Lothar Beutin

Rizin


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gegeneinander ausspielte. Nur so konnte er sich in seiner Position einigermaßen sicher fühlen.

      Bei einem dieser Treffen sagte er zu Schneider: „Wir sind doch beide an Wissenschaft interessiert, das mit dem Bioterror ist doch nur vordergründig.“ Schneider glaubte ihm, erzählte von sich und von seinen Problemen mit Hellman und Krantz. Griebsch verstand das, versprach Unterstützung und als Zeichen der Zusammenarbeit überließ er Schneider die Betreuung seiner Studenten. Das ersparte ihm Arbeit und gleichermaßen hoffte er, davon zu profitieren. Am wichtigsten war ihm aber, er hatte den unbequemen Schneider eingebunden und glaubte, dieser würde in seinem Sinne funktionieren.

      Vielleicht hätte Schneider auf diese Art auch funktioniert. Hier ein bisschen Geld für die Forschung, da ein paar Studenten und dort eine kleine Freiheit im Labor. Das Problem lag bei Griebsch, bei seinem Argwohn, der ihm als Mensch ohne Rückgrat wie eine Krücke diente. Eine Zeit lang hielt die labile Konstruktion zwischen Griebsch und Schneider, aber ein kleiner Anlass genügte, um sie zum Einsturz zu bringen.

      Der Anlass hieß Rudolf Drewitz, ein früherer Vorgesetzter Schneiders. Drewitz stand kurz vor seiner Pensionierung, damit war er praktisch immun gegenüber den Disziplinierungsmaßnahmen der Leitung. Drewitz war von der Idee getrieben, die dunklen Machenschaften im IEI ans Licht zu bringen. Die von Krantz betriebene Abwickelung der Bakteriologie hatte ihm nicht gepasst. Drewitz war kurz vor dem Mauerbau aus der DDR in den Westen übergesiedelt, um dort Mitglied einer großen politischen Partei, die für Gerechtigkeit stand, zu werden. In der Partei und im Institut machte er sich bald einen Namen als Kommunikator. Er saß mehr am Telefon als im Labor. Mit seiner Partei und seiner Rolle als Kämpfer für die Gerechtigkeit stand er in Fundamentalopposition zu Krantz.

      Drewitz startete eine Kampagne gegen den Vizedirektor Tobias Arnold, nachdem er auf dem Fotokopierer zufällig einen Beratervertrag gefunden hatte. Einen Vertrag, den Arnold mit einer Pharmafirma abgeschlossen und unachtsam liegen gelassen hatte. Für den Beamten Arnold konnte das Konsequenzen haben. Beraterverträge bedurften der Genehmigung des Ministeriums. Arnold hatte nicht darum ersucht. Die Geschichte wäre in einem Disziplinarverfahren geendet, wenn Krantz mit seinem Einfluss die Sache nicht heruntergespielt hätte. Arnold war ihm daraufhin so ergeben, dass er sich ein gerahmtes Porträt von Krantz neben das Foto seiner Familie auf den Schreibtisch stellte.

      Drewitz, der über seine Partei Verbindungen zu Parlamentariern hatte, bohrte weiter. Immerhin ging es um ein fünfstelliges Honorar. Er brachte Arnold immer wieder in Erklärungszwang. Irgendwann hatte Drewitz Schneider davon erzählt. Drewitz sagte, es gäbe noch mehr Informationen und er könne dafür sorgen, dass Arnold nicht mehr lange als Vizedirektor tragbar wäre. Das wirkte übertrieben, aber Schneider wusste, wie viel Einfluss Drewitz in bestimmten Kreisen hatte. Drewitz Aktivitäten liefen zumeist über die Frauen von Politikern, die in dieser Zeit der Opposition angehörten. Gegenüber den Damen spielte er die Rolle des galanten Kavaliers, führte sie aus, bevorzugt in die Oper oder ins Konzert. Weil Drewitz schwul war, hatte er ein besseres Gespür für die Bedürfnisse dieser Frauen, als ihre eigenen Männer, die sich kaum noch für ihre Gattinnen interessierten.

      Schneider war klar, Drewitz ging es dabei um politische Einflussnahme. Aber Arnold hatte sich ihm gegenüber mies verhalten, als Krantz ihm seine Assistentin Daniela abgezogen hatte. Aus diesem Grund fand Leo Schneider die Initiative von Drewitz auf eine Art amüsant. Aus einer Laune heraus hatte Schneider Griebsch von Drewitz Plänen erzählt. Griebsch gab ja den Anschein, distanziert gegenüber der Institutsleitung zu sein.

