Gesangbuche aufschlagen, und nun mitsingen konnte. –
Die Zuneigung des Herrn L[obenstein] gegen Anton schien itzt immer größer zu werden, je mehr dieser nach seiner geistlichen Führung ein Verlangen bezeigte. – Er ließ ihn oft bis um Mitternacht an den Gesprächen mit seinen vertrautesten Freunden teilnehmen, mit denen er sich gemeiniglich über seine und anderer Erscheinungen zu unterhalten pflegte, welche zuweilen so schaudervoll waren, dass Anton mit bergan stehendem Haare zuhorchte. Gemeiniglich wurde erst spät zu Bett gegangen. Und wenn der Abend mit solchen Gesprächen zugebracht war, so pflegte L[obenstein] am folgenden Morgen beim Aufstehen wohl zu fragen, ob Anton die Nacht nichts vernommen, nichts in der Kammer gehen gehört habe?
Manchmal unterhielt sich auch L[obenstein] des Abends mit Anton allein, und sie lasen dann zusammen etwa in den Schriften des Taulerus, Johannes vom Kreuz, und ähnlichen Büchern. – Es schien, als ob zwischen ihnen eine dauerhafte Freundschaft entstehen würde. Anton fasste auch wirklich eine Art von Liebe gegen L[obenstein], aber diese Empfindung war immer mit etwas Herbem untermischt, mit einem gewissen Gefühl von Ertötung und Vernichtung, welches durch L[obenstein]s bittersüßes Lächeln erzeugt wurde.
[73]Indes blieb Anton jetzt von harten und niedrigen Arbeiten, mehr wie sonst, verschont. L[obenstein] ging zuweilen mit ihm spazieren; ja er nahm ihm sogar einen Klaviermeister an. – Anton war entzückt über seinen Zustand, und schrieb einen Brief an seinen Vater, worin er demselben auf das lebhafteste seine Zufriedenheit bezeigte.
Nun hatte aber auch Antons Glück im L[obenstein]schen Hause den höchsten Gipfel erreicht, und sein Fall war nahe. Alles sahe ihn mit neidischen Augen an, seitdem ihm der Klaviermeister gehalten wurde. Es wurden hier Kabalen, wie an einem kleinen Hofe gespielt; man verleumdete ihn, man suchte ihn zu stürzen.
Solange L[obenstein] gegen Anton hart und unbillig verfahren war, genoss er des Mitleids und der Freundschaft aller übrigen Hausgenossen; sobald es aber schien, als ob dieser ihm seine Freundschaft und Vertrauen zuwenden würde, nahm in ebendem Maße ihre Feindschaft und Misstrauen gegen ihn zu. Und sobald es ihnen nur gelungen war, ihn wieder zu sich herunterzubringen, und man es so weit gebracht hatte, dass der Klaviermeister wieder abgedankt war, hatte man auch weiter nichts mehr gegen Anton: man war sein Freund, wie zuvor.
Nun hielt es aber nicht schwer, ihn der Gewogenheit eines so argwöhnischen und misstrauischen Mannes, wie L[obenstein] war, zu berauben; man durfte nur einige lebhafte Äußerungen von ihm erzählen; man durfte Herrn L[obenstein] nur auf verschiedne wirkliche Fehler der Nachlässigkeit und Unordnung, die Anton an sich hatte, bei jeder Gelegenheit aufmerksam machen, um seinen Gesinnungen bald eine andre Richtung zu geben. Dies wurde denn von der Haushälterin, und den übrigen [74]Untergebenen sehr gewissenhaft getan. – Indes dauerte es doch noch einige Monate, ehe man völlig seinen Zweck erreichte. Während welcher Zeit L[obenstein] sogar Antons Klaviermeister zu bekehren sich Mühe gab, welcher ein sehr rechtschaffner und frommer Mann war, aber Herrn L[obenstein]s Meinung nach, sich Gott noch nicht ganz hingegeben hatte, und sich nicht leidend gnug gegen ihn verhielt.
Dieser Mann musste denn auch oft bei Herrn L[obenstein] speisen, verdarb es aber am Ende dadurch, dass er sich zu viel Butter auf das Brot schmierte; auf diesen Umstand machte die Haushälterin Herrn L[obenstein] aufmerksam, um dadurch ihren Zweck zu erreichen, dem Klavierspielen Antons ein Ende zu machen, damit er nicht mehr über die andern Hausgenossen erhoben wäre.
Anton hatte überdem nicht viel Genie zur Musik, und lernte folglich nicht viel in seinen Stunden. Ein paar Arien und Choräle waren alles, was er mit vieler Mühe fassen konnte. Und die Klavierstunde war ihm immer eine sehr unangenehme Stunde. Auch wurde ihm die Applikatur sehr schwer, und L[obenstein] fand immer an der Figur seiner weitausgespreiteten Finger etwas auszusetzen.
Indes gelang es ihm doch einmal, wie dem David beim Saul, den bösen Geist des Herrn L[obenstein] durch die Kraft der Musik zu vertreiben. Er hatte ein kleines Versehen begangen, und weil die Neigung des Herrn L[obenstein] gegen ihn schon anfing, sich in Hass zu verwandeln, so hatte dieser ihm des Abends vor dem Schlafengehen eine harte Züchtigung dafür zugedacht. Anton merkte dies an allem wohl. Und als die Stunde heranzunahen schien, fasste er den Mut, einen Choral, den ersten den er gelernt hatte, auf dem Klavier zu spielen, und dazu zu singen. Dies [75]überraschte Herrn L[obenstein], er gestand ihm, dass grade diese Stunde zu einer nachdrücklichen Bestrafung bestimmt gewesen wäre, die er ihm nun schenkte.
