ohne Gedanken enthalte,« als daß sie6 »ein bloßer Flitterstaat mittelmäßiger Köpfe sey, um ihre Gedichte mit hundertmal gebrauchten Gleichnissen aufzustützen:« wer die Mythologie in Gedichten blos als so Etwas kennet, wie ist der eines Bessern zu belehren? Man müßte vom Anfange anfangen, daß von Homer bis zu Virgil noch etwas anders in dem Gebrauch ihrer Mythologie liege, als böse Irrthümer und unchristlicher Aberglauben – nämlich sehr Poetische Ideen. Und so hätte man erst eine Voraussetzung!
Darauf wäre zu zeigen, daß von den Wiederherstellern der Wissenschaften die Mythologie noch etwa anders woher habe können beibehalten werden, nicht als ein beliebiges Gutachten. Vielleicht nämlich der Sprache, der Kunst, der Poesie, und alten Einkleidungen der Platonischen Weisheit wegen. Ob sie sie übel nachgeahmet: davon ist die Rede nicht, sondern ob sie sie nachahmen dörfen? Und wer weiß es da nicht, daß wir nothwendig mit der bösen irrigen Mythologie zugleich alles hätten verlieren müssen: Sprache, Poesie, Wissenschaft, Kunst der Alten – eine schwere Verbannung! Wir wollen den irrigen, abergläubischen Ketzer dulden; denn mit ihm hätten wir, wie die Christen zu Julians des Abtrünnigen Zeiten, zu viel verlohren! Das wäre die zweite Voraussetzung.
Hieraus würde auch die Erstaunensvolle Frage beantwortet: warum dies böse Ding, das doch blos auf dem Irrthum und Aberglauben der Alten beruhet, habe beibehalten werden können? eine Blindheit, die Jahrhunderte durch gedauret! Es wäre also unmaßgeblich zu zeigen: »daß die Mythologie in ihrem Gebrauche wohl etwas mehr, als Schall ohne Sinn, Worte ohne Bedeutung, unnützer Flitterstaat, Gottlosigkeit und Aberglauben gewesen sey und seyn könne.« Wie tief muß eine solche Deduction anfangen! Und was hat unser Christliches Taufwasser mit dem ganz andern Werke zu thun, in einer sehr bekannten, sehr Ideen- und Bilderreichen Sprache Poetische Zwecke zu erreichen?
Freilich könnte es eine feine Aufgabe bleiben: »wie weit wir im Gebrauche mancherlei Mythologischer Ideen den Griechen und Römern nur bescheiden nachtreten müssen?« Mein hieran ist bei meinem Autor, und bei dem berühmten Vorredner Apollodors nicht zu gedenken; hier kommt auch nichts weniger, als Irrthum und Aberglaube, in Betracht: die bei ihm alles sind. Gnug! daß es ihm beliebt, in allen neuern Dichtern die Mythologie für schallenden Unsinn, für hundertmal gebrauchten Flitterstaat zu erkennen, und nun frage ich jeden guten Dichter unsres Vaterlandes: ist so Etwas nicht unter der Kritik?
Wie aber, wenn Hr. Kl.7 uns einen ganz neuen Ersatz der Mythologie gäbe? – Ehe wir sein neues Geschenk preisen, so lasset uns erst sehen, ob es der Annahme werth sey, und denn erst, ob es als Aequivalent gelten könne? »Was einige befürchten, daß, wenn sie die alte Mythologie verlören, ihre Verse kalt und matt werden dörften – die Furcht ist vergebens. Liefert uns doch unsere heutige Welt solch eine Menge neuer Gedanken und Bilder, daß es einem glücklichen Kopfe nie an Zierrathe seiner Gedichte fehlen kann« (eben als wenn ein glücklicher Kopf den Bettel wollte und brauchte!). »Bedenke, wie manches in der Naturlehre durch die Bemühung der Menschen jetzt entwickelt ist, was vormals entweder unbekannt, oder sehr dunkel seyn mußte. Bemerke ferner, daß der Kreis der Erde in neuern Zeiten gleichsam erweitert sey, durch Entdeckung der Länder, die vormals unbekannt waren, und erwäge, welch eine Menge Zierrathen dem Poeten daraus erwachse, weit besser, als die Namen einer Juno, Pluto, Cerberus, Rhadamantus und Charon.« Ich weiß, daß dieser Rath in die Köpfe mehrerer ingeniosorum gekommen: denn Rathgeben, sagt Plato, ist doch eine Göttliche Sache; und gegebene Rathschläge prüfen, dächte ich, noch eine Göttlichere.
Ich setze voraus, daß hier die Frage nichts weniger, als Wortzierrath, Dichterischen Schmuck betreffe, denn jeder Zierrath, der nicht aus der Sache selbst entspringet, der erst gesucht werden muß, ist Fehler; wir suchen also eine innere Bereicherung der Poesie in ihrem Wesen statt der Mythologie.
