Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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zog Zach ihn zu seinem Opfer hin und drückte den Bengel auf die Knie, um ihm seine Tat bewusst vor Augen zu führen. Der Gestank von verbrannten Haaren und Fleisch bereitete dem Kerl Übelkeit.

      „Jetzt tu nicht so! Du und deine Leute, ihr habt das gemacht! Sieh gefälligst hin!“, schnauzte Zach laut und gab ihm eine satte Ohrfeige.

      Endlich bekam der Bursche den Mund auf. Jedoch von Reue keine Spur.

      „Ey, Alta, was hast’n du für Probleme?“, sprach er in seinem Slang. „Is’ doch nur ’n Vieh! Das war ’n Joke, Mann!“

      „Ist echt ein Scheiß-Humor, Kleiner! Wenn du es so witzig findest, ein Leben anzuzünden, zeig ich dir mal, was ich witzig finde!“, und Zach packte ihn im Würgegriff, hob ihm sein Messer nah vor das feiste Gesicht – der Junge schrie wie ein Schwein am Spieß und jammerte um Vergebung, als wäre er in der Kirche – und ließ es auf ihn niedergehen.

      Allerdings drehte Zach rasch die Hand und so traf bloß der harte Griff die Stirn des Knaben, um ihn ins Reich der Träume schickten.

      Ein Erwachsener wäre tot gewesen. Aber das waren dumme Kinder. Grenzenlos dumme Kinder, überhebliches Gesocks, das keinen Respekt vor dem Leben kannte. Und die Städter nannten das Hafenvolk „Abschaum“. Dabei waren sie keine besseren Menschen.

      Wo waren alle Geister und Dämonen, um diese Brut zu schrecken?

      Zornig wandte Zach sich von dem bewusstlosen Bengel ab und richtete seine Aufmerksamkeit auf das verbrannte Tier.

      Es lag in den letzten Atemzügen. Schwarz verkohlt und blind vom Feuer, flehte es winselnd um einen baldigen Tod. Eine ewige Erlösung von seinem Schmerz.

      „Ist gleich vorbei“, sagte Zach sanfter im Ton und rammte ihm die Klinge in das schwache Herz.

      Die Krähen beobachteten ihn bereits. Warteten auf ihr Futter.

      Die blutige Schneide wischte er an der Markenklamotte des Teenagers ab. Die Flecken würden hartnäckig sein und Mami wäre gar nicht begeistert, dass ihr Goldjunge völlig abgeputzt vom Spielen wiederkam.

      Akribisch durchsuchte Zach die Taschen der vier Jungen, die er auf die Bretter geschickt hatte und fand teure Armbanduhren und Silberkettchen, Zigaretten und sogar ein wenig Geld. Super, sie lieferten ihm doch glatt das Startkapital am nächsten Pokertisch!

      „Tja, das ist die Arschlochsteuer vom Hafen, Kids“, feixte er.

      „Knife?“

      Zach hob den Kopf.

      Bei dem Maschendrahtzaun stand ein Mann von Ende zwanzig und sah ihm interessiert beim Abputz zu. Eine schmale Bohnenstange in einem verblichenen, einst schwarzen Jeansanzug und festen Stiefeln. Wegen des weißblonden Haares war der Typ bekannt unter den Namen Light-Linus. Ein Spürhund. Wer eine bestimmte Person oder Information suchte, richtete sich an einen wie ihn und wurde nicht enttäuscht.

      Weil Linus ebenfalls so etwas wie Stil hatte, kamen die beiden Männer bisher gut zusammen aus.

      „Was passiert hier?“, fragte der Schnüffler und seine blauen Augen analysierten die Szene.

      „Is’ scho’ vorbei“, fiel Zach wieder in den lockeren Kiez-Slang zurück und kam aus dem Durchgang zurück auf den Hinterhof der Kneipe. „War’n ’n paar Bälger, die dacht’n ’ne dicke Lippe riskier’n zu könn’. War meine Sache.“

      „Okay“, nahm Linus die Erklärung gleichgültig hin wie die Wettervorhersage. „Hat’s sich gelohnt?“

      Zach fingerte nach zwei der gestohlenen Zigaretten und reichte eine an den Bekannten weiter. Linus dankte und zündete als Gegenleistung die Lunten an. Rauchend und in Schweigen gehüllt verbrachten beide so ein paar Lungenzüge.

      „Willst rein?“, eröffnete der Spürhund ein neues Gespräch und wies mit dem Daumen über die Schulter, auf den Eingang der Bar.

      „Klar, war bis g’rad eben noch pleite“, zuckte Zach die Schultern.

      „Kannst mir was ausgeb’n? Ich bin’s noch.“

      „Kein Ding. Die Kids zahl’n die erste Runde.“

      „Is’ nett“, grinste Linus und warf die Kippe in den Schnee, „und da sag’n die Alten, die Jugend hat kein’ Anstand mehr.“

      Auch Zach feixte und schnippte ebenfalls den Filter davon. „Ach, man muss die nur ma’ dran erinnern, dann läuft’s auch.“

      Linus ging ihm voraus und öffnete die splittrige Tür. Die Scharniere knarzten vor Rost und ein modriger Luftzug stieg die abführende Treppe vor ihnen hinauf.

      Zach seufzte. Das war der wohlbekannte Beginn eines jeden Abends.

      Wie immer würde er nehmen, was kommt.

      Ändern, was er ändern konnte. Akzeptieren, was sich nicht ändern ließ.

      Und einen Ablauf planen? Es brachte nichts, vorauszuschauen. Weder auf diese Nacht oder morgen, noch auf die kommende Woche. Geschweige denn für ein weiteres Jahr.

      Er lebte im Hier und Jetzt. Das allein zählte. Schlussendlich war ja alles egal, oder?

      Vergangenheit konnte er nicht mehr ändern.

      Die Zukunft war immer ungewiss und Pläne konnten scheitern.

      Tag für Tag, bis es mit dem Dasein zu Ende ging und dann war es vorbei. Von einem Selbst blieb kaum etwas zurück, außer vielleicht die Asche auf dem Küchenschrank.

      So war das Leben und seines galt bloß von der Nacht zum Morgen.

      Mehr hatte es nicht zu bieten.

      4

       Die Luft roch nach Karamell und weißer Schokolade. Köstlich und verführerisch wie die feinste Süßigkeit, welche ihn lockte, fort – weit fort – von der Welt. Weg von dem Grau, der Kälte, der Pein des Lebens. Er schwebte davon, hinein in ein glänzendes, warmes Licht. Friede umschloss sein Herz und er wusste, dass das Kämpfen ein Ende hatte. Hier konnte er in Ruhe verweilen.

       Und doch ...

       Ein Traum. Ein Trugbild seines Geistes.

       Dieser Ort war reines Sehnen. Es gab ihn nicht.

      Zach öffnete die Augen und fühlte, wie die Tränen rannen. Heiß tropften sie auf das weiche weiße Kissen unter ihm und so sehr die Matratze ihn auch gemütlich bettete, sein Rücken schrie im Moment des Erwachens schmerzlichst auf.

      Als wenn das nicht reichte, grüßte ihn eine alte Freundin, die Migräne. Sie fraß an seiner linken Schläfe wie eine Ratte am Stromkabel und für einen kurzen Moment wusste Zach nicht, was ihm mehr wehtat. Er war chronisch reif für den Müll.

      Morgens war es immer am schlimmsten.

      Seit er denken konnte, begleiteten ihn diese körperlichen Leiden, nur waren sie zu seiner Jugendzeit nicht so stark ausgeprägt. Da hatte er es noch überspielen können, wenn es etwas in seinem Kopf oder Kreuz zwickte, aber mit knapp fünfzehn nahmen die Schmerzen dermaßen zu, dass er mit Anfang zwanzig bereits zu kämpfen hatte, überhaupt aufrecht zu stehen. Gegen Nachmittag flauten die Qualen für gewöhnlich ab, jedoch waren sie stets bei ihm.

      Wie seine Depression.

      Jeden neuen Tag fühlte er sich noch elender als in der Nacht. Traurig und frustriert.

      Wenn er dann diese Träume hatte, wo alles viel schöner und besser war als hier – dann war er kurz davor, sich in den nächstbesten Tod zu stürzen und allem Elend ein Ende zu setzen. Wie oft schon hatte er es satt?

      Konnte er nicht friedlich schlafen wie die Frau neben ihn im Bett? Die schien noch nicht einmal ein Bombenhagel wecken zu können, so tief war sie im Traumland versunken. Nackt – wie er selbst – lag sie unter der dicken Daunendecke und ihr langes, rostrotes Haar war ganz wirr.