Lothar Beutin

Rizin


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sah etwa einen Meter entfernt einen Mann in einer grünlichen Uniform auf einem Stuhl sitzen. Seine Gesichtszüge waren malaiisch, wie bei dem Portier, aber er hatte militärisch kurz geschorene Haare und über seinen Knien lag ein Gewehr.

      „Was ist los? Wo bin ich?“, hörte Griebsch seine Stimme wie von weit entfernt her. Auf seiner rechten Seite endete das Zimmer in einem Maschendrahtzaun, der es von einem unbeleuchteten Flur abtrennte. Eindeutig eine Zelle. Er war in einem Gefängnis! Bei dem Gedanken spürte er plötzlich eine starke Trockenheit in seinem Mund. Als er den Posten wieder ansah, blickte dieser prüfend zurück, hob neben sich einen Hörer ab und sagte einige Worte in einer Sprache, die Griebsch nicht verstand. Als Griebsch sich aufrichten wollte, wurde er festgehalten und bemerkte, er war auf dem Bett, das einer Pritsche glich, festgeschnallt. „Wasser“, sagte er. Der Posten schaute ihn ausdruckslos an und schien nicht zu verstehen. „Water, please, water please“, krächzte Griebsch.

      Der Posten griff nach etwas auf dem Boden und hielt Griebsch eine Plastikflasche an den Mund. Das Wasser floss ihm halb über das Kinn, aber er trank gierig. Im Flur flammte Licht auf und von entfernt hörte Griebsch Schritte und Stimmen, die näherkamen. Ihm fiel ein, dass in Singapur auf Drogenbesitz die Todesstrafe stand. Hatte ihm vielleicht am Flughafen jemand etwas in sein Gepäck geschmuggelt? Oder war es der Taxifahrer, der sich rächen wollte? Vielleicht auch der komische Typ von der Hotelrezeption? Die Schritte von der anderen Seite des Maschendrahtzauns näherten sich. Zwei Männer standen dort. „Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass die Welt klein ist?“, hörte Griebsch eine fröhliche Stimme vom Flur. „So sieht man sich wieder!“

      Diese Stimme kannte Horst Griebsch. Ja, er hatte sie gestern noch gehört, aber das konnte doch nicht wahr sein! Es war tatsächlich Sutter, der mit einem bewaffneten Mann vor dem Maschendrahtzaun stand. Der Posten, der neben Griebsch gesessen hatte, war aufgestanden und schloss eine Tür im Drahtverhau auf, die Griebsch erst jetzt bemerkte. Für einen kurzen Moment war er erleichtert: „Ach, Herr Sutter, zum Glück sind Sie da. Helfen Sie mir, man hat mich betäubt, verschleppt und hält mich hier fest. Wo bin ich hier und wer hat Sie denn benachrichtigt?“, sprudelte es aus ihm heraus.

      Sutter gab dem Posten in der Zelle eine Anweisung, worauf dieser Griebsch seine Fesseln abnahm. Griebsch zog langsam seine Beine an seinen Körper, er hatte überall Schmerzen, wie von einem starken Muskelkater.

      „Die Leute hören ja auf Sie! Haben Sie etwas mit meiner Entführung zu tun, Herr Sutter?“, fragte Horst Griebsch mit aufsteigendem Entsetzen. „Sagen Sie mir doch, wo ich hier bin und warum man mich festhält!“ Sutter trat näher an die Pritsche heran. Griebsch richtete sich halb auf und ließ seine Beine vom seitlichen Rand herabbaumeln.

      „Also, erst einmal kann ich Sie beruhigen“, sagte Sutter. „Sie sind zu Ihrem Glück nicht mehr in Singapur. Ja, Sie hatten Drogen im Gepäck, Herr Professor, und nicht zu wenig. Sie hatten Glück, dass ich Sie noch rechtzeitig aus Singapur herausbringen konnte.“

      „Drogen?“, fragte Griebsch ungläubig. „Ich? Woher soll ich die denn haben, ich bin doch kein Junkie und kein Dealer! Und wo bin ich hier überhaupt?“

      „Sie sind in Malaysia“, sagte Sutter, „und ich glaube Ihnen, dass Sie kein Junkie sind. Mit dem Dealer ...“, er lies den Satz unvollendet. „Wir müssen Sie allerdings eine Weile hierbehalten. Sie sind ja illegal eingereist und es wird eine Weile dauern, bis wir Sie wieder zurück nach Deutschland bekommen.“

      Griebsch schaute auf seine Armbanduhr und las das Datum. „Zwei Tage!“, schrie er, „zwei Tage ist es her, dass ich in Singapur angekommen bin. Was ist mit mir in der Zwischenzeit passiert? Woher wussten Sie von alledem? Wo bin ich denn hier genau? Ich verlange mit dem deutschen Botschafter zu sprechen, Sie halten mich hier fest ...“

      „So viele Fragen und“, Sutter schaute ihn abwägend an, „und ein wenig mehr Dankbarkeit würde Ihnen besser stehen, Griebsch. Wir haben Sie schließlich gerettet.“ Er lächelte, aber nicht mehr freundlich. „Wenn Sie keine Schwierigkeiten machen, sind Sie in zwei bis drei Tagen in Frankfurt. Tun Sie am besten, was ich Ihnen sage und hören Sie auf, Fragen zu stellen, die ich Ihnen nicht beantworten kann.“

      „Tun? Ja, was wollen Sie denn von mir?“, fragte Horst Griebsch. Sein Atem ging flach, sein Herz klopfte. Er merkte, dass sich etwas in Sutters Tonfall geändert hatte. Da war er nicht mehr Herr Professor, Sutter nannte ihn einfach nur noch Griebsch.

      „Sie sind doch nicht von der OECD?“, sagte Griebsch. „Wer und woher sind Sie?“

      „Wer sagt Ihnen denn, dass ich nicht von der OECD bin?“ Sutter sprach ein paar Worte mit den beiden Posten, die um die Pritsche herumstanden. Es war wohl ein Befehl gewesen, beide nahmen Horst Griebsch in die Mitte und machten Anstalten, ihn aus der Zelle herauszubringen.

      „Wohin bringen Sie mich?“, protestierte Griebsch.

      „Wollen Sie denn weiter hier in der Zelle bleiben?“, fragte Sutter und sah ihn erstaunt an. Er lachte: „Sie bekommen bei uns ein besseres Hotelzimmer, als Sie es im Peacock vorfanden.“

      „Sie waren es!“ Griebsch kreischte, als die beiden Posten ihn unter die Oberarme griffen. „Sie haben mich in das Peacock gelotst, um mich dann hierher zu verschleppen.“

      „Schluss mit dem Gerede.“ Sutters Stimme zeigte Ungeduld. „Kommen Sie freiwillig mit, oder müssen wir Sie auch noch tragen?“

      Horst Griebsch fügte sich in sein Schicksal, stand auf und lief auf wackligen Beinen zwischen Sutter und den beiden Posten den Flur entlang, bis sie nach zwei Abbiegungen an einen Fahrstuhl kamen. Der brachte sie drei Stockwerke nach oben. Als sie ausstiegen, befanden sie sich in einem besser ausgestatteten Teil des Gebäudes. Der Flur war mit Teppichboden ausgelegt und das Licht kam von verzierten Deckenlampen, die den Flur in einen golden getönten Schimmer tauchten. Nach einer weiteren Biegung gelangten sie an eine Tür, die Sutter mit einem Nummerncode öffnete.

      „So, hier sind Sie Ihrem Status gemäß untergebracht, Herr Professor.“ Sutter lächelte Griebsch wieder freundlich an. „Machen Sie es sich hier gemütlich, ich komme morgen früh vorbei und zeige Ihnen etwas, das Sie überraschen wird. Wir haben Ihnen ein Abendessen auf ihr Zimmer gebracht.“ Er deutet auf den Tisch neben dem Sofa. „Sie finden Ihren Koffer mit Ihren Sachen und dazu noch ein paar Kleinigkeiten, alles zu Ihrer Bequemlichkeit. Wenn Sie etwas brauchen, heben Sie nur den Hörer vom Telefon ab. Man wird sich dann um Sie kümmern. Wir sehen uns dann morgen gegen neun Uhr. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Herr Professor.“

      Sutter ging mit den beiden Uniformierten aus dem Zimmer und Griebsch hörte noch, wie die Tür zufiel. Er rannte hinterher, und als er sie öffnen wollte, leistete der Türknauf keinen Widerstand, drehte sich jedoch nur um sich selbst. Die Tür aber blieb verschlossen. Griebsch durchquerte das Zimmer bis zur Fensterfront. Nach draußen schaute er auf ein Gelände, auf dem Flachbauten standen. Zwei Transportfahrzeuge waren dort geparkt. Menschen sah er nicht und auch kein Ende des Areals, welches ihn an eine Fabrikanlage erinnerte. Ein paar Palmen standen zwischen den Gebäuden, zur Erinnerung, dass er sich immer noch in den Tropen befand. Die Fenster hatten keine Riegel und ließen sich nicht öffnen. Das Glas war solide und gab kaum einen Ton von sich, wenn man dagegen stieß. Trotzdem war die Luft im Zimmer kühl und frisch und ein leichter Luftzug kam aus den Schlitzen einer Klimaanlage in der Decke. Griebsch ließ sich auf das Sofa fallen. Es gab keinen Zweifel, er war immer noch ein Gefangener, nur das er sich jetzt in einer Luxuszelle befand.

      Auf dem runden Tisch neben dem Sofa stand das Telefon, von dem Sutter gesprochen hatte. Griebsch hob dem Hörer ab, vernahm kein Freizeichen und nach einem Moment eine fremde Stimme: „Good evening, can I help you, Sir?“ Entmutigt legte er den Hörer wieder auf, ohne etwas zu sagen. Auf dem Tisch standen Schüsseln mit warmen und kalten Essen. Zuerst wollte Griebsch aus Protest davon nichts nehmen, doch nach einiger Zeit meldete sich der Hunger und er konnte nicht länger widerstehen. Er musste sich eingestehen, das Essen war gut. Nachdem er satt war, schaute er sich genauer in seinem Zimmer um. Eigentlich war es eine Suite, die aus zwei Räumen bestand. Hinter einer Zwischentür lag das Schlafzimmer. Auf dem Bett fand er seinen Pyjama und seine übrigen Sachen waren sorgfältig in einem Wandschrank eingeräumt. Sogar