Lothar Beutin

Rizin


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werden. Dieser Hellman führte sich auf wie Graf Koks! Griebsch zog seine Kleidung aus und seinen Pyjama an. An Einschlafen war vorerst nicht mehr zu denken und in seinen Überlegungen vollzog er diverse Planspiele, wie er die Ferguson einladen konnte, ohne sich wieder eine Blöße zu geben.

      Er stellte sich vor, wie sie höhnte: „Do you want to show me your secrets, Herr Griebsch?”, aber schließlich fiel ihm etwas ein. Er würde sagen, Krantz hätte angerufen und wollte sie einladen, damit sie sich am IEI über die Einzelheiten der Rizinforschung informieren könne. Bei dieser Idee besserte sich seine Laune. Das konnte Sarah Ferguson nicht ablehnen, so scharf, wie sie auf die Einzelheiten zum Rizin war. Eine Weile noch lag er ruhelos im Bett, bis er schließlich einschlief.

      Er erwachte vom Geräusch des Weckers, blieb noch einen Moment unentschlossen liegen, um dann aufzustehen und sich unter die heiße Dusche zu stellen. Die Tagung würde gegen 14:00 Uhr zu Ende sein. Es reichte, er hatte genug davon. Um dreiundzwanzig Uhr hatte er seinen Rückflug, der ihn mit Aufenthalt in Singapur nach Hause bringen sollte.

      Da es noch sehr zeitig war, konnte er in Ruhe frühstücken und war schon gegen 8:30 im KICH. Einige Teilnehmer waren schon da und nach zwanzig Minuten sah Griebsch Anna mit dem Spanier Hand in Hand das KICH betreten. Anna ließ ihre Augen nicht von ihrem Begleiter. Dass die zusammen im Bett waren, war klar, dachte er und diese Vorstellung gefiel ihm nicht.

      Er drehte sich abrupt weg und ging weiter in die Empfangshalle hinein. Dort traf er auf Kerner, mit dem er ein paar Worte wechselte, wobei dieser ihm mit verschwörerischer Mine mitteilte, dass er von Frau Domenescu endlich die geheimen Einzelheiten zum russischen, oder besser gesagt, zum sowjetischen Biowaffenprogramm erfahren hatte. Ob er den Russen gestern gehört habe, das sei doch nackte Erpressung gewesen, oder?

      Griebsch nickte geistesabwesend und schielte mit einem Auge zur Tür. Er ließ seinen Blick sorgsam über die Gruppen im Foyer schweifen und antwortete nebenbei mit: „klar, ja, so, interessant, ja, äh.“

      In diesem Moment sah er Sarah Ferguson hereinkommen, sie war allein. Die Gelegenheit! Keiner bei ihr, vor dem er sich blamieren konnte. Griebsch ließ den verdutzten Kerner mitten im Satz stehen und stürmte auf Sarah Ferguson zu: „Good morning, Dr. Ferguson.“

      Sie schaute ihn überrascht an, mit dem Blick ihrer grünen Augen fiel Griebsch sein Traum wieder ein. Er wurde rot, als er sagte: “Today, I was talking to our director, Professor Krantz. We would like to invite you for a visit at our institute. You could learn more about our ricin projects. Professor Krantz and I would be pleased if you could accept.” (15)

      Sarah Ferguson schien guter Laune zu sein, vielleicht interpretierte sie seinen roten Kopf als Reaktion auf ihre gestrigen Bemerkungen: „Oh, it’s a pleasure,” sagte sie und fügte hinzu: “May be I was too aggressive with you, yesterday. But can you imagine what kind of nonsense people talk sometimes? So please excuse and tell Professor Krantz I am happy to visit you at your institute. See you later.“ (16) Sie drehte sich mit einem Lächeln weg, um ihre Jacke zur Garderobe zu bringen. Griebsch war richtig beschwingt. Er ging mit einem Summen auf den Lippen in Richtung Hörsaal, wobei er es schaffte, im Vorbeigehen den Spanier neben Anna scheinbar absichtslos anzurempeln, um mit einer gemurmelten Entschuldigung hastig dem Auditorium entgegen zustreben.

      Dort zog es ihn wieder auf seinen alten Platz, der Sitz daneben war schon besetzt. Als Griebsch seinen Nachbarn ansah, erkannte er Sutter.

      „Guten Morgen, Professor Griebsch, ich hatte Sie gestern aus dem Auge verloren“, sagte Sutter. Muss heute schon vormittags gegen elf abreisen. Bleiben Sie noch länger in Kyoto?“

      „Bis abends, dann fliege ich über Singapur zurück nach Deutschland“, antwortete Griebsch.

      „Ah, über Singapur. Sehr schön!“

      „Kennen Sie denn Singapur? Ich wollte dort einen Tag Station machen. Es heißt, man kann dort Elektronikartikel sehr günstig einkaufen.“

      „Und ob man das kann!“ Sutter nickte vielsagend. „Mehr als günstig sage ich Ihnen. Ich habe in Singapur fast zwei Jahre lang für die WHO gearbeitet. Ist aber ein teurer Platz, was die Hotels betrifft, da ist das Schnäppchen dann doch nicht mehr so billig.“ Er verzog seine Lippen zu einer Grimasse des Bedauerns.

