Lothar Beutin

Rizin


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und als sie in seine Richtung gehen wollte, kreuzte ein anderer Teilnehmer ihren Weg und sprach sie an. Er zeigte auf einen anderen Tisch und mit seiner freien Hand, die er für einen Moment leicht auf ihren Oberarm legte, lenkte er Anna in die Richtung zweier Plätze, die noch unbesetzt waren.

      Anna schien das nicht unrecht zu sein und Griebsch drehte seinen Kopf betont langsam wieder zurück auf seinen Tisch. Sein Blick fiel auf die drei Asiaten, welche alles mitbekommen zu haben schienen und ihn angrinsten. Zu seinem Glück waren die beiden Stühle rechts neben ihm inzwischen besetzt. Er schielte auf die Namenschilder, sein Sitznachbar kam aus Österreich. Neben ihm saß eine Frau, deren Namen Griebsch nicht lesen konnte. „Kerner, vom Biotest-Institut aus Graz“, stellte sich sein Nachbar vor und Griebsch war froh, jemand an der Seite zu haben, mit dem er Deutsch reden konnte.

      „Dr. Domenescu from Bukarest“, stellte Kerner ihm die Frau vor.

      Griebsch nickte ihr desinteressiert zu. „Nice to meet you”, sagte er.

      „I was listening to your interesting presentation (9)“, sagte die etwas korpulente Frau Domenescu, aber Griebsch freute sich nicht darüber. Wer war schon diese Frau? Der Frust, wie Sarah Ferguson ihn nach seinem Vortrag abgekanzelt hatte und die Enttäuschung, dass Anna sich lieber zu dem Jüngeren an den Tisch gesetzt hatte, waren noch zu frisch. Kerner begann, mit Griebsch und Frau Domenescu über seine Arbeit zu reden. Er war ein Koordinator. Seine Aufgabe war es, zwischen staatlichen Stellen und der Industrie zu Fragen des Bioterrorismus zu vermitteln. Frau Domenescu erschien ihm wegen ihrer Verbindungen aus der sowjetischen Zeit interessant, was er Griebsch zwischendurch ins Ohr flüsterte.

      „Herr Professor Griebsch, ich bin froh, Sie endlich persönlich kennenzulernen“, hörte Griebsch eine Stimme von seiner linken Seite. Er schaute sich um. Auf dem Stuhl, den er für Anna vorgesehen hatte, saß ein Mann circa Ende dreißig, eine elegante Erscheinung in einem hellen Anzug. Sein Gegenüber sprach Deutsch mit einem leichten Akzent, den Griebsch nicht einordnen konnte. Er sah seinen neuen Tischnachbarn genauer an, aber bevor er noch etwas erwidern konnte, traten überall Kellner an die Tische und trugen eine Misosuppe als Vorspeise auf. Nach einem Moment des Schweigens und Löffelns fragte Griebsch seinen Nachbarn, woher er ihn kenne. Eigentlich hätte er ihn gerne gefragt, wer er sei, aber Griebsch dachte, er müsste ihn vielleicht kennen, zumindest, wenn er dazugehören wollte. Sein Nachbar trug kein Namensschild und antwortete „Oh, Sie sind als Rizinexperte bekannter, als Sie denken. Ich habe Ihren Vortrag gehört, den ich sehr interessant fand.“

      Griebsch war angenehm überrascht. Als er sich seinem neuen Nachbarn gerade widmen wollte, hörte er, wie Anna, die zwei Tische weiter entfernt saß, laut lachte, als der dunkelhaarige Mann, der sie an den Tisch gelotst hatte, ihr etwas ins Ohr flüsterte. Dann schüttelte sie mit gespielter Entrüstung den Kopf, eine Szene, die Griebsch schwer irritierte.

      „Ich habe mich nicht vorgestellt, entschuldigen Sie. Mein Name ist Sutter und ich bin hier im Auftrag der OECD“, sagte sein Nachbar und lächelte Griebsch an, wobei seine blauen Augen ihren prüfenden Ausdruck dabei nicht verloren. Sutters Haare waren dunkelblond, eher lang und straff nach hinten gekämmt.

      „Sie sprechen sehr gut Deutsch“, bemerkte Griebsch. Sutter erwiderte, seine Mutter käme aus Basel, er sei aber in Bergamo in Italien aufgewachsen. Von seinem Vater sagte er nichts. Im nächsten Gang wurden Tempura, frittiertes Fleisch und Gemüsestücke, serviert. Sutter lobte die japanische Küche als zweitbeste hinter der italienischen, um dann wieder auf Griebschs Vortrag zurückzukommen. „Sarah Ferguson hat Sie ganz schön angegriffen, nicht wahr? Sie wollte Sie nur provozieren, um mehr Details zu Ihren Forschungen zu erfahren, seien Sie sich dessen sicher.“ Er lachte. „Sie würde Ihnen auch nichts davon erzählen, was in Fort Detrick gerade abläuft, denke ich mal.“

