Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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ohne Beweise und der einzige Zeuge weiß auch nichts Genaues. Wie für so viele Fälle, würde Soi einfach nur einen Bericht verfassen und damit die Akte auf Eis legen. Bestimmt stapelten sich im Archiv diese ungeklärten Wintertodesfälle bereits von seinem Vorgänger. Sollte er je einen Tatverdächtigen finden, wäre ihm eine Beförderung sicher.

      „Sie wurden kontrolliert, als Sie in der Station eintrafen, Zach.

      Die Kollegen fanden bei Ihnen ein Jagdmesser mit einer Klingenlänge von fünfundzwanzig Zentimetern.“

      „Is’ legal“, war sich der Mann keiner Schuld bewusst. „Hab ’n Schein für und die is’ zu meinem Selbstschutz, den ich im Hafen nötig hab. Bei uns geht niemand unbewaffnet auf die Straße.“

      Aalglatt. Und eine Mimik wie ein Profi-Pokerspieler. An dem Burschen würde alles abprallen, was die gewöhnliche Polizeischule an Verhörtaktiken draufhatte.

      „Dennoch, ich muss Sie verwarnen.

      Das ist eine scharfe Waffe, Herr Isias. Jemand, der so eine Klinge ständig mit sich herumträgt, ist ein potenzieller Täter, auch für den Toten dieser Nacht.

      Ich könnte Sie auf Verdacht festnehmen lassen, nur fehlen mir dafür jegliche Beweise. Sie sollten daher aufpassen, nicht noch einmal in Verbindung mit diesen Morden zu kommen. Das würde den Verdacht bloß verhärten und Ihnen wirklich Probleme bereiten.

      Verstehen Sie, was ich meine?“

      „Klar. Wenn ich das nächste Mal ’ne Leiche seh, lass ich sie lieg’n.

      War’s das jetzt, Freund und Helfer?“

      Die Kritik war nicht zu überhören. Soi konnte verstehen, dass er ihn beleidigt hatte, obwohl eine Mahnung ja sein musste. Nicht, dass der Typ sich mal über Handschellen wunderte ...

      „Ja, das war es. Sie können Ihre Sachen beim Pförtner abholen.“

      „Mein Messer auch?“

      „Ja, auch Ihr Messer.

      Trotzdem, ich möchte Sie bitten, Zach, in nächster Zeit die Nordstadt nicht zu verlassen. Es kann sein, dass wir Sie nochmals sprechen müssen in dem Fall. Falls sich etwas ergibt.“

      Der Mann nickte. „Kein Ding. Ich geh hier nicht weg.“

      Beide erhoben sich von den Stühlen und reichten zum Abschied einander die Hand. Soi spürte den starken Griff, mit dem Zach absichtlich einschlug, aber er würde keinen Schmerz zeigen.

      Zacharias Isias.

      Ein verrohter Kämpfer aus dem Hafenviertel.

      Vielleicht sollte er die Akten wälzen. Seine gebrechliche Mutter würde Soi darauf verwetten, dass er diesen Kerl in der Chronik wiederfand. Es konnte nichts schaden, über ihn Informationen einzuholen. Der Polizist spürte, es würde nicht das letzte Mal sein, dass beide miteinander zu tun hatten.

      Unter den strengen Augen des Pförtners nahm Zach seine spärliche Habe auf. Seine restlichen Zigaretten, das silberne Benzinfeuerzeug, ein paar Münzen, die er sein ganzes Vermögen nennen musste, und natürlich das Jagdmesser.

      Der gefälschte Waffenschein erwies sich als tauglich, sonst wäre die Schneide eingezogen worden.

      Natürlich hätte er sie erst gar nicht bei Leibe tragen müssen, jedoch, wie er es schon dem Detective erklärt hatte, brauchte er die Klinge, um überhaupt sicher aus dem Hafen heraus und wieder hineinzukommen. Auf seinen Kopf hatten es genug Geier abgesehen.

      Er verstaute das Messer rasch in der Lederscheide, die längs hinter seinem Rücken am Gürtel befestigt war und warf den schwarzen Stoffmantel über.

      „Man sieht sich, Jungs“, sagte er und feixte selbstgefällig einem grimmigen Beamten zu, der seine zwielichtige Gestalt abfällig musterte.

      Eine frostige Windböe bauschte die knielangen Schöße seines Mantels auf, als er aus dem Hauptgebäude der Polizeistation nach draußen in die graue Helligkeit des Wintertages trat. Die Schultern anziehend, wickelte er den schwarzen Wollschal enger um seinen Hals und stellte den Kragen hoch, bevor er eilig die Treppenstufen abging, um sich in den Passantenstrom auf dem Gehweg einzureihen.