      Griebsch wollte sich seine Einkäufe nicht durch teure Hotelkosten verderben. „Kennen Sie denn ein günstiges Hotel, das einigermaßen empfehlenswert ist?

      „Hmh“, Sutter überlegte für einen Moment. “Wenn Sie nicht auf zu viel Luxus Wert legen?“

      „Nein, es ist ja nur für eine Nacht“, beschwichtigte ihn Griebsch.

      „Lassen Sie sich zum Peacock Hotel bringen, nur zwanzig Minuten vom Flughafen mit dem Taxi“, schlug Sutter vor. „Dort bekommen Sie schon ein gutes Zimmer für unter 70 $. Einfach dem Taxifahrer Bescheid sagen, das Peacock ist in Chinatown und die Taxifahrer kennen es alle.“

      „Ach, danke. Wirklich, vielen Dank.“ Horst Griebsch freute sich. „Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann wieder, vielleicht am IEI, Herr Sutter?“

      Sutter schaute ihn mit einem unbestimmten Ausdruck an. „Aber ja. Ich bin sicher, dass wir uns wieder über den Weg laufen werden, die Welt ist doch klein.“

      Nach dem Ende des zweiten Vortrags verabschiedete Sutter sich. Horst Griebsch lehnte sich mit dem Gefühl „Wenn alles getan ist, in seinen Sitz zurück. Kurz vor Beginn des vierten Vortrags ging er die Treppen hinunter zum Ausstellungspavillon von Saikan Industries und deckte sich mit Prospekten ein, die ihm ein höflicher Repräsentant der Firma überreichte. Dazu bekam er noch einen Laserpointer geschenkt. In der Kaffeepause schlenderte Griebsch auf Kerner zu, der aber redete mit Frau Domenescu und übersah ihn geflissentlich. „Soll er doch beleidigt sein“, dachte Griebsch. „Der ist nicht wichtig, die wichtigen Leute habe ich kontaktiert.“ Er ging weiter.

      Nun langweilte er sich und hatte eigentlich keine Lust mehr, bis zum Ende der Tagung zu bleiben. Aber er musste, weil O’Reilly zum Abschluss noch über zukünftige Arbeitsgruppen und die geplante Folgekonferenz sprechen wollte. Griebsch brachte den Rest der Zeit, die ihm lang vorkam, über die Runden, redete in der Pause mit Larsen und hörte sich zum Schluss die Zusammenfassung von O’Reilly an. Der knochige Vorsitzende verkündete, die Folgekonferenz würde schon in acht Monaten in Sacramento, Kalifornien, stattfinden. Sacramento! Hörte sich gut an, fand Horst Griebsch. Das IEI musste ihn wieder delegieren. Jetzt wo er in die entsprechenden Kreise eingeführt war und ihn jeder kannte.

      Inzwischen war es bereits vierzehn Uhr. Nach einem Imbiss, der für die Teilnehmer zum Abschied ausgerichtet wurde, schlenderte Griebsch gemächlich in sein Hotel zurück. Er hatte noch ein paar Stunden Zeit in Kyoto, die er damit verbrachte, durch die Stadt zu bummeln. Schließlich blieb er vor einem Geschäft stehen, in dessen Schaufenster Dutzende von Winkekatzen aller Größen zu sehen waren. Sie hatten die verschiedensten Formen, aber immer eine Pfote zum Gruß erhoben. Unter der anderen Pfote trugen sie eine Art Behälter. Bei manchen Katzen war der Grußarm beweglich und schwenkte mechanisch auf und ab. Griebsch erstand so eine Katze. Der Verkäufer hatte ihm erklärt, sie würde ihm Glück und Reichtum bringen. Nachdem Griebsch noch ein paar Straßen weiter geschlendert war, kehrte er über die Flussbrücke zu seinem Hotel zurück, checkte aus und ließ sich mit dem Taxi zum Bahnhof bringen. Von dort fuhr er mit dem Haruka Express zurück nach Osaka zum Kansai Airport.

      Sechs Stunden Flug nach Singapur lagen vor ihm. Er hatte diesmal Glück, die beiden Sitze neben ihm blieben frei. So konnte er es sich gemütlich machen und sogar ein wenig schlafen. Die beiden Konferenztage zogen an ihm vorbei. Er dachte an Erfolge der anderen und nahm sich vor, die nächste Illoyalität von Schneider zum Anlass zu nehmen, um Beatrix Nagel die Leitung der AG-Toxine zu übertragen. Das musste passieren, bevor die Ferguson kam. Schneider sollte mit der Amerikanerin am besten gar nicht erst in Kontakt kommen. Wer konnte wissen, was der ihr sonst noch erzählte? Beatrix Nagel war loyal. Sie schwieg, wenn sie schweigen sollte, und redete nur, wenn man es von ihr erwartete. Loyalität war wichtig. Natürlich musste er selbst manchmal taktieren, seine Leute verstanden das oft falsch. Aber was für