Reinhold Haller

Die Entscheidung


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Doktormutter

      2 Finanzielle Gründe wie Unvereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Arbeit an der Dissertation unsichere Finanzierung der Promotionsstelle etc.

      3 Veränderte Karriereziele oder verlorenes Interesse an einer Wissenschaftskarriere

      Wird dann nach einer längeren Zeit ein Promotionsvorhaben abgebrochen, bleibt unter Umständen ein Knick im Lebenslauf. Wer will schon einem künftigen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch vermitteln, dass die geplante Dissertation nur eine fixe Idee war oder dass man möglichweise mit seinen Zielen und Vorstellungen gescheitert ist?

      Trotz allem: Der Wissenschaftsbetrieb braucht Promovierende. Die sind preiswert, flexibel zu handhaben, in mehrfacher Hinsicht abhängig, jung und unverbraucht und haben darüber hinaus seltener anderweitige Aufgaben, die in Konkurrenz zur Forschung stehen, wie Familie, Kinder oder etwa pflegebedürftige Angehörige.

      Vor diesem Hintergrund kann von paradiesischen Arbeitsverhältnissen also keine Rede sein. Noch vor etlichen Jahren hatten Forschungseinrichtungen zudem die Angewohnheit, ihren Promovierenden nur ein halbes Gehalt zu zahlen, aber eher 50 als 40 Wochenstunden an erbrachter Arbeitsleistung einzufordern. Das muss man sich als Doktorand:in erst einmal leisten können und von den Konditionen her akzeptieren wollen.

      Noch etwas ist durchaus kritisch zu sehen: Wenn weit mehr Studierende irgendwann promoviert werden als das Wissenschaftssystem tatsächlich benötigt, entsteht quasi ein doppelter Arbeitsbeschaffungsprozess: Einerseits wollen die Doktorand:innen betreut werden und anderseits entstehen durch den aus den Promotionen generierten PublikationszwangPublikationszwang immer mehr Fachpublikationen. Viele Wissenschaftler:innen beklagen sich zwangsläufig über die mittlerweile unüberschaubare Fülle wissenschaftlicher Publikationen. Gleichzeitig wird mitunter bemängelt, dass die Relevanz der Promotionsthemen und die wissenschaftliche Qualität vieler Publikationen in einigen Disziplinen durch den inflationären Zuwachs deutlich abzunehmen scheint.

      Aus diesem Grund hatte einst in Deutschland der WissenschaftsratWissenschaftsrat überlegt, zumindest den Ärzt:innen nach deren Approbation ihren ‚Dr. med.‘ einfach per Urkunde und ohne DoktorarbeitDoktorarbeit zu verleihen, wie man dies etwa in Österreich, Tschechien, der Slowakei und in den U.S.A. handhabt. Das Entsetzen an den medizinischen Fakultäten in Deutschland war jedoch zu groß, weil diese Maßnahme die Forschung im medizinischen Bereich auf einen Bruchteil reduziert hätte – obwohl ausgerechnet in einigen medizinischen Fachbereichen ein beachtlicher Anteil der Forschung von den reinen Naturwissenschaftler:innen tendenziell als Schmalspurforschung wahrgenommen wird.

      Mediziner:innen mit wirklich aufwändigen, umfänglichen und empirisch anspruchsvollen Dissertationsvorhaben mögen den Naturwissenschaftler:innen diese Haltung nachsehen.“

      Leo schenkte seinen Zuhörer:innen Erdbeerbowle und Mineralwasser nach und fuhr fort.

      „Warum erzähle ich das alles? Ich denke, es will gut überlegt sein, ob und warum man eine Promotion anstreben sollte. Schließlich bringt sie möglicherweise Risiken und Nachteile, anderseits aber durchaus auch klare Vorteile.

      Die VorteilePromotion (Vorteile) sind:

      1 Eine Promotion eröffnet die Option, im Wissenschaftsbereich tätig zu sein, zu bleiben und gegebenenfalls dort sogar aufzusteigen bis zu einer seltenen Dauer- oder Professorenstelle.

      2 Sie gibt Zeit und Gelegenheit, den Wissenschaftsbetrieb als solchen wirklich kennenzulernen und in dieser Zeit abzuwägen, ob man flüchten will oder standhalten.

      3 Wenn man sich für ein Forschungsthema wirklich begeistern kann, dann kann man sich mit einer Promotion auf diesem Gebiet zwei bis drei Jahre oder sogar länger austoben. Mit einer Promotionsstelle ist für den Lebensunterhalt gesorgt, ein Labor, Büro oder andere Infrastruktur sowie – hoffentlich – für eine gute und kompetente Betreuung durch Hochschullehrer:innen.

      4 Sollte man sich irgendwann für etwas mehr Lehre begeistern und sollten die Türen der Universität verschlossen bleiben, kann man mit einer Promotion immerhin vielleicht eine Professur an einer FachhochschuleFachhochschule erlangen. Hier ist in aller Regel keine HabilitationHabilitation oder ähnliches gefordert, sondern neben eine Promotion vor allem eine fundierte, mehrjährige Berufs- und/oder Lehrerfahrung.

      5 Die Promotion schafft möglicherweise, wenn auch nicht sicher, Vorteile auf dem Arbeitsmarkt und bei der VergütungVergütung späterer Beschäftigungsverhältnisse. Insbesondere in den Arbeitsbereichen Chemie, Biologie oder in den Kulturwissenschaften ist eine qualifizierte Anstellung für Wissenschaftler:innen ohne Promotion kaum erreichbar.

      Folgende NachPromotion (Nachteile)teile einer Promotion sehe ich:

      1 Wenn ich später nicht wissenschaftlich tätig sein werde, bietet mir die Promotionszeit keine Berufserfahrung im eigentlichen Sinne. In der Zeit, in welcher ich promoviert habe, sind andere Uniabsolventen vielleicht schon beruflich fest im Sattel oder haben es sogar bereits zu einer Führungsposition gebracht.

      2 Der Ausgang der Promotion ist keinesfalls sicher. Einige Studien besagen, dass bis zu 40 Prozent der Dissertationsvorhaben abgebrochen werden – selbst wenn mir das persönlich deutlich übertrieben erscheint.

      3 Ob mir die Promotion für das berufliche Fortkommen außerhalb der Wissenschaft einen echten Vorteil bringt, ist nicht immer eindeutig. Schließlich gibt es in allen Hierarchiestufen in Wirtschaft, Industrie und in der Verwaltung Top-Führungskräfte ohne Promotion.

      Wenn man also erwägt, nach dem Master eine Promotion anzustreben, sollte man sich folgende FragenPromotion (Entscheidungscheck) beantworten:

       Kann ich das? Traue ich mir das fachlich zu? Bin ich ausreichend interessiert, engagiert, eigeninitiativ, diszipliniert, organisiert und belastbar, um eine längere Promotionszeit zu bewältigen. Bin ich in meinen fachlich-wissenschaftlichen Kompetenzen so gut aufgestellt, dass ich mich einem harten Wettbewerb wirklich stellen kann?

       Will ich das? Überwiegen in meiner Bilanz die Vorteile einer Promotion deren mögliche Nachteile?

       Bin ich gut informiert? Kenne ich die Anforderungen, Rahmenbedingungen und den Wettbewerb in diesem Arbeitsmarkt ausreichend gut?

      Wer dann in Erwägung zieht, im Wissenschaftsbereich verweilen zu wollen, beziehungsweise wer für sich klare Vorteile sieht, der oder die sollte sich ein packendes Thema suchen, eine gute Betreuung – und dann mutig und zuversichtlich loslegen!“

      Leo lehnte sich nach seinem kleinen Vortrag entspannt zurück in seinen Balkonstuhl und schaute erwartungsvoll in die Runde.

      Arbeit für die Wissenschaft oder in der Forschung?

      Amisha machte nach einem kurzen Schweigen der Anfang: „Warum hast du denn nach deiner Promotion den Forschungsbereich verlassen und bist in das Gebiet des Beraters für die Wissenschaft gewechselt, statt in der Wissenschaft zu bleiben?“, fragte sie.

      „Ganz einfach“, erwiderte Leo, „ich habe tatsächlich aus pragmatischen Gründen promoviert und nicht aus wissenschaftlichem Ehrgeiz. Und das kam so: Aus meiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin hatte ich viele aufschlussreiche Themen, Materialien und Daten gesammelt. Alle Kolleg:innen um mich herum fragten mich beständig, wann ich denn endlich promovieren wolle. Ich entgegnete eine Zeit lang, dass ich nicht vorhätte, eine klassische wissenschaftliche Karriere hinzulegen. Deshalb sei für mich eine Promotion nicht erforderlich.

      Ich wusste aber bereits, dass ich als Berater, Trainer, Moderator und Coach im wissenschaftlichen Umfeld bleiben wollte. Und so kam ich – unterstützt durch viele Tipps und Ratschläge – zu der Überzeugung, dass eine Promotion durchaus Vorteile mit sich bringen würde. Sie würde mir helfen, so dachte ich, mit meiner Klientel aus dem Wissenschaftsumfeld auf Augenhöhe zu bleiben. Schließlich ist ja nicht nur entscheidend, was man selbst alles weiß und kann. Wichtig ist ebenso, welches Bild und welche Erwartungen andere an mich haben.

      Es ist als Dienstleister also wichtig auf dem Schirm zu haben, was dir deine Klienten zutrauen. Und wenn deine Auftraggeber