Anton erdreistete sich nun sogar, ihm einige Vorstellungen wegen der anscheinenden Abnahme seiner Freundschaft und Liebe gegen ihn zu tun, worauf L[obenstein] ihm gestand, dass seine Zuneigung gegen ihn freilich so stark nicht mehr sei, und dass dieses notwendig an Antons verschlimmertem Seelenzustande liegen müsse, wodurch gleichsam eine Scheidewand zwischen ihm und seiner ehemaligen Liebe gezogen wäre. Er habe die Sache Gott im Gebet vorgetragen, und diesen Aufschluss darüber erhalten.
Dies war nun sehr traurig für Anton, und er fragte, wie er es denn anzufangen habe, um seinen verschlimmerten Seelenzustand wieder zu verbessern? – Seinen Weg in Einfalt zu wandeln, und sich ganz Gott zu überlassen, war die Antwort, sei das einzige Mittel, seine Seele zu retten. – Weiter wurden keine nähern Anweisungen erteilt. Herr L[obenstein] hielt es nicht für gut, Gott gleichsam vorzugreifen, der sich selber von Anton abgezogen zu haben schien. – Die nachdrücklich ausgesprochnen Worte aber, seinen Weg in Einfalt zu wandeln, hatten darauf Bezug, dass ihm Anton seit einiger Zeit zu klug zu werden anfing, zu viel sprach und vernünftelte, und überhaupt, wegen der Zufriedenheit mit seinem Zustande, zu lebhaft wurde. – Diese Lebhaftigkeit war ihm der gerade Weg zu Antons Verderben, der nach dieser Heiterkeit in seinem Gesichte notwendig ein ruchloser, weltlich gesinnter Mensch werden musste, von dem nichts anders zu vermuten stand, als dass ihn Gott selbst in seinen Sünden dahingehen würde. –
[76]Hätte Anton seinen Vorteil besser verstanden, so hätte er itzt durch ein niedergeschlagenes, misanthropisches Wesen, vorgegebene Beängstigungen und Beklemmungen seiner Seele noch alles wiedergutmachen können. Denn nun würde L[obenstein] geglaubt haben, Gott sei im Begriff, die verirrte Seele wieder zu sich zu ziehen. –
Aber weil L[obenstein] den Grundsatz hatte, dass derjenige, welchen Gott bekehren wolle, auch ohne sein Zutun bekehrt werde; und dass Gott erwählet, welchen er will, und verwirft und verstocket, welchen er will, um seine Herrlichkeit zu offenbaren – so schien es ihm gleichsam gefährlich, sich in die Sache Gottes zu mischen, wenn es etwa den Anschein hatte, als ob einer wirklich von Gott verworfen wäre.
Mit Anton hatte es nun, seinen lebhaften und weltlich gesinnten Mienen nach, bei dem Herrn L[obenstein] würklich beinahe diesen Anschein. – Die Sache war ihm so wichtig gewesen, dass er darüber mit dem Herrn von F[leischbein] korrespondiert hatte. – Und nun zeigte er Anton wiederum in dem Briefe des Herrn von F[leischbein] eine Stelle, die ihn betraf; und worin der Herr von F[leischbein] versicherte, allen Kennzeichen nach habe der Satan seinen Tempel in Antons Herzen schon so weit aufgebauet, dass er schwerlich wieder zerstört werden könne. –
Das war wirklich ein Donnerschlag für Anton – aber er prüfte sich, und verglich seinen jetzigen Zustand mit dem vorhergehenden, und es war ihm unmöglich, irgendeinen Unterschied dazwischen zu entdecken; er hatte noch ebenso oft, eingebildete göttliche Rührungen und Empfindungen, wie sonst; er konnte sich nicht überzeugen, dass er ganz aus der Gnade gefallen, und von Gott verworfen sein [77]sollte. Er fing an der Wahrheit des Orakelspruchs von dem Herrn von F[leischbein] an zu zweifeln.
Dadurch verlor sich seine Niedergeschlagenheit wieder, die ihm sonst vielleicht aufs Neue den Weg zu der Gunst des Herrn L[obenstein] würde gebahnt haben, dessen Freundschaft er nun durch seine fortgesetzten vergnügten Mienen vollends verscherzte.
Die erste Folge davon war, dass ihn L[obenstein] aus seiner Kammer entfernte, und er wieder bei dem andern Lehrburschen schlafen musste, der nun anfing wieder sein Freund zu werden, weil er ihn nicht mehr beneidete; die andre, dass er wieder anfangen musste, mehr wie jemals die schwersten und niedrigsten Arbeiten zu verrichten, wobei er immer in der Werkstatt bleiben musste, und nur selten zu Herrn L[obenstein] in die Stube kommen durfte. Der Klaviermeister wurde nur noch deswegen beibehalten, weil L[obenstein] das angefangne Werk der Bekehrung in ihm vollenden, und also statt einer verlornen Seele Gott wieder eine andre zuführen wollte.
Der