Jennifer Lucy Allan

Das Lied des Nebelhorns


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der Schornsteine gab es keinerlei Vorschriften. So bliesen sie Rauch und mit festen Partikeln angefüllten Ruß in geringer Höhe in die Luft, wo sich beides mit dem Nebel aus dem Flussbett der Themse zu einem fauligen und giftigen Gasgemisch verband, das zahllose Menschen und Tiere dahinraffte – mitunter in erschreckend kurzer Zeit. In ihrem Buch über den Londoner Nebel berichtet Christine Corton von einem grausigen Zwischenfall auf dem Markt von Smithfield, wo eine ganze Rinderherde qualvoll erstickte, ehe sie den Besitzer wechseln konnte. Zu sehen war die Szene wegen des dichten Nebels nicht, aber das Geräusch der verendenden Tiere drang ungehindert durch die gelbliche Suppe.29 Der Versuch, einheitliche Vorschriften zu erlassen, scheiterte an der Uneinigkeit über die Frage, was die Ursache der Luftverpestung war. Die Fabrikbetreiber verwiesen auf den Hausbrand, Hausbesitzer auf die Schlote der Industrie. Erst nach der Smog-Katastrophe von 1952, bei der London vier Tage am Stück unter einer Giftwolke gelegen hatte, wurden Gegenmaßnahmen eingeleitet. Von derlei Katastrophen war die Stadt auch früher schon heimgesucht worden – am schlimmsten wohl im Jahr 1879, als der Smog vier Monate lang nicht weichen wollte. Auch als in Dungeness das Nebelhorn montiert wurde, litt London unter massiver Luftverschmutzung und damit unter einem Problem, das einer Lösung harrte.

      Künstler, die in dieser Zeit London besuchten, haben in ihren Werken dokumentiert, was sie dabei sahen – oder eben nicht sahen. Oscar Wilde schrieb 1889, dass London Nebel sicherlich schon seit Jahrhunderten kenne, aber »es gibt ihn erst, seit die Kunst ihn erfunden hat«. Der französische Maler Gustave Doré hielt sich 1870 in London auf. In dieser Zeit entstanden Stiche, in denen der Tag nicht von der Nacht zu unterscheiden ist. Der Nebel hinterließ seine Spuren in der Hoch- wie in der Alltagskultur und hielt auch in der Massenliteratur des 19. Jahrhunderts Einzug. In diesem Genre wurde London mehrfach auf unterschiedlichste Weise unter dem Schleier des Nebels oder gar von Nebel, Dunst oder Smog zerstört. In William Delisle Hays fiktivem Bericht The Doom of the Great City. Being the Narrative of a Survivor, Written AD 1942, 1880 publiziert, erzählt ein Großvater, wie heruntergekommen London war, als sich ein tödlicher Nebel über die Stadt legte und alles, was er zu fassen bekam, im Handstreich auslöschte. J. Drew Greys Erzählung The Mystery of the Shroud beginnt damit, dass in Südengland Kohle und Eisenerz gefunden werden, woraufhin rund um London alle unbebauten Flächen in Beschlag genommen werden (wer mag, kann hier eine populäre Fortsetzung von John Evelyns ökologischer Schrift Fumifugium aus dem 17. Jahrhundert erkennen).30 Der Nebel, der sich überall dort breitmacht, wo früher Bäume standen, dient einer anarchistisch-sozialistischen Sekte als Deckmantel, in dessen Schutz sie führende Politiker entführt und ermordet, um auf diese Weise sozialistischem Gedankengut zur Macht zu verhelfen. Die Moral von der Geschicht’: Nebel ist ein Vorbote des Kommunismus.

      Das giftige Gemisch, unter dem London versank, muss man sich als handfestes Problem vorstellen, das unmittelbar und drastisch wirkte. Smog, der fast schon als ein Wahrzeichen Londons galt, suchte die Hauptstadt Englands regelmäßig heim. Und vielleicht war hier, wo die Bedrohung im Wortsinn in der Luft lag, das Bewusstsein für die Gefahr, die Nebel auf dem Meer bedeutete, größer als andernorts. Sicher ist, dass viele wegweisende Entscheidungen in Sachen Sicherheit auf See in einer Stadt und in Häusern getroffen wurden, die vom Nebel verhüllt waren.

      Bis 1901 waren auf der Themse und in der Ansteuerung kleinere Schiffe mit vernehmlichen Schallsignalen verteilt. Benannt waren sie zumeist nach den Buchten, Zuflüssen und Fahrrinnen, in denen sie verankert waren. Listen mit diesen Namen klingen heute eher nach Poesie denn nach Kartografie. Bereits im ersten Jahr des neuen Jahrhunderts erhielten Sunk, Kentish Knock und Swin Middle Nebelsirenen, Tongue, Black Deep, Girdler, Galloper, Nore, Long Sand und Mouse waren ebenso Standorte von Schalltrichtern wie die beiden Fahrrinnen Princes Channel und Edinburgh Channel. Auf dem Unterlauf der Themse und auf den Piers bis nach Southend läuteten derweil Glocken.

      Die Dampfmaschine, der Stolz der industriellen Revolution, war das ideale Mittel für die Bekämpfung des Nebels. Sie hatte das Leben nicht nur in Großbritannien revolutioniert und ländliche Regionen in Ballungsgebiete verwandelt. Und sie war ein Hauptverursacher des Smogs. Die Wirtschaft steckte in einer Art Teufelskreis, um den Nebel und Smog einen tödlichen Schleier legten. Auf dem Meer ließ der Nebel Schiffe versinken, die Menschen oder Ware transportierten. Ware, die auf diese Weise transportiert werden sollte, wurde in Fabriken produziert, deren Abluft die Arbeiter erstickte. Und die Menschen, die in den Städten Entscheidungen zu treffen hatten, leiteten aus dem Smog, den sie einatmen mussten, die Verpflichtung ab, an den Küsten Nebelwarnanlagen aufzustellen.

      Als das Nebelhorn von Dungeness installiert wurde, wusste man nur wenig darüber, wie sich der Schall im Nebel ausbreitet, und niemand hatte geprüft, ob Nebelhörner den Glocken, Pfeifen und Kanonen tatsächlich überlegen waren. Aber da Faraday, seine Unpässlichkeit geflissentlich verschweigend, die Wirksamkeit des Nebelhorns bescheinigt hatte, begann Trinity House damit, weitere Leuchttürme mit Nebelhörnern auszustatten.

      Faraday selbst verließ Trinity House, und es heißt, dass er sich von der Seekrankheit, die ihn bei dem Test überfiel, nie richtig erholt hat. Sein Nachfolger, Freund und Protegé John Tyndall – ein Wissenschaftler, der sich mehr für Schall denn für Licht interessierte – ließ umfangreiche Tests durchführen und wurde mit der Zeit zu einem führenden Vertreter der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Nebelhörnern und Akustik. Anders als Faradays Versuche gerieten seine zu einer Art Dauerbeschallung mit jämmerlicher Musik.

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