      Als Schneider eines Nachmittags in sein Labor kam, flüsterte Tanja ihm zu: „Albino ist bei dir im Büro.“ So nannte sie Arnold, wegen der farblosen Haare und seiner Augen, die manchmal rötlich wie bei einer weißen Maus schimmerten. Schneider dachte sich nichts weiter. Als er in sein Büro kam, saß Arnold dort auf einem Stuhl. Arnold ließ ihm keine Zeit für Fragen und polterte los: „Mir wurde zugetragen, dass Herr Drewitz Ihnen gegenüber verleumderische Behauptungen über mich aufgestellt hat, mit der Absicht, meine Person zu schädigen. Ich muss Sie bitten, als Zeuge zur Verfügung zu stehen, damit wegen übler Nachrede Disziplinarmaßnahmen gegen Herrn Drewitz vorgenommen werden können.“

      Schneider war perplex. Woher wusste Arnold von dieser Sache? Ob Griebsch etwas erzählt hatte? Aber zuerst musste er Arnold abwimmeln und sagte: „Wenn man alles, was einem auf dem Flur zwischen den Labortüren erzählt wird, für bare Münze nimmt, müsste man das halbe Institut wegen Beleidigung und übler Nachrede anzeigen.“

      Arnold ließ sich nicht abwimmeln und drohte Schneider, er mache sich strafbar, wenn er den Verleumder Drewitz deckte. Schneiders Position im Institut sei dann gefährdet. An der Geschichte von Drewitz musste also etwas dran sein, dachte Schneider und ärgerte sich, Griebsch davon erzählt zu haben, denn nun bekam er dafür die Quittung. Ihm blieb nur zu sagen: „Wissen Sie Herr Arnold, ich kann mich an den Inhalt des Gespräches nicht mehr genau erinnern, was soll ich denn da zu Protokoll geben?“ Schneider blickte an Arnold vorbei auf seinen Computerbildschirm, auf dem es außer Schwärze nichts zu sehen gab.

      Arnold wurde knallrot und richtete sich halb auf. „Denken Sie doch mal daran, wie ich damit an den Pranger gestellt werde.“ Seine Stimme stieg um einen Grad höher. „Das ist unkollegial, Herr Schneider, Sie können mich nicht einer solchen Schmutzkampagne aussetzen!“

      Diese Leute redeten immer dann von Kollegialität, wenn sie selbst in der Patsche saßen, dachte Schneider. „Ich kann mich nicht an ein solches Gespräch erinnern, Herr Professor Arnold. Bedaure.“

      Arnold stand ruckartig auf, der Bürostuhl rollte nach hinten und prallte an einen Tisch. Dann verließ er das Büro, ohne noch etwas zu sagen. Besser so, dachte Schneider, wer wusste schon, was er sonst noch zu Arnold gesagt hätte. Nun hatte er sich einen erklärten Feind gemacht. Noch Stunden später ging Schneider diese Sache nicht aus dem Kopf. Er ärgerte sich über die Hinterhältigkeit, mit der Griebsch ihn ins Vertrauen gezogen hatte, aber noch mehr über seine eigene Naivität.

      Am gleichen Tag ging er zu Griebsch, um zu reden. Er dachte, Griebsch würde alles abstreiten, aber das Gegenteil war der Fall. „Drewitz ist doch ein Spinner, er hat dir früher soviel Ärger gemacht, warum schützt du ihn?“

      Schneider fing an sich zu rechtfertigen und sagte, die Sache war nicht für Arnolds Ohren bestimmt. Er hatte gedacht, Griebsch würde das vertraulich behandeln und im Übrigen würde er niemanden anschwärzen.

      Griebsch versuchte Schneider zu überreden: „Ich habe Arnold das alles doch nur in unserem Interesse erzählt. Drewitz will uns allen schaden. Wenn er mit seinen Behauptungen Gehör findet, steht das ganze IEI schlecht da, und auch du leidest darunter.“ Sein Tonfall wurde plötzlich schärfer: „Für uns alle wäre es besser, wenn Drewitz möglichst bald geht. Es bringt nichts, sich vor ihn zu stellen.“

      Leo Schneider fühlte, wie er in eine Richtung gedrängt wurde, in die er nicht wollte. Hatte Griebsch nicht versprochen, dass alles vertraulich blieb? Jetzt gab er sogar zu, Arnold informiert zu haben. Vielleicht hatte Arnold jetzt wieder seine Finger drin und wollte ihn durch Griebsch dazu bringen, Drewitz doch anzuschwärzen. Schneider hatte die Lust zu weiterem Reden verloren. Griebsch schaute ihn durch seine Brille an, als erwartete er etwas von ihm. Schneider schwieg. Als die Spannung zunahm und Schneider schließlich aufstand und gehen wollte, hörte er, wie Griebsch ihm hinterher rief: „Ich halte dir den Rücken frei, aber dafür erwarte ich von dir Loyalität, vergiss das nicht!“

      Leo Schneider war schon auf dem Flur, als er die Drohung begriff. Jetzt hatte er Arnold und Griebsch gegen sich. Irgendetwas musste er tun. Er dachte an Drewitz. Drewitz war nicht sein Freund, konnte aber vielleicht auf der politischen Ebene etwas erreichen. Eine Zeit lang geschah nichts. Arnold und Schneider behandelten sich wie Luft, wenn sie sich begegneten. Schneider erinnerte sich, wie er vor ein paar Jahren Arnold im Hallenbad getroffen hatte. Arnold stand nackt unter der Dusche und tat so, als würde er Schneider nicht kennen. Dabei hatte er ihn genau gesehen. Vermutlich hasste Arnold ihn seitdem, es hatte ihm nicht gefallen, dass ihm Untergeordnete einen Einblick auf seine bescheidene Männlichkeit nehmen konnten.

      Nach einigen Tagen ging Schneider doch zu Drewitz und erzählte ihm von Arnolds Forderung und dem Gespräch mit Griebsch. Drewitz lachte hämisch und verzog seinen Mund