      Das Neujahrsgeschäft boomte. Die halbe Nordstadt schien auf den Beinen, um Geschenkgutscheine einzulösen oder die letzten verhassten Weihnachtgeschenke umzutauschen. Die Menschen rempelten und schubsten, wenn es ihnen nicht schnell genug voranging. Überall war ein Rufen und Schreien zu hören, ein Stimmengewirr aus verschiedenen Tönen, welches in Zachs Ohren schallte.

       Das ist ja das reinste Irrenhaus hier.

      Normalerweise mied er die Innenstadt und deren ganzen Trubel, aber wegen des Verhörs musste er kommen, sonst wären die Bullen mit anderen Mitteln bei ihm einmarschiert, statt bloß eine nette Anfrage zu stellen.

      Das hatte er nun davon, dass er sich in den Tod von Old Harry reingehangen hatte: Ärger, Stress und eine Wut im Bauch, die ihn sauer aufstoßen ließ. Klar, er hätte darauf wetten können, dass er unter Tatverdacht geriet – nicht zuletzt wegen seines Messers –, dennoch machte es ihn rasend, dass die Typen von der Polente jeden Bewohner aus dem Hafen über ein und denselben Kamm scherten.

      Gut, ganz zu Unrecht geschah dies nicht.

      Es gab aber solche und solche. Es gab die Killer mit Stil und die ohne Stil. Und Zach hatte gefälligst eine ganze Menge Stil.

       Ach, was soll’s ...

      Old Harrys letzte Reste ruhten jetzt in einer kleinen Urne bei seiner Hure auf dem Küchenschrank, und das ermöglicht zu haben, stellte Zachs Gewissen zufrieden. Wie versprochen würde er sich nun aus jedem Ärger raushalten, der ihn nichts anging, bis die Rauchnächte um waren.

      Ein weiterer Windstoß blies ihm Kälte ins hagere Gesicht und ließ seine braunen Augen tränen. Die verwinkelten Straßen in seinem Blickfeld verschwammen und Zach blieb kurz stehen, um die Sicht frei zu wischen. Fußgänger in dicken Wolljacken und mit Fellmützen schlängelten sich an ihm vorbei.

      Ja, in der Nordstadt war es kalt. Und im Winter sogar verdammt kalt.

      Ungern streckte man die Nase zur Tür hinaus. Ein paar wichtige Besorgungen machen, einige Wege gehen, seine Arbeit tun – gut und schön, doch der liebste Flecken Erde war dem gemeinen Nordbürger an der warmen Heizung, unter einer kuscheligen Zudecke, mit einem Glühwein oder Tee in der Hand, vor dem Fernseher. Sofern man sich diesen Luxus leisten konnte.

      Wenn nicht, zog der Frost an allen Ecken und Enden, pfiff durch den kleinsten Türspalt, jeden Riss im Putz. Nicht selten starben Obdachlose und herrenlose Tiere den Kältetod.

      Im Hafen gab es sogar die Regel, dass, wenn einer etwas Unliebsames – zum Beispiel eine Leiche – verschwinden lassen wollte, solle er den späten Herbst abwarten, das Ding im Meer oder beim Kanal versenken und den Winter drüber wachsen lassen. Wenn schließlich im April langsam das Tauwetter einsetzte, hätten die Fische den Kadaver zerknabbert und die Polizei fände bloß noch unbrauchbare Reste.

      Zach wollte nicht wissen, wie viele Tote jetzt unter dem Eis der Bucht lagen.

      Um die kalte Jahreszeit rum verschwanden viele Menschen von den Straßen, aber im Allgemeinen galt, wer es bis zum Dreikönigstag schaffte, hätte ein weiteres Jahr dazugewonnen. Noch vier Nächte waren zu schlagen, eh dieser ganze Spuk vorbei war.

      Es war nicht leicht, in dieser Stadt zu überleben und erst recht nicht im Hafen.

      Zach beklagte sich jedoch nicht. Er hatte es so gewollt und war bereit, dieses Dasein in Kauf zu nehmen, als er mit vierzehn weggelaufen war. Bei Patrick und Ines hatte er es schlicht nicht mehr ausgehalten.

      Mit weiten Schritten hielt er auf die nächste Straßenbahnhaltestelle zu, um zurück in die Absteige zu fahren, welche er dem Polizisten als sein Zuhause verkauft hatte.

      Da bemerkte er vor einem der vielen Kaufhäuser einen alten Mann mit verfilzten, grauen Haaren und wettergegerbtem Gesicht. Dick war der