      Griebsch bekam bessere Laune und den Eindruck, dass sich doch nicht alle durch die Polemik der Ferguson gegen ihn aufbringen ließen und so stürzte er sich fröhlich auf die immer neu aufgetragenen Schälchen von Kostbarkeiten aus der japanischen Küche. Später wollte er nachschauen, wo Sutter hingehörte und da er Angst hatte, Sutter würde ihn zu Einzelheiten befragen, zu denen er nichts wusste, stellte er Sutter und Kerner einander vor. „Sehr angenehm“, sagte Sutter. Er schien kein besonderes Interesse an Kerner zu zeigen, der sich bald wieder Frau Domenescu zuwandte, um sie mit seinem vom Wiener Schmäh gefärbtem Englisch weiter auszufragen. Griebsch war froh, dass der Gong ertönte, das Zeichen für die Anwesenden zurück in den Saal zur Nachmittagssession zu gehen. Griebsch erhob sich und verabschiedete sich hastig, um noch auf die Toilette zu gehen. Auf dem Lokus holte er die Teilnehmerliste aus seiner Jackentasche und fand Kerner und Domenescu, aber nicht Sutter. Ob er den Namen falsch verstanden hatte? Aber er fand nichts ähnlich Klingendes, als er die Liste mit den hundert Teilnehmern durchging.

      Er wollte Sutter beim nächsten Mal darauf anzusprechen, falls sie sich wieder treffen sollten. Griebsch steckte die Unterlagen zurück in seine Tasche und beendete seine private Sitzung. Im Saal setzte er sich wieder auf seinen alten Platz. Noch vier Vorträge musste er überstehen, bis der heutige Konferenztag zu Ende ging. Horst Griebsch konnte sich nicht mehr gut konzentrieren. Er hatte sein Pensum erfüllt und mit dem Mittagessen im Bauch machte sich eine tiefe Müdigkeit breit. Die Zeitverschiebung forderte ihren Tribut. Beim letzten Vortrag, der von dem Russen Wladimir Tschernenko gehalten wurde, kam es zu einem Eklat und Griebsch wachte wieder auf. Tschernenko forderte für Russland finanzielle Unterstützung von den Ländern, die sich durch Bioterror bedroht fühlten. Damit sollten die durch das Ende des sowjetischen Biowaffenprogramms arbeitslos gewordenen Wissenschaftler im Land gehalten werden. Man könne sonst nicht dafür garantieren, dass sie lukrativen Angeboten aus Schurkenstaaten folgten. Tschernenkos Beitrag endete in einer ausgelassenen Diskussion, in der sich Sarah Ferguson sehr exponierte. Griebsch nahm das Treiben nur als Zuschauer wahr. Er war überrascht, dass sogar der ansonsten stoische Schotte O’Reilly Anzeichen von Aufregung zeigte. Schließlich beendete O’Reilly mit dem Hinweis, schließlich sei er der Chairman, die Diskussion und sprach das Schlusswort.

      Griebsch erhob sich mühsam aus seinem Stuhl, seine Beine schmerzten vom langen Sitzen und von der angesammelten Müdigkeit. Er ging rasch zur Garderobe, um seinen Mantel zu holen und in das Hotel zurückzugehen. Aus dem Augenwinkel sah er Sutter, der auf ihn zusteuerte, aber Griebsch schaffte es mit einem Schlenker, diese Klippe zu umschiffen. Er lief eilig durch die Haupthalle der KICH, um nach draußen zu gelangen. An der Eingangstür stieß er fast mit Anna und ihrem neuen Bekannten zusammen. Beide machten sich gemeinsam auf den Weg aus dem Gebäude. Im Vorbeigehen entzifferte Griebsch das Namensschild seiner Eifersucht. Ein Spanier mit dem Namen Ibanez. Schnell eilte Griebsch weiter, während er sich bemühte, in eine andere Richtung zu schauen. Er beeilte sich, in sein Hotel zu kommen. Für 20:30 waren alle Vortragenden zum Speakers Dinner (10) in ein traditionelles japanisches Restaurant im oberen Stockwerk des KICH geladen. Nach dem Gespräch mit Sutter hatte er den Eindruck, dass sein Vortrag doch nicht so schlecht angekommen war. Er nahm sich vor, Sarah Ferguson beim Dinner anzusprechen, um das Verhältnis zu ihr zu normalisieren.

      7.

      Kurz vor halb neun traf Horst Griebsch im KICH ein, im Foyer standen bereits kleine Gruppen von Teilnehmern mit Sektgläsern in der Hand. Griebsch nahm sich ein Glas, das ihm wortlos auf einem Tablett angeboten wurde, lief weiter durch die Halle und schaute sich um. Auf Barhockern an einem Tresen saßen die drei Asiaten, die schon mittags mit ihm am Tisch gesessen hatten. Sie wendeten ihm gleichzeitig ihre Köpfe zu und grinsten. Ob sie sich über ihn lustig machten? Wieso waren die überhaupt hier, die gehörten doch gar nicht zu den Vortragenden! Griebsch tat so, als hätte er sie nicht bemerkt, schlenderte weiter, und sah im hinteren Teil des Foyers Sarah Ferguson in einem engen, roten Abendkleid stehen. Sie unterhielt sich mit ein paar anderen Gästen, darunter Duval und O’Reilly. Diesmal steuerte Griebsch zielbewusst auf die Gruppe zu. Nachdem er auf dem Weg sein Glas Sekt in einem Zug hinuntergekippt hatte, stellte er sich neben Sarah Ferguson. Sie hörte gerade Duval zu, der ihr weitschweifig eine genetische Methode erklärte, aber blickte aus den Augenwinkeln kurz auf Griebsch und nutzte eine Pause in Duvals Redefluss, um Griebsch zu begrüßen. „Ah, it’s you, Professor Griebsch.“ Sie lächelte, als sie sagte: „You might have an answer