Flavius Ardelean

Der Heilige mit der roten Schnur


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aus dem Haus der fremden Leute zu holen. Aber als sie oben ankam, fand sie den kleinen Taush am Bett des Bäckers. Der war ganz weiß und fröstelte und war eingehüllt in Decken, als sollten sie seine Eingeweide im Gleichgewicht halten, als läge er also im Sterben.

      Die Frau schämte sich und zerrte an Taush und fragte, was er glaubte, im Haus eines Kranken zu schaffen zu haben, dass er ihm die Ruhe vor der Ruhe störe. Taush antwortete nicht, wir wissen ja, er sprach noch nicht, auch mit sieben nicht, sondern er zog nur sein Hemd aus und fing an, mit den Fingern in seinem Bauchnabel zu wühlen. Die Familie des Moribunden betrachtete ihn verwundert und verängstigt, die Frau schämte sich noch mehr, aber noch bevor einer etwas sagte oder tat, begann Taush eine rote Schnur aus seinem Nabel zu ziehen, fast einen Meter dicker nasser Schnur holte er heraus und wickelte sie um seine Faust, dann schnitt er die Schnur ab und steckte das lose Ende zurück in den Nabel. Seine Mutter hielt sich die Hände vor den Mund vor Verwunderung, und die Menschen begannen alle zu flüstern, dass dies, ja, dieser Junge musste der kleine Taush sein, nicht wahr?, der Heilige von Gaisterştat.

      Taush wickelte die Schnur ab und um das rechte Handgelenk des Bäckers. Dann zog er sein Hemd wieder an und ging an der Hand seiner Mutter aus dem Haus. Warum er das getan hat, fragst du mich? Ach, viele fragten sich das in jenen Tagen, die dem Tod des Bäckers folgten, und viele dachten darüber nach. Ich weiß es und ich kann es dir sagen, wenn du willst, denn ich weiß es geradewegs von ihm, er hat es mir aus heiterem Himmel einmal gesagt, dass nämlich zu ordnen, wie ein Mensch ins Jenseits geht, wichtiger sei als das Heilen. Und die Menschen aus Gaisterştat begannen zu ahnen, dass der kleine Taush dies tat und dass es gut sein musste, denn was hatte der kleine Heilige in der Stadt Gaisterştat jemals an Schlechtem getan? Sobald also ein Mensch zu Bett sank und alle seine Glieder vom Gefühl des Todes durchdrungen waren, schickten die Leute nach Taush und meist fanden sie ihn auch schon auf dem Weg zu ihnen mit einem Schmetterling in der Hand oder einer Fliege auf den Lippen. Er kam, entkleidete sich und spann die rote Schnur aus dem Nabel, das Siegel der rechten Hand, damit jeder Geist an jeder Zollstelle wüsste, dass der kleine Taush, der große Heilige, demjenigen die letzten Stunden liebkost hatte.

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       KAPITEL DREI

      IN DEM WIR VON TAUSHS RUF AN DEN HOF ERFAHREN UND VOM TOD SEINES VATERS; IN EINER ANDEREN GESCHICHTE VERFAULT EINE HEILIGE UND TRIFFT REISEVORBEREITUNGEN

      Die Kunde von seinen Wundern verließ Gaisterştat und verbreitete sich über die Ebene wie die aufeinandertreffenden Gefährten Wind und Feuer, und es dauerte nicht lang, da erreichte die Legende von Taush, so wie sie wirklich war, aber wohl auch ausgeschmückt, den HOF. Damals hatte das Volk des Königs den langen Krieg jenseits der Lacrimile lui Tapal, des sogenannten GROSSEN FLUSSES, noch nicht begonnen, sondern widmete sich vor allem kleineren Schlachten mit den Nachbarn, Unruhen und Aufregungen. Als der König gerade zwischen zwei solchen Kämpfen zu Hause war, erfuhr er vom kleinen Taush und seiner Gabe, den letzten Weg der Menschen zu bestellen, und er rief ihn mitsamt seiner ganzen Familie, damit er seine magische Schnur um das rechte Handgelenk seines Großvaters legen sollte, der seit Jahren mit einer Krankheit im Bett lag und mit ihr rang und dergestalt ausharrte, mit dem einen Fuß im Grab und dem anderen immer am Hintern des Königs.

      Als die Gesandten des Königs in Gaisterştat ankamen, erschrak Taushs Mutter sehr und glaubte, man wollte ihn wegen Häresie einsperren und dergleichen Erfundenem oder Wahrem mehr, und wollte Taush nicht aus dem Hause lassen. Und das Gefolge zog sich zurück in seine kostbaren Kaleschen und führte lange Gespräche mit dem Oberhaupt von Gaisterştat, der immerzu verlangte, der ein oder andere der Delegierten solle aus der Kalesche steigen, damit der Rat Platz hätte, allerdings sah den niemand. Die Männer des Königs wechselten viele Worte mit den Geistern, denn diese fürchteten sich, Taush gehen zu lassen, ihren kleinen heiligen Schatz. Als sich der Rat davon überzeugte, dass sie wirklich vom HOF kamen und der König selbst etwas von dem kleinen Taush wollte, erlaubten sie die Weiterfahrt und erweichten das Herz der Frau, sich zu erbarmen und mit dem Jungen an den HOF zu kommen. Und so gingen sie alle drei, reisten zehn Tage eiligen Schrittes, denn dem Großvater des Königs, so starrsinnig wie er war, mochte es einfallen, in diesen zehn Tagen zu sterben, er lag ja schon zehn Jahre da.

