Yasar Kirgiz

Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî-Kurdischen und des Deutschen


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Kobanî/ Syrien Kurmancî 4,5 4,10 6,3 – 6,10 17 – 24 Monate Roza Kobanî/ Syrien Kurmancî 4,5 4,10 6,3 – 6,10 17 – 24 Monate Aram Paris/ Frankreich Deutsch, Kurmancî, Französisch 3,9 3,9 5,11 – 6,6 Seit Geburt Azad Şengal/ Irak Kurmancî 4,0 4,5 5,2 – 5,10 9 – 17 Monate Welat Şengal/ Irak Kurmancî 3,9 4,7 5,2 – 5,9 7 – 14 Monate Aras Berlin/ Deutschland Deutsch - 1,6 3,2 – 3,9 Seit Geburt3

      Abbildung 1:

      Angaben zu den Studienkindern

      Eine detaillierte Beschreibung der jungen, aber dennoch vielschichtigen Biografien der Studienkinder erfolgt in den Falldarstellungen (im Abschnitt 6.3). Aber hier soll schon eine Kategorisierung hinsichtlich ihres Deutscherwerbs vorweggenommen werden. Wie es der Übersicht zu entnehmen ist, kommen vier der insgesamt sechs Studienkinder – Zozan, Roza, Azad, Welat – erst im Alter zwischen 4,5 bis 4,10 in die Kita, was auch den Beginn ihres systematischen Erwerbs des Deutschen markiert. Entsprechend sind sie sukzessive bilinguale Erwerber*innen des Deutschen. Die zwei weiteren Kinder, Aram und Aras, sind als simultane Erwerber des Deutschen und des Kurmancî zu definieren, wobei bei Aras der Zugang zum Deutschen seit der Geburt gegeben ist, aber der Zugang zum Kurmancî im Wesentlichen ab dem Alter von eineinhalb Jahren – mit dem Eintritt in die Kita – erfolgt. Welche theoretische Grundlage dieser Kategorisierung zugrunde gelegt ist, wird im Abschnitt 5.2 erläutert.

      Im Rahmen des Formats der Fallstudie untersucht die vorliegende Arbeit nicht nur den Spracherwerb und die Sprachkompetenz der Studienkinder, sondern darüber hinaus auch die Einflussfaktoren auf diese. Mit Einflussfaktoren sind konkret die Kita und die Familien der Studienkinder gemeint. Hinsichtlich der Kita wurde mit den Erzieher*innen, mit der Kitaleitung sowie mit der Geschäftsführung des Kitaträgers ein Leitfadeninterview geführt. Die Fragen für das Leitfadeninterview an die Erzieher*innen und die Kitaleitung wurden in Anlehnung an Brizić (im Ersch.) entwickelt. Mit den Familien wurde ein Fragebogen durchgegangen, der von MAIN (vgl. Gagarina et al. 2012) und Brizić (im Ersch.) adaptiert ist. Zudem wurden den Eltern weiterführende Fragen zu ihrer Sprachbiografie gestellt. Durch die Thematisierung der Rolle der Kita und der Familie für den Spracherwerb und die Sprachkompetenz sollten der erhaltene Input und die gegebene Interaktion in den Sprachen untersucht werden. Dadurch wurde den zwei wesentlichen sogenannten externen Faktoren des Spracherwerbs Rechnung getragen (vgl. Ellis 2008: 238ff.). Zu ergänzen ist, dass Interviews und Fragebogen einmalig durchgeführt worden sind, aber sowohl im Vorfeld als auch im Nachgang informelle Gespräche stattgefunden haben, um neue oder ergänzende Informationen zu akquirieren.

