so dass er Luft bekommen habe. Irgendwann habe der Junge dann mit dem Gesicht im Kissen gelegen.
Aber nachgeholfen habe sie nicht, beteuerte die 40-Jährige. Aber mit dem Kopf auf der Seite konnte Pascal doch weiter schreien, hielt ihr ein Richter bei der Vernehmung entgegen. Ob sie also nicht doch seinen Kopf in das Kissen gedrückt habe?
Nein, sie habe das nicht gewollt. "Es war keine Absicht", antwortete sie.
Andrea M., deren eigener Sohn auch von dem mutmaßlichen Kinderschänder-Ring missbraucht worden sein soll, ging nach eigener Aussage einige Zeit nach dem Tod des Jungen mit dem Mitangeklagten Dieter S. in das Hinterzimmer und legte die Leiche in einen blauen Müllsack. Andere Angeklagte waren nach ihrer Erinnerung nicht dabei. Die Mitangeklagte Erika K. hatte dagegen ausgesagt, sie selbst habe den Müllsack aufgehalten. "Das stimmt nicht", behauptete nun Andrea M., denn diese sei "überhaupt nicht in dem Kämmerchen" gewesen.
Andrea M. will den blauen Müllsack mit der Leiche des Jungen zunächst hinter die Theke gestellt haben, "beim Verkaufsfenster in die Niesche". Dann habe sie drei oder vier Kognak mit Cola getrunken und später den Sack in den Kastenwagen der Wirtin gebracht. Warum haben Sie das gemacht, wurde sie gefragt. Schweigen. Können Sie das nicht sagen, hakte der Richter nach. "Nee". Mit Christa W. und Dieter S., so ihre Aussage, fuhr sie dann zu einer Kiesgrube in Frankreich. Dort suchte die Polizei später wochenlang vergeblich nach der Leiche. Dieter S. habe dort mit einem Spaten ein knietiefes Loch gegraben, und sie habe die Leiche hineingelegt.
Andrea M. zeigte in ihrer Vernehmung Anzeichen von Schuldgefühl. So sagte sie auf die Nachfrage eines Richters, sie empfinde sich noch heute als Schuldige. Im Laufe ihrer Aussage verstrickte sie sich in zahlreiche Widersprüche. So musste sie auf Nachfragen mehrfach einräumen, in Vernehmungen bei der Polizei teilweise andere Aussagen gemacht zu haben. Sie widersprach zudem Aussagen der Mitangeklagten Erika K., die an vorherigen Verhandlungstagen den Tod des Jungen geschildert hatte.
Erika K. hatte nach eigener Aussage beobachtet, wie Pascal in dem Hinterzimmer von Martin R. missbraucht wurde und Andrea M. ihm dabei den Kopf in ein Kissen drückte. Die 51-Jährige gab ferner an, sie selbst habe den Müllsack aufgehalten, in den Pascal gelegt worden sei. Andrea M. behauptete dagegen, die Mitangeklagte sei gar nicht in dem Hinterzimmer gewesen.
Erstmals hat einer der 13 Angeklagten im Pascal-Prozess am 11. Oktober 2004 über regelmäßige Vergewaltigungen von Kindern in der „Tosa-Klause" ausgesagt. Der mehrfach vorbestrafte Siggi D. sagte vor dem Saarbrückener Landgericht, er habe mitbekommen, wie etwa zwei Mal in der Woche ein Spielkamerad von Pascal im Hinterzimmer der Kneipe vermutlich vergewaltigt worden sei. Er habe Stöhnen gehört und gesehen, wie Gäste der Wirtin Christa W. Geld gegeben hätten.
„Ich bin davon ausgegangen, dass es Kindesmissbrauch war", sagte Siggi D. Als Täter benannte er die Mitangeklagten Martin R., Jupp W. und Dieter S., sowie den bereits zuvor wegen Missbrauchs verurteilten Peter S. Diese Männer habe er in das Hinterzimmer gehen sehen, in das auch die Kinder gebracht worden seien.
Er selbst habe aber nicht an den Vergewaltigungen teilgenommen, sagte der 43jährige, der anfangs von nur wenigen Vorfällen gesprochen, sich aber immer wieder in Widersprüche verwickelt hatte. Er habe Christa W. vorgehalten, „dass das eine Schweinerei wäre“. Die Kneipenchefin habe ihm jedoch befohlen zu schweigen, „sonst würde was passieren". Dies habe ihn derartig eingeschüchtert, dass er immer wieder in die „Tosa-Klause" gegangen sei.
Dem Gelegenheitsarbeiter und früheren Alkoholiker Siggi D. wird Beihilfe zum sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Laut Anklage soll außerdem er es gewesen sein, der den fünfjährigen Pascal am 30. September 2001 in das Lokal gelockt habe. Nach den Aussagen der Angeklagten Erika K. und Andrea M. wurde Pascal anschließend dort vergewaltigt und getötet.
Pascals Mutter Sonja T. sagte, sie habe von sexuellen Misshandlungen ihres Sohnes nichts bemerkt. Sie habe den Fünfjährigen regelmäßig beim Duschen nackt gesehen und ihm beim Waschen geholfen, aber dabei keine Auffälligkeiten entdeckt, sagte die 45-Jährige vor dem Landgericht. "Pascal hätte mir gesagt, wenn er negative Erfahrungen mit Erwachsenen gemacht hätte", sagte die Frau, die als Küchenhilfe arbeitet.
