Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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ersten Schritte nach, ... noch nie gehört.

      Drei Ecken weiter war ihm diese Geschichte entfallen. Was kümmerte ihn ein Geisterspuk? Bestimmt war es wieder dieses „Gutes Kind – Böses Kind“-Zeugs, eben damit er nach Hause ging und die Erwachsenen sich gehen lassen konnten.

      Er begegnete noch einigen Umherziehenden, besah das Funkenspektakel einer Batterie und durfte bei einem Fremden Heuler anzünden. Der düstere Kerl roch zwar sehr unangenehm nach feuchter Erde, war aber sonst freundlich gewesen.

      Seine gedachte Runde um die Wohnblocks hatte er hinter sich gebracht und würde an der nächsten Kurve bereits wieder auf dem Weg zur Haustür sein – eben, wie es die großen Menschen gern von artigen Kindern wollten. Er würde hoch gehen, in die leere Wohnung, eine schnelle Mahlzeit aus dem Kühlschrank nehmen und sich wieder vor sein Fenster setzen, um das Mitternachtsfeuerwerk abzuwarten.

      Wenn er jetzt rechts gehen würde.

      Aber er ging links. Wählte den Weg einer Brücke, die, über eine Kleingartenanlage und stillgelegte Eisenbahngleise gespannt, in einen anderen Stadtteil führte. Es wäre nur eine kleine Verlängerung, er konnte jederzeit wieder umkehren. Nichts weiter.

      Der Brückenpfad war von Laternen beschienen und die dicken Schneeflocken begruben unter sich schwarz verbrannte Überreste von explodierten Knallkörpern. Zu sehen war niemand, allein leere Schnaps-, Bier- oder Sektflaschen zeugten von der verblassten Anwesenheit Feiernder.

      Von der Mitte der Brücke konnte er auf das hell erleuchtete Stadtzentrum sehen.

      Seine Füße trugen ihn vorwärts und in der nächtlichen Dunkelheit zeichneten sich bald die Umrisse der Bauten im neu erschlossenen Viertel ab. Schwach hörte er den dumpfen Bassrhythmus einer Party, das Lachen von Menschen, Autolärm und das vereinzelte Tönen von Feuerwerk.

      Bald war er wieder unter -

      Ein Sturm spielte plötzlich auf. Wechselte jäh mehrmals den Kurs. Ein Pfeifen und Johlen folgte der Strömung, ein antreibendes Klatschen. Es war schwer auszumachen, woher die Geräusche kamen. Und dann war es still. Sanft rieselten die Flocken ...

      Okay, dachte er verwirrt und blieb stehen. Das war ungewöhnlich. Aber nicht beunruhigend. So freistehend, wie die Brücke war, trieb ihr der Wind alles mögliche zu. Dem konnte auch niemand befehlen, wohin er wehte – warum also nicht kreuz und quer?

       Eine logische Erklärung.

       Es gibt keine Geister.

      Der weiße Schnee reflektierte taghell das gelbe Laternenlicht, weshalb er keine Angst zeigte und weiter voranging. Immerhin erblickte er am Ende des Weges schon eine Straßenbahnhaltestelle, deren Leuchtstoffröhren kaltweiß brannten. Was auch immer gerade passiert war, es kümmerte ihn nicht -

      Jetzt hielt er erneut.

      Vor ihm bewegte sich etwas. Ja, ganz sicher.

      Es kam aus den kargen Büschen am Brückenende und schritt ihm langsam entgegen.

      Er kniff die Augen zusammen, um dieses Wesen durch den Flockenschleier besser sehen zu können, jedoch vernebelte das Eis seinen Blick. Was er aber erkannte, ließ ihn aufschrecken.

      Der Körper dieser Kreatur war groß und mit zotteligem, dunklem Fell überzogen. Sie lief auf vier Beinen und machte so den Eindruck, als wäre sie nur ein Hund. Ein Streuner, der im Müll nach Fressen suchte.

      Doch aus seinem Kopf ragten ... Hörner hervor.

      Er musste blinzeln. Das gab es nicht. Es gab keine Hunde mit Hörnern.

      Das Tier schien mit jedem Schritt größer zu werden. Aus seinem Schädel heraus glühten ihm feurige Augen entgegen und ein tiefes Knurren rollte über die Brücke hinweg.

      Er schüttelte den Kopf. Das war ein Traum. Ein solches Tier existierte nicht. Das hier war die Realität, es gab keine Geister oder Dämonen!

