Lothar Beutin

Rizin


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sei der geistige Vater der Rizinforschung am Institut. Ein Universitätsprofessor und ausgewiesener Biochemiker. Leo Schneider und Beatrix Nagel seien nur bei Griebsch im Labor beschäftigt und hätten nichts zu berichten. Die Journalisten stiegen darauf ein. Griebsch war ein neuer Kontakt und nach den langweiligen Mitteilungen aus der Pressestelle hofften sie auf spannendere Informationen.

      Horst Griebsch saß am Schreibtisch und stellte gerade seine Kaffeetasse ab, als das Telefon klingelte. Wie immer ließ er es erst dreimal läuten, bevor er abnahm, um sein barsches Grippsch in den Hörer zu blaffen. Er war schlecht gelaunt. Die Pressekonferenz, zu der man ihn nicht eingeladen hatte, lag noch nicht lange zurück. Am Telefon war ein Journalist. Griebsch war überrascht, der Mann schien ihn recht gut zu kennen. Als der Journalist ihm dann erzählte, er kenne die Hintergründe und wüsste, dass nicht Hellman, sondern er der Experte für Rizin sei, taute Horst Griebsch schnell auf. Er wusste nichts von Schneiders Hintergrundaktivitäten. Der Journalist hatte schnell gemerkt, wie Griebsch sich geschmeichelt fühlte, nachdem er ihm das gesagt hatte. Alsbald hatte Griebsch einen Termin für sein erstes Interview.

      Nachdem Horst Griebsch noch mehrere derartige Anrufe erhalten hatte, gewann er allmählich die Überzeugung, ein hinlänglich bekannter Bioterrorismusexperte zu sein. Das baldige Angebot auf ein exklusives Interview für eine überregionale Zeitung empfand er schon als eine Selbstverständlichkeit. Leo Schneiders Saat war aufgegangen, allerdings hatte er nicht bedacht, was Griebsch den Journalisten alles erzählen würde. Schneider wusste nicht, dass Bea alle drei Tage bei Griebsch vorstellig wurde und aus der AG-Toxine berichtete. Manches davon hatte Griebsch nicht richtig verstanden und Dinge, die erst in der Planungsphase waren, hielt er für schon verwirklicht. Dieses Gemisch aus Fantasie und Wirklichkeit vermarktete er für sein Interview. Sein professoraler Habitus gab das Übrige, um ihn zu einem idealen Kandidaten für einen Artikel auf der Wissenschaftsseite der Frankfurter Zeitung zu küren. Nach dem Interview ließ er sich noch gerne dazu bewegen, neben der Marmorbüste des Institutsgründers für ein Foto zu posieren.

      Als Schneider an einem Morgen in sein Labor kam, hatte ihm Tanja die aufgeschlagene Frankfurter Zeitung auf den Tisch gelegt. Im Wissenschaftsteil gab es eine ganze Seite mit dem Interview und einem Foto von Griebsch, wie er mit gedankenvoller Miene neben der Büste des Institutsgründers stand. „Lies mal“, sagte Tanja wütend. „Da steht, Griebsch hat das alles selbst gemacht, wofür wir uns hier die ganze Zeit abrackern.“

      Tatsächlich, in dem Artikel mutierte Griebsch zum großen Rizin Experten, der durch seine Forschungen gezeigt hatte, wie man das Teufelszeug neutralisiert und dagegen einen Impfstoff herstellt. Es war nicht klar, ob Griebsch oder der Journalist übertrieben hatte, aber das war eigentlich nebensächlich. Weniger nebensächlich waren die Einzelheiten, die dort standen. Einzelheiten, die weder Griebsch noch der Journalist kennen konnten, es sei denn, jemand hätte ihnen diese Informationen gegeben. Weder er noch Tanja kamen dafür infrage. Schneider fühlte deutlich sein Herz klopfen. Bei dem Gedanken, dass sein Labor überwacht wurde und jemand ihre Aufzeichnungen registrierte, wurde ihm schlecht. Er las den Artikel ein zweites Mal, fand aber keine Namen, nur allgemein die AG-Toxine. IEI Direktor Krantz wurde für sein Wirken des Lobes voll erwähnt. Das passte zwar nicht in den Zusammenhang, aber es wunderte Schneider auch nicht.

      „Griebsch hat das Interview bestimmt nicht vorher von Krantz absegnen lassen“, sagte Leo zu Tanja. „Krantz hat angeordnet, dass alles, was an die Presse gehen soll, ihm erst vorgelegt werden muss. Der hätte doch dieses Interview nach der letzten Pressekonferenz gar nicht akzeptiert. Ich glaube, Griebsch hat das einfach allein durchgezogen, weil er gegen Hellman punkten wollte. Den letzten Absatz mit der Lobeshymne auf Krantz hat er nur eingebracht, um ihm zu schmeicheln.“

      Tanja war noch mehr geladen, als Leo dann sagte: „Lass den Griebsch doch angeben. Vielleicht hilft uns das und wir bekommen für die AG-Toxine personelle Unterstützung. Vielleicht kommt Karin wieder zurück in unsere Gruppe.“ Er glaubte das aber nicht wirklich und Tanja brummelte verärgert: „Früher hättest du dir das nicht so einfach bieten lassen.“

      „Hast du wirklich Lust darauf, dass dein Name im Zusammenhang mit Biowaffen in der Zeitung steht?“, fragte Leo. „Da fällt mir ein, wolltest du nicht im Sommer nach New York fliegen? Ist dir klar, auf welchen CIA Listen du erscheinst, wenn dein Name in diesem Zusammenhang in der Presse erscheint?“ Bei diesem Stichwort fiel Schneider Sam Stevenson ein, ein Gastwissenschaftler aus den USA, ohne eigenes Projekt, der in den letzten Wochen durch die verschiedenen Abteilungen des IEI geschleust wurde.