      Der Schwerpunkt der vorliegenden Studie liegt jedoch auf der Dokumentation des Spracherwerbs und auf der Ermittlung der Sprachkompetenz der Studienkinder. Zu diesem Zweck wurden drei Instrumente in Anspruch genommen:

       Language Impairment Testing in Multilingual Settings – Multilingual Assessment Instrument for Narratives (LITMUS-MAIN) (Gagarina et al. 2012, 2019a)

       Linguistische Sprachstandserhebung – Deutsch als Zweitsprache (LiSe-DaZ) (Schulz/Tracy 2011)

       Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstandes bei Fünfjährigen (HAVAS 5) (Reich/Roth 2004a, 2004b)

      Diese Instrumente wurden um eine Lexikonabfrage für die Sprachkompetenz in der dritten und vierten Sprache ergänzt.

      MAIN wurde bei den Studienkindern für Kurmancî und Deutsch insgesamt zu drei Messzeitpunkten (ab hier meist als MZP abgekürzt) mit einem Abstand von etwa drei Monaten eingesetzt. LiSe-DaZ wurde nur für das Deutsche zu zwei MZP mit einem Abstand von etwa fünf Monaten eingesetzt. HAVAS 5 wurde herangezogen, um die mögliche Kompetenz der Studienkinder in weiteren Sprachen zu ermitteln. Diesem Instrument wurde jedoch eine kleine Lexikonabfrage vorangestellt, um auch eine niedrige Kompetenz zu erfassen. Die Erhebung zur Ermittlung der Sprachkompetenz in der dritten und vierten Sprache fand einmal statt. Was genau mit welchem Instrument elizitiert worden ist, wird im Detail bei ihren Ausführungen im Abschnitt 6.2.2 dargelegt. Dort werden auch einige Aspekte der Adaptation von MAIN ins Kurmancî beschrieben. Im Folgenden wird tabellarisch dargestellt, wann welches Instrument eingesetzt wurde.

MAIN 1. MZP Mitte Februar –Anfang März 2017 in Kurmancî und Deutsch 2. MZP Ende Mai – Anfang Juni 2017 in Kurmancî und Deutsch 3. MZP Ende August – Anfang September 2017 in Kurmancî und Deutsch
LiSe-DaZ 1. MZP Anfang April 2017 in Deutsch 2. MZP Anfang September 2017 in Deutsch
HAVAS 5 & Lexikonabfrage Mitte Juni 2017 in weiteren Sprachen

      Abbildung 2:

      Zeitraum der eingesetzten Instrumente

      Beim ersten MZP hat Azad die MAIN-Geschichten nicht erzählt. Mit der Erhebung seiner sprachlichen Daten wurde daher im April mit LiSe-DaZ begonnen. Als die anderen Kinder Ende Mai – Anfang Juni ihren zweiten MZP mit MAIN hatten, war für ihn der erste MZP mit diesem Instrument. Entsprechend war sein dritter MZP mit MAIN nicht im September, sondern drei Monate später im Dezember zu Ende. Die sprachlichen Erhebungen haben bei Azad innerhalb von acht Monaten und bei den anderen Kindern innerhalb von sieben Monaten stattgefunden (für diese Besonderheit bei Azad siehe seine Falldarstellung im Abschnitt 6.3).

      4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch

      4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî

      4.1.1 Überblick

      Beim Kurmancî handelt es sich um diejenige Varietät des Kurdischen, die von den meisten Kurd*innen gesprochen wird (vgl. Thackston 2006: VII, Turgut 2011: 14). Es wird angenommen, dass kurdische Varietäten weltweit insgesamt von 20 bis 30 Millionen Menschen gesprochen werden (vgl. Haig/Öpengin 2018: 157). Bulut schätzt, dass 65% davon die Kurmancî-Varietät sprechen (vgl. Bulut 2018: XX), also 13 bis 20 Millionen Menschen. Auch Thackston gibt eine vergleichbare Zahl der Kurmancîsprecher*innen an, nämlich 15 bis 17 Millionen (vgl. Thackston 2006: VII).

      Das Kurdische stellt nicht eine Sprache, sondern einen Sammelbegriff