Allerdings habe der Junge bis zu seinem Verschwinden vor drei Jahren nachts eingenässt. Sie bestätigte die vorherige Aussagen ihres Lebensgefährten Heinz K., wonach Pascal am 30. September 2001 spurlos verschwand.
Mehrere Suchaktionen nach der Leiche von Pascal, die in einer Kiesgrube im deutsch-französischen Grenzgebiet in Schoeneck bei Saarbrücken verscharrt worden sein soll, waren allerdings trotz Einsatzes von Spürhunden und Bodenradar ergebnislos verlaufen.
Im Saarbrücker Fall Pascal gerät die Anklage zunehmend in Not. Sind die Geständnisse der zum Teil geistig behinderten Angeklagten falsch? Schlüsselfigur ist ein neunjähriger Junge.
Das alles soll eine Lüge sein? Nur erfunden? Sarah, 17, ist Zeugin im Mordfall Pascal, der vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken verhandelt wird. Auf die Frage nach ihrem Beruf gibt sie "Hauswirtschaft" an. Hausfrau? Sie wagt kaum den Mund aufzumachen.
Als der fünfjährige Pascal am Spätnachmittag des 30. September 2001 in Saarbrücken verschwand, war Sarah mit den Stiefschwestern des Jungen auf einer Kirmes im Stadtteil Burbach. Einige Leute meinten sich später zu erinnern, dass sich dort auch Pascal aufgehalten habe.
Im Zuge der Ermittlungen, wer den Fünfjährigen zuletzt gesehen hat - er war mit dem Fahrrad unterwegs gewesen und hätte gegen 18.30 Uhr zu Hause sein sollen -, wurden im Oktober 2001 unter anderen auch die Stiefschwestern und die damals 14jährige Sarah vernommen. Sie habe Pascal auf der Kirmes nicht bemerkt, sagt Sarah zu den Vernehmungsbeamten, sie kenne ihn ja gar nicht. Man glaubt ihr nicht.
Die Beamten schlagen eine andere Tonart an. Ob Sarah Angst habe. Man sehe ihr es doch an. Sie wird unsicher. Man redet ihr ins Gewissen. Man bohrt weiter. Sie bricht in Tränen aus. Wieso Tränen? Sie brauche bloß die Wahrheit zu sagen.
Sarahs Vater wird geholt, sie darf mit ihm unter vier Augen sprechen. Der Mann versichert der Polizei danach, seine Tochter habe Pascal wirklich nicht gesehen. Man glaubt es nicht. Der Druck wird stärker. Sarah wird gefragt, ob die Stiefschwestern etwas mit dem Jungen gemacht hätten. Sarah beteuert: Nein! Es geht trotzdem weiter: Ob die Schwestern ihr erzählt hätten, was sie mit Pascal gemacht haben? Ob sie, Sarah, Angst vor der Polizei habe? Ob sie ein schlechtes Gewissen plage? Die Beamten holen zum Beweis einen Klassenkameraden herbei, der Pascal gesehen haben will. Also los, was ist jetzt! Irgendwann beschreibt sie stockend, wo der Junge auf der Kirmes stand. Der Druck wird jetzt noch massiver. Warum sie dies verschwiegen habe? Ob sie etwas mit dem Verschwinden des Kindes zu tun habe? Ob sie erpresst werde? Warum sie erpresst werde? Was man ihr angedroht habe?
Sarah windet sich. Und dann kommt es: Die Schwestern hätten ihr erzählt, dass sie dem Kleinen eine Eisenstange auf den Kopf gehauen hätten. Die Beamten wollen mehr wissen. Sarah gibt schließlich zu, dabei gewesen zu sein, als Pascal im Wald an der Saar mit der Eisenstange erschlagen wurde. Dass es zwei Schläge auf den Hinterkopf waren. Dass der Junge zwei Minuten lang schrie. Dass es schon dunkel war. Dass sie alles beobachtet habe.
Als Zeugin vor der Saarbrücker Schwurgerichtskammer wird Sarah wieder gefragt, ob Pascal mit seinen Schwestern auf der Kirmes war. "Nein." Ob sie ihn dort gesehen habe? "Nein." Sie druckst herum. Der Vorsitzende Ulrich Chudoba bringt aus ihr schließlich mit Mühe den Satz heraus: "Es war alles gelogen, was ich gesagt hab."
Einer der Verteidiger, der Saarbrücker Rechtsanwalt Walter Teusch, fragt nach dem Grund. Er will wissen, warum ein junges Mädchen sich eine Lügengeschichte ausdenkt, die seine Freundinnen in so schlimmen Verdacht brachte? Die ältere der Schwestern wurde damals immerhin inhaftiert.
"Gab es Streit?", fragt Teusch die junge Frau. "Haben Sie Hass empfunden?"
"Nein."
"Wieso erfinden Sie dann etwas so Schreckliches? War es die Angst, selbst eingesperrt zu werden?"
"Ja."
Sarah hat den Druck nicht ausgehalten und in ihrer Bedrängnis mit einer haarsträubenden, frei erfundenen Geschichte den Verdacht von sich auf andere umgelenkt.