      Tanja überlegte und ihr fielen Drewitz und die Stasiakten aus der Glinkastraße ein, die es nie gegeben hatte, oder nicht mehr gab. „Stimmt, daran habe ich gar nicht gedacht, als ich den Artikel gelesen habe. Unsere Arbeit hat sich so verändert. Früher waren wir stolz, wenn unsere Sachen veröffentlicht wurden und jetzt? Wir können nichts mehr publizieren, ohne das Krantz, Hellman und Griebsch bestimmen wann, wo und was.“

      „Aber auch weil wir keine Lust haben, ins Fadenkreuz von irgendwelchen Spinnern zu geraten“, fügte Leo hinzu. Nachdem er sich wieder gefasst hatte, las er den Artikel erneut gründlich Wort für Wort. Nein, weder er noch Tanja waren darin erwähnt. Er war froh, dass Griebsch so eitel gewesen war, sich selbst und nur sich selbst als den größten Rizinexperten aller Zeiten dargestellt zu haben.

      Tanja ließ die Sache trotzdem keine Ruhe. Am nächsten Tag fragte sie Schneider, ob er nicht ein anderes Projekt für sie hätte. Etwas, von dem man nicht morgen wieder in der Zeitung lesen müsste. Schneider brauchte Tanja nicht mehr so oft für die Rizinarbeiten und war damit einverstanden. Es gab schließlich noch ein zweites Projekt, das sie bearbeiten mussten: Botulinumtoxin, kurz BoNT. Da Tanja gerne mit Bakterien arbeitete, ermutigte Leo sie, sich darin einzuarbeiten und die Clostridien, die das BoNT produzierten, zum Wachsen zu bringen. Vielleicht konnten sie dadurch auch mehr über die undichte Stelle im Labor herausfinden. Sie beschlossen, mit niemandem über das BoNT Projekt zu reden und alle Aufzeichnungen darüber nicht auf dem Institutsrechner, sondern nur auf einem USB-Stick zu speichern. Das war eigentlich verboten, aber die Leute aus der IT-Abteilung kümmerten sich gewöhnlich nicht um solche Einzelheiten. Die hatten schon genug Sorgen, das Netzwerk am Laufen zu halten. Hellman und Griebsch schienen Leo und Tanja nicht als versiert genug, um selbst virtuell schnüffeln zu können.

      Tanja war der einzige Mensch im IEI, dem Leo Schneider noch vertraute. Da sie sich schon so lange kannten, gingen sie miteinander um wie ein altes Ehepaar, gerade weil nie etwas zwischen ihnen gelaufen war. Nach dem veröffentlichten Interview mit Griebsch hatte Schneider Bea in Verdacht, ihm die Informationen zugesteckt zu haben. Schlimm genug, wenn es so war, aber noch schlimmer, wenn sie auf eine andere, unbekannte Art abgehört wurden. Vielleicht würden sie es ja doch noch herausbekommen. Wenn es bald ein Interview über Botulinumtoxine gäbe, wüssten sie zumindest Bescheid.

      Von einem Kollegen aus Leipzig hatte Schneider Clostridienstämme bekommen, die verschiedene Typen von Botulinumtoxin produzierten. Allerdings konnte man die Clostridien nicht in der normalen Atmosphäre wachsen lassen, weil sie gegenüber Sauerstoff empfindlich waren. Außerdem brauchten diese Bakterien Eiweiß als Nahrungsquelle. Tanja musste die Clostridien deshalb in eine Fleischbouillon einimpfen und in Gastöpfen bebrüten, in denen der Luftsauerstoff durch Stickstoff ersetzt worden war. Unter diesen Bedingungen gediehen sie gut und produzierten auch das Botulinumtoxin. Tanja gefiel die neue Aufgabe, vielleicht erinnerte sie die Arbeit mit den Clostridien, die nur auf Leichen wuchsen, an ihre frühere Stelle in der Gerichtsmedizin. Jedenfalls konnte sie den Gestank, der von diesen Bazillen ausging, erstaunlich gut ertragen.

      Währenddessen führte Schneider seine Experimente mit Rizin weiter fort und hielt Beatrix nur so weit wie nötig darüber auf dem Laufenden. Aber er war aufmerksam. Wenn er Bea traf, beobachtete er sie und suchte nach Anzeichen, die ihm verdächtig vorkamen. Im Büro ließ er sie mitten im Gespräch sitzen. Er sagte, er müsste Unterlagen holen, um kurz danach plötzlich wieder aufzutauchen. Er wollte sie dabei ertappen, wenn sie in seinen Protokollen wühlte oder in seinen Computerdateien. Aber Bea verhielt sich unverdächtig. Der Blick ihrer grauen Augen blieb unbefangen und hielt dem seinem stand, als er sie fragte, ob Griebsch die Sachen aus dem Interview von ihr hatte. Leo Schneider wusste nicht mehr, wem er glauben sollte.

      Natürlich