      Die Augen schließend, wünschte er sich dieses Trugbild weg. Aber es war noch immer da. Nur noch näher. Mit jedem Lidschlag kam es ganze Meter auf ihn zu, obwohl es nicht rannte.

      Fünfzehn Meter entfernt. Zwinkern. Zehn Meter. Zwinkern. Fünf Meter.

       Wie kann das möglich sein?

      Er hätte losrennen müssen. Fliehen vor diesem Wesen. Doch er konnte nicht. Und er hätte auch keine Chance, ihm zu entkommen. Am ganzen Körper zitternd, sah er diesem Höllenhund entgegen, dessen Knurren ihm durch die Knochen ging.

      Zwei Meter. Einen Meter.

      Vor ihm ragte das riesige Maul auf. Er blickte auf gefährliche weiße Fangzähne, die vor Speichel tropften. Mit einem Biss würde es ihm den Kopf abreißen.

      Die lodernden Augen waren auf ihn gerichtet. Ließen ihn nicht entkommen. Das Tier begann an ihm zu schnüffeln. Seine Stirn wurde von der bitterkalten Schnauze berührt. Der faulige Atem ließ ihn aufstoßen.

      Der Kiefer klappte weit auf und er schaute der Bestie in den Rachen ... jedoch packten die Zähne nicht zu.

      Stattdessen sprach der Hund mit grollender Stimme: „Bedauerlich. So leicht zu fressen und dann diese Enttäuschung.“

      Mit einer seiner Pranken stieß das Tier ihn zu Boden, drückte ihn in den Schnee. Sein ganzes Gewicht schien auf den schwachen Kinderrippen zu liegen und der Junge keuchte auf vor Schreck und Schmerz.

      „Besser, du meidest Eis und Dunkelheit, Kind. Ein andermal fress ich dich vielleicht doch!“, und mit einem gewaltigen Satz sprang diese Bestie über ihm hinweg. Verschwand in die Nacht, durch den Schleier der Schneeflocken.

      Er blieb am Boden liegend zurück. Sein Herz hämmerte in der schmalen Brust. Heiße Tränen liefen die Wangen hinunter. Seine Hose fühlte sich sehr nass an, allerdings war ihm das gleich.

      Gerade so war er dem Tod entkommen.

      Dem Eisengrind.

      Während draußen vor dem Fenster das Feuerwerk in aller Farbenpracht erstrahlte und der Lärm der Detonationen auf ein Höchstmaß anstieg, hockte er auf seinem Bett unter der Decke und zitterte vor Angst.

      Seine Hose hatte er im Bad eingeweicht. Dennoch würde Patrick wütend sein. Er meinte, ein Junge in seinem Alter macht sich nicht mehr ein. Er war ja schließlich kein Kleinkind mehr.

      Alle Spielsachen, alle Bilder, alle Gegenstände, die einen Hund darstellten oder auf denen ein Hund abgebildet war, verbannte er aus seinem Zimmer. Er konnte sie nicht mehr ansehen, ohne in Tränen auszubrechen.

      Den flauschigen Plüschdrachen fest an den Oberkörper gepresst, versuchte er die Angst in den Griff zu bekommen. Er musste sich beruhigen.

      Was würden die Erwachsenen sagen, wenn sie ihn so vorfänden? Was sollte er ihnen antworten? Sollte er ihnen erzählen, wie er beinahe von einem gigantischen Geisterhund gefressen wurde? Würden sie ihm denn Glauben schenken?

      Aus dem Flur klingelte das Telefon. Er zuckte zusammen.

      Das Band zeichnete das Gespräch auf. Es war Ines.

       „Zacharias. Frohes neues Jahr.

       Ich hoffe, du liegst schon im Bett. Bleib nicht zu lange wach. Ich übernachte heute bei jemanden und werde morgen Vormittag erst nach Hause kommen. Patrick wird später auch da sein, aber wir wollen abends noch mit Freunden essen gehen. Ich stelle dir was in den Kühlschrank.

       Denk daran, dass du am zweiten Januar gleich zu Dr. Lore musst. Nicht, dass du es wieder vergisst. Und gib dir mehr Mühe in der Schule für dieses Jahr. Du willst doch mal etwas Anständiges werden.

       Mach keinen Ärger. Wir sehen uns morgen.“

      Nein, sie würden ihm nicht einmal zuhören.

      Es wäre für sie nur ein weiteres Zeichen dafür, dass er nicht normal war.

      Dass etwas an ihm anders war.

      Ihm