»Entdeckungen der Naturlehre!« Allerdings! wenn sie so bekannt, so fähig der Poetischen Sprache, so reich an Bildern, so anschaulich sind – als die Mythologie; allerdings! So verschwinde jene, wie Schatten gegen die Sonne, wie Fabel gegen die Wahrheit: und die Schöpfung eines Newtons, Neuentyts, Swammerdams, Buffons, Reaumurs, Tourneforts und Hallers trete an die Stelle des Fabelkrams eines Apollodors, oder Nata lis Comes. Aber zu welcher eigentlichen Function soll sie dahin treten? Einzelner Gleichnisse, Bilder halber? Mit Vergnügen erinnere ich mich zwar der seligen Augenblicke, die mir die tiefen Naturgleichnisse eines Hallers, die unerwarteten Arzneigleichnisse eines Witthofs, der fast ganz aus dieser Welt von Wissenschaften gedichtet, die fast immer ökonomischen Bilder eines Dyers gebracht haben; aber mit Misvergnügen auch der unseligen Augenblicke, die mir die gelehrt seyn sollenden Gleichnisse eines Curtius u.a. erwecket. Blos als Gleichnisse betrachtet, sind die Offenbarungen der neuem Naturkunde lange nicht so des Lichts der Anschauung fähig, oft so schwer poetisch und ohne Kunstsprache auszudrücken: so oft über die Sphäre des common sense unsrer Zeit, für welchen doch Gedichte geschrieben werden müssen, erhoben: so oft für diesen ohne Commentar dunkel, und wer will über ein Gleichniß denn einen Commentar lesen? endlich weit seltner an die eigentlichen Gegenstände der Poetischen Welt gränzend, um ein Drittes der Vergleichung zu haben, das beide nahe zusammenbringe – und das waren sie blos als Gleichnisse. Gleichnisse aber sind höchstens in Lehrgedichten das Wesen der Poesie: Gleichnisse aber sind gewiß nicht der wichtigste Gebrauch der Mythologie: Gleichnisse also machen hier keinen Gegensatz, nicht die Mythologie un nöthig, nicht die Naturlehre zur Mythologie.
Fabel, Dichtung, Handlungen, die bis zur Täuschung eindringen, sind das Wesen der Dichtkunst, und wie weit weniger kann hier die Naturlehre zutragen? Kann sie der Epopee und Heldenoper Maschinen schaffen, die mit der Individualität, mit der hohen und schönen Natur, mit der charakteristischen Bestandheit, mit der bekannten Anschaulichkeit, mit der Täuschungsgabe handeln können, als in Homer die Götter der Mythologie handeln – wohlan! so treten Gnomen und Sylphen, und Nymphen und Salamanders, die ganze Schöpfung des Theophrastus Paracelsus, und Cornelius Agrippa, die personifiirte ganze Naturkunde in die Stelle Mythologischer Wesen. Kann sie dem Drama, der Pindarischen und Horazischen Ode, der Fabel, der Erzälung, der Idylle so viele, so schöne und so reiche Dichtung schaffen, als die Mythologie der alten Dichter diesen Gattungen schuff, so trete sie auf. Hier lasse ich meine Leser mit aller Gemächlichkeit alle Dichter des Alterthums in allen Arten der Dichtkunst, und in jeder ihre glücklichen Fictionen aus dem Vorrathe der Mythologie – nachzählen: alle neuere Dichter, die aus dieser Quelle, es sey auf was Art es wolle, glücklich geschöpft, bis auf unsern lieben warmen Wieland zu – alsdenn überschlage er, ob ihm das alles Naturkunde ersetzen könne, und thue den Ausspruch. Meines Wissens giebt diese einzelne Begriffe, Känntnisse, Wissenschaft; die Poesie will Geschichte, Handlungsvolle Begebenheiten, täuschende Fabeln – welche beide Ende!
Ich sage nicht, daß nicht aus der Naturkunde unsre Dichtkunst noch sehr mit Wahrheiten und Bildern bereichert werden könne, daß aus diesen Wahrheiten und Bildern von einem Poetischen Kopfe nicht so glückliche Fictionen geschaffen werden müßten, als ein Fontenelle über die Wirbel des Des-Cartes witzige Einfälle dichten konnte – aber daß diese mögliche Ausbeute dem unzählbaren Reichthume Mythologischer Dichtungen und Geschichte und Fabeln je gleichkommen, daß sie denselben völlig überlei machen könnte, das leugne ich völlig! Aus der Mythologie eben lerne man, die Naturkunde dichterisch zu bilden, nicht aber aus der Naturkunde die Mythologie zu verbannen.
Zweitens: »neuere Entdeckungen neuer Länder und Welten!« und was haben uns diese für die Dichtkunst entdecken lassen, das der Mythologie gleich gölte? Bäume und Pflanzen? So viel ein Indianischer Plinius, ein Rumph, eine Merian u.a. die Welt des Kräuterkenners, und den Begrif der Schöpfung Gottes erweitern: so viel Vergnügen und Nutzen man in einem Malabarischen Garten finde; so doch das wenigste zum Gebrauche der wahren Dichtung. Die Namen der neuen Kräuter sind unpoetisch; ihre Gestalt und Unterschied nicht durchgängig bekannt, nur der Zeichner, nicht der Wortmaler, kann sie anschauend sinnlich machen.