      Sie kamen an den HOF und wurden dort gut empfangen. Noch nie hatte Taushs Familie solche Kostbarkeiten und Köstlichkeiten erblickt. Dann wurden sie in die Kammer des Alten gebracht, der schon nichts mehr sah und auch nicht mehr gut hörte, aber er hatte die ärgerliche Vorliebe, jeden, der sich seinem Bett näherte, anzuspucken, sobald ihm etwas nicht passte. Aber Taush spuckte er nicht an. Der Junge zog sein Hemd aus und begann, die rote Schnur aus seinem Nabel zu spinnen, doch als es daran ging, sie ihm umzuwickeln, wählte er den linken Arm, um das Siegel anzulegen. Dann stieg er in die Kalesche und gab dem gesamten Hof zu verstehen, dass wäre es, er hätte seine Arbeit verrichtet, was sollte er noch bleiben? Auf nach Gaisterştat!

      Seine Familie fürchtete die Wut des Königs bei einem solchen Affront, aber davon war keine Rede, der König war glücklich, dass die Sache gelungen war wie gewünscht, und gab ihnen ein Pferd mit Sternenblesse und einen Beutel mit Zahnmünzen und Klauen-Talern und schickte sie mit demselben reichen Gefolge nach Hause. Niemand merkte, dass Taushs Schnur an die linke Hand des Alten gebunden war, denn noch nie zuvor hatte Taush sie dort angebracht, niemand ahnte also, ob das etwas Gutes oder Schlechtes bedeutete. Taush hatte die Schnur umgebunden und damit war es gut – lasst uns fröhlich sein! Aber ich, und nur ich, weiß, was diese Schnur an der linken Hand bedeutete, denn ich habe den Alten auf der Schwelle zwischen den Welten getroffen, und so stand er da an der Schwelle und spuckte nach allen Seiten, und er konnte keinen Schritt tun, weder nach hier noch nach dort, so groß war Taushs Macht.

      Wieder in Gaisterştat angelangt, freute sich die ganze Stadt. Ihr kleiner Heiliger war zurückgekehrt, er war unter den Fremden nicht zu Schaden gekommen, und der Beutel mit Geld war zu groß für eine so kleine Familie, sodass die Frau die Stadt glücklich machte, da sie beschloss, den Inhalt des Beutels mit den Bedürftigen zu teilen. Die hielten drei Tage und drei Nächte ein Fest, aber niemand bemerkte die Traurigkeit des kleinen Taush; nur seine Mutter, denn sie war die Mutter. Während die Musikanten im Hof spielten und die Köche unermüdlich Essen für die Verwandten und Nachbarn zubereiteten, saß die Frau im Dunkeln in ihrem Zimmer und hielt ihren Jungen fest in den Armen und sprach in Gedanken zu ihm, sie hoffte, auch seine Stimme einmal wenigstens in Gedanken zu hören, wenigstens als Echo der ihrigen, wenigstens als Stimme, die einen Gedanken imitierte oder einen Wind oder etwas, irgendetwas.

      »Warum bist du traurig?«, fragte die Frau und streichelte sein Haar. »So viele Menschen erfreust du, du gibst den Tieren ihr Leben zurück, berätst dich mit den Käferchen und sorgst dich um das Leben der Menschen im Jenseits. Warum bist du jetzt traurig?«, und während sie all das sagte, erbebte die Frau und begriff, dass wohl jeder das hiesige Leben durch Arbeit und Nachdenken bestellen kann, aber das Leben im Jenseits nur eine Handvoll Menschen, und unter ihnen Taush.

      Und wie schwer musste es ihm bei seinen sieben Jahren sein, zwei Welten zu betreten, Schwellen zu überschreiten und die eine Welt von der anderen aus zu sehen und die andere von der einen aus. Und sie hielt ihn noch fester und weinte noch bitterer und dachte an die Wege ihre Sohnes bei seinen drei Reisen, nicht in die WELT hinein, sondern in die UN’WELT, und ein Schauder überlief ihren Körper, der, wenn auch nur in Gedanken, dem Tod so nahe war.

      Doch kurze Zeit später sollte die Frau den Tod nicht nur in Gedanken, sondern in der Wirklichkeit kennenlernen. Es war eines Morgens zu Winteranfang, die Luft war eisig und in der Seele lag eine dunkle Vorahnung, als die Nachricht auf den Großen Platz von Gaisterştat gelangte, dass die neue Mauer der Festung, an der die Männer und jungen Burschen schon viele Monate gearbeitet hatten, über den Gerüsten zusammengestürzt war und vierzehn Seelen mit sich gerissen hatte. Gleich ergriff Furcht das Herz der Mutter, denn ihr Mann war seit dem Abend fort, um beim Errichten der Mauer zu helfen. Schwere Nacht, durchwachte Augen, schwache Arme, und das Unglück war geschehen. Die Frau rannte, als fliehe sie vor einem Gedanken, dem sie entkommen wollte, an den Rand der Stadt und begann dort nach ihrem Mann zu rufen. Sie zählte die Männer, soweit sie es in ihrer Angst konnte, sie