wo er einen großen Buchstaben, oder einen kleinen setzen müsse.
Dieser hörte ihm denn aufmerksam zu, und zwischen ihnen wurden oft moralische und religiöse Gegenstände abgehandelt. Antons Mitlehrbursche war bei diesen Gelegenheiten vorzüglich stark in Erfindung neuer Wörter, wodurch er seine Begriffe bezeichnete. So nannte er z. B. die Befolgung der göttlichen Befehle, die Erfülligkeit Gottes. – Und indem er vorzüglich die religiösen Ausdrücke des [67]Herrn L[obenstein] von Ertötung, usw. nachzuahmen suchte, geriet er oft in ein sonderbares Galimathias.
Mit vorzüglichem Nachdruck wusste er sich einiger Stellen aus den Psalmen Davids, worin eben keine sanftmütigen Gesinnungen gegen die Feinde geäußert werden, zu bedienen, wenn er glaubte, durch die Haushälterin oder jemand anders, angeschwärzt und verleumdet zu sein.
So waren fast alle Hausgenossen mehr oder weniger von den religiösen Schwärmereien des Herrn L[obenstein] angesteckt, ausgenommen der Geselle. Dieser warf ihm, wenn er ihm manchmal zu viel von Ertötung und Vernichtung schwatzte, einen solchen tötenden und vernichtenden Blick zu, dass Herr L[obenstein] sich mit Abscheu wegwandte, und stillschwieg.
Sonst konnte Herr L[obenstein] zuweilen stundenlange Strafpredigten gegen das ganze menschliche Geschlecht halten. Mit einer sanften Bewegung der rechten Hand teilte er dann Segen und Verdammnis aus. Seine Miene sollte dabei mitleidsvoll sein, aber die Intoleranz und der Menschenhass hatten sich zwischen seinen schwarzen Augenbraunen gelagert.
Die Nutzanwendung lief denn immer, politisch genug, darauf hinaus, dass er seine Leute zum Eifer und zur Treue – in seinem Dienste ermahnte, wenn sie nicht ewig im höllischen Feuer brennen wollten.
Seine Leute konnten ihm nie genug arbeiten – und er machte ein Kreuz über das Brot und die Butter, wenn er ausging.
Dem Anton, der ihm vielleicht nicht gnug arbeiten konnte, verbitterte er sein Mittagsessen durch tausend wiederholte Lehren, die er ihm gab, wie er das Messer und [68]die Gabel halten, und die Speise zum Munde führen sollte, dass diesem oft alle Lust zum Essen verging; bis sich der Geselle einmal nachdrücklich seiner annahm, und Anton doch nun in Frieden essen konnte. –
Übrigens aber durfte er es auch nicht wagen, nur einen Laut von sich zu geben, denn an allem, was er sagte, an seinen Mienen, an seinen kleinsten Bewegungen, fand L[obenstein] immer etwas auszusetzen; nichts konnte ihm Anton zu Danke machen, welcher sich endlich beinahe in seiner Gegenwart zu gehen fürchtete, weil er an jedem Tritt etwas zu tadeln fand. – Seine Intoleranz erstreckte sich bis auf jedes Lächeln, und jeden unschuldigen Ausbruch des Vergnügens, der sich in Antons Mienen oder Bewegungen zeigte: denn hier konnte er sie einmal recht nach Gefallen auslassen, weil er wusste, dass ihm nicht widersprochen werden durfte.
Während der Zeit wurden die ganz verblichnen fünf Sinne an dem schwarzen Getäfel der Wand wieder neu überfirnisst – die Erinnerung an den Geruch davon, welcher einige Wochen dauerte, war bei Anton nachher beständig mit der Idee von seinem damaligen Zustande vergesellschaftet. Sooft er einen Firnisgeruch empfand, stiegen unwillkürlich alle die unangenehmen Bilder aus jener Zeit in seiner Seele auf; und umgekehrt, wenn er zuweilen in eine Lage kam, die mit jener einige zufällige Ähnlichkeiten hatte, glaubte er auch, einen Firnisgeruch zu empfinden.
Ein Zufall verbesserte Antons Lage in etwas.
Der Hutmacher L[obenstein] war ein äußerst hypochondrischer Schwärmer; er glaubte an Ahndungen und hatte Visionen, die ihm oft Furcht und Grauen erweckten. Eine [69]alte Frau, die zur Miete im Hause gewohnt hatte, starb, und erschien ihm bei nächtlicher Weile im Traume, dass er oft mit Schaudern und Entsetzen erwachte, und weil er dann wachend noch fortträumte, auch ihren Schatten in irgendeiner Ecke seiner Kammer noch zu sehen glaubte. Anton musste ihm von nun an zur Gesellschaft sein, und in einem Bette neben ihm schlafen. Dadurch wurde er ihm gewissermaßen zum Bedürfnis, und er wurde etwas gütiger gegen ihn gesinnt. – Er ließ sich oft mit ihm in Unterredungen ein, fragte ihn, wie er in seinem Herzen mit Gott stehe, und lehrte ihn, dass er sich Gott nur ganz hingeben solle; wenn er dann zu dem Glück der Kinder Gottes auserwählt wäre, so würde Gott selbst das Werk der Bekehrung in ihm anfangen und vollenden, usw. – Des Abends musste Anton, ehe er zu Bette ging, für sich stehend, leise beten, und das Gebet durfte auch nicht allzu kurz sein – sonst fragte L[obenstein] wohl, ob er denn schon fertig sei, und Gott nichts mehr zu sagen habe? – Dies war für Anton eine neue Veranlassung zur Heuchelei und Verstellung, die sonst seiner Natur ganz entgegen war. – Ob er gleich leise betete, so suchte er doch seine Worte so vernehmlich auszusprechen, dass er von L[obenstein] recht gut verstanden werden konnte – und nun herrschte durch sein ganzes Gebet nicht sowohl der Gedanke an Gott, als vielmehr, wie er sich durch irgendeinen Ausdruck von Reue, Zerknirschung, Sehnsucht nach Gott und dergleichen wohl am besten in die Gunst des Herrn L[obenstein] einschmeicheln könnte. – Das war der herrliche Nutzen, den dies erzwungne Gebet auf Antons Herz und Charakter hatte.
Doch aber fand Anton auch zuweilen im einsamen Gebete noch eine Art von heimlichem Vergnügen, wenn er in [70]irgendeinem Winkel der Werkstatt kniete, und Gott bat, dass er doch eine einzige von den großen Veränderungen in seiner Seele hervorbringen möchte, wovon er seit seiner Kindheit schon so viel gelesen und gehört hatte. Und so weit ging die Täuschung seiner Einbildungskraft, dass es ihm zuweilen wirklich war, als ginge etwas ganz Besonders im Innersten seiner Seele vor; und sogleich war auch der Gedanke da, wie er nun diesen seinen Seelenzustand etwa in einem Briefe an seinen Vater oder den Herrn von F[leischbein] einkleiden, oder ihn Herrn L[obenstein] erzählen wollte. Es waren also dergleichen eingebildete innere Gefühle immer eine süße Nahrung seiner Eitelkeit, und das innige Vergnügen, was er darüber empfand, wurde vorzüglich durch den Gedanken erweckt, dass er doch nun sagen könnte, er habe ein solches göttliches, himmlisches Vergnügen in seiner Seele empfunden – es schmeichelte ihm immer sehr, wenn erwachsene und bejahrte Leute seinen Seelenzustand für so wichtig hielten, dass sie sich darum bekümmerten. Das war der Grund, dass er sich so oft einen abwechselnden Seelenzustand zu haben einbildete, um dann etwa dem Herrn L[obenstein] klagen zu können, dass er sich in einem Zustande der Leere, der Trockenheit befinde, dass er keine rechte Sehnsucht nach Gott bei sich verspüre, usw., und sich alsdann den Rat des Herrn L[obenstein] über diesen seinen Seelenzustand ausbitten zu können, der ihm denn auch immer mit vieler für ihn schmeichelhaften Wichtigkeit erteilt ward.
Ja es kam gar einmal so weit, dass über seinen Seelenzustand mit dem Herrn von F[leischbein] korrespondiert, und ihm eine Stelle in dem Briefe des Herrn von F[leischbein], die sich auf ihn bezog, gezeigt wurde. Was Wunder, [71]dass er auf die Weise veranlasst wurde, sich durch allerlei eingebildete Veränderungen seines Seelenzustandes, in seinen eignen Augen sowohl, als in den Augen andrer, bei dieser Wichtigkeit zu erhalten, da er als ein Wesen betrachtet wurde, bei dem sich eine ganz eigne besondre Führung Gottes offenbarte.
Er bekam nun auch eine schwarze Schürze, wie der andre Lehrbursche, und anstatt, dass ihn dieser Umstand hätte niederschlagen sollen, trug er vielmehr vieles zu seiner Zufriedenheit bei. Er betrachtete sich nun als einen Menschen, der schon anfing, einen gewissen Stand zu bekleiden. Die Schürze brachte ihn gleichsam in Reihe und Glied mit andern seinesgleichen, da er vorher einzeln und verlassen dastand – er vergaß über die Schürze eine Zeitlang seinen Hang zum Studieren; und fing an, auch an den übrigen Handwerksgebräuchen eine Art von Gefallen zu finden, der ihn nichts eifriger wünschen ließ, als dieselben einmal mitmachen zu können. – Er freute sich innerlich, sooft er den Gruß eines einwandernden Gesellen hörte, der das gewöhnliche Geschenk zu fordern kam; und keine größere Glückseligkeit konnte er sich denken, als wenn er auch einmal als Geselle so einwandern, und dann, nach Handwerksgebrauch, den Gruß mit den vorgeschriebnen Worten hersagen würde. –
So hängt das jugendliche Gemüt immer mehr an den Zeichen, als an der Sache, und es lässt sich von den frühen Äußerungen bei Kindern, in Ansehung der Wahl ihres künftigen Berufes, wenig oder gar nichts schließen. – Sobald Anton lesen gelernt hatte, fand er ein unbeschreibliches Vergnügen darin, in die Kirche zu gehen; seine Mutter und seine Base konnten sich nicht gnug darüber freuen. [72]Was ihn aber in die Kirche trieb, war der Triumph, den er allemal genoss, wenn er nach dem schwarzen Brette, wo die Nummern der Gesänge angeschrieben waren, hinsehen, und etwa einem erwachsenen Menschen, der neben ihm stand, sagen konnte, was es für eine