abstrakter Mathematik, ein Bereich, der vielen Menschen Schwierigkeiten bereitet. Standardisierte Tests waren immer sein Erzfeind. Aber es hat nur eine Stunde gedauert, bis ich ihm, damals war er fünfzehn, beigebracht hatte, allein mit dem Bus zu fahren. Dasselbe gilt für andere Alltagsdinge, die er lernen wollte.
Beide, der Sohn der anderen Mutter und meiner, können als autistisch bezeichnet werden, wenn man den Begriff weit fasst. Das Wort an sich, losgelöst von negativen Konnotationen, hat aber keine Bedeutung, wenn es darum geht, mit den individuellen Herausforderungen und Bedürfnissen klarzukommen. „Mein Kind ist ‚autistisch’“, diese Aussage heißt für mich nur, dass es eine Diagnose hat, die ein breites Spektrum umfasst. Es hilft mir nicht, seine Herausforderungen, seine Stärken, seine beglückenden und zugleich besorgniserregenden Eigenschaften zu verstehen. Wer gewinnt seine Zuneigung, verwirrt oder verängstigt es? Was beunruhigt, fasziniert oder beschwingt mein Kind? Das müssen wir wissen, weil es nicht sein kann, dass ein einfaches Adjektiv, das möglicherweise falsch interpretiert wird, dazu führt, dass Kinder nicht so gefördert werden, wie sie es brauchen. Hier sehe ich eine Dichotomie, eine Gratwanderung: Man muss generell akzeptieren, dass die Diagnose Autismus lautet, sonst hätte man keinen Zugang zu individualisierten Dienstleistungen. Das ist korrekt und nicht per se schlecht. Aber es liegt an Ihnen, ob Sie den Begriff dazu benutzen, um eine Entwicklung voranzutreiben, oder als Entschuldigung dafür, dass Ihnen oder anderen Grenzen gesetzt sind.
Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir das Adjektiv ‚autistisch‘ in den Mund nehmen. Das öffnet Tür und Tor zu dessen missbräuchlicher Verwendung. Es kommt überall vor, dass ein Mensch, der unkooperativ, rebellisch, emotional distanziert oder irgendwie unkommunikativ ist, abwertend als ‚autistisch‘ bezeichnet wird. Mir sträuben sich die Haare, wenn ich einen Sprachgebrauch sehe, der unseren Kindern das Recht verwehrt, als Personen mit ihren spezifischen Bedürfnissen und Stärken gesehen und gefördert zu werden sowie eine Ausbildung zu erhalten. In unserer Kultur inzwischen gängige Stereotypen, bequemes Schubladendenken, tragen nur dazu bei, dass unsere autistischen Kinder nicht als ‚ganze‘ Personen in der Gesellschaft akzeptiert werden. Und genau deswegen sollte man spezifischere und positivere Worte finden, um unsere Kinder zu beschreiben.
Viele Kinder, die als autistisch diagnostiziert wurden, sind älter geworden und jetzt Erwachsene, die sich selbstbewusst als Autist*innen bezeichnen. Andere lehnen diese Etikettierung oder eine andere ab. Das ist und bleibt ihre eigene Entscheidung. Wenn es gut gelaufen ist, dann gründen sie diese Entscheidung auf eine Kindheit, die frei von Vorurteilen und voll von Möglichkeiten war. Wenn sie dann erwachsen sind, haben sie über die Jahre hinweg viele Hürden genommen. In diesen Jahren wurden sie von Erwachsenen dabei unterstützt, ihre Fähigkeiten und Talente zu entwickeln, sie wurden in ihrer kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung gefördert und haben gelernt, für sich selbst einzutreten. Sie wissen, dass möglicherweise einige ihrer Probleme auf Autismus zurückzuführen sind, dass ihr Autismus aber niemals eine Entschuldigung oder ein Freischein ist.
Also ob nun ‚autistisch’, ‚mit Autismus‘, ‚Aspie‘, ‚Autie‘, ‚aus dem Spektrum‘, prüfen Sie, ob das Wort oder die Wörter zu Ihrer Realität passen und fragen Sie sich, ob sie Ihre Sicht dessen, was die Zukunft für Ihr Kind bereithält und was es unserer Welt geben kann, in irgendeiner Weise limitieren. Wenn dem so ist, dann denken Sie daran, dass nichts, wirklich nichts, vorgezeichnet ist und dass Ihre gemeinsame Zeit unzählige Möglichkeiten bereithält.
9Bekanntlich sind im Englischen mit Begriffen wie ‚teacher‘ oder ‚student‘ immer alle Geschlechter gemeint. Wir haben versucht, dem so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Gleichwohl gab es Textstellen, wo es aus rein sprachlichen Gründen eleganter oder auch einfacher war, entweder nur die männliche oder die weibliche Form zu nutzen. In dem Fall sollen stets die nicht aufgeführten Geschlechter mitgedacht werden.
10IEP steht in den USA für ‚Individualized Education Program‘ und entspricht einem sonderpädagogischen Förderprogramm in Deutschland (Anm. d. Übers.).
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