Charles Keller

Böse Welt


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angehauchten Interjektionen – nichts zu hören, bis er schließlich aufgefordert wurde, sich auf die Seite zu legen, und hierfür die Augen wieder aufschlug. Ein ganzes Heer von glänzenden Schweißperlen lauerte an hoher, intelligenter Stirn darauf, den bereits abgegangenen über das gesunde Naturrouge folgen zu dürfen.

      „Ich hab nämlich den Verdacht, dass da ....“, orakelte der Schwitzende indes – aber Gregors Neugier hielt sich in Grenzen. Schicksalsergeben verlegte er sich wiederum auf die alleinige Benutzung der Sinne, die nicht so mir nix, dir nix abzustellen waren.

      „Dacht ich’s mir doch! .... können sich wieder umdrehn!“

      In der Folge faselte er noch etwas von einem bislang unentdeckten, nahezu kompletten Gefäßverschluss, einem sogenannten Stent, den er dort einsetzen und einem kleinen Umweg, den er danach mittels einer weiteren Punktierung zu diesem vergleichsweise mickrigen Gerinnselchen im Fuß nehmen wolle. – Gregor war’s längst Jacke wie Hose.

      Telefonisch wurde das Malheur fix übermittelt – an wen auch immer – die weitere Anlieferung von thrombotischem Gammelfleisch um den geschätzten Zeitfaktor 15 nach hinten verschoben.

      Das Knistern der dritten Katheter-Schutzhülle vernahm er noch – und irgendwann spürte er, wie der forsch an seiner Gefäßwandung entlangschrubbte – dem lästig-bösen Stöpselchen entgegen. Als äußerst hilfreich erwies sich jetzt sein immenses Talent zur fantasiegesteuerten Realitätsflucht. Im Nu entbrannte ein launig-mentaler Widerstreit von gleichermaßen wichtigen Dingen, die er – nach seinem Ableben – unbedingt als Erstes tun müsse.

      Als ob’s ihn gar nichts angehe, eher wie ein Außenstehender, ein zufällig anwesender Zuschauer, realisierte Gregor erst wieder die ultimativen Erklärungen und Verhaltensmaßregeln des sichtlich gestressten Stocherers.

      „Dann sehen wir uns morgen wieder – zur Kontrolle!“

      „Jawoll, großer Meister! Einen schönen Tag noch!“

      Die beiden riesigen Druckverbände in seiner malträtierten Mitte und die nochmalige oberschwesterlich-strikte Auflage, sich keinesfalls allzu sehr zu bewegen, waren auch unausgesprochen durchaus zureichend, an keine frühzeitige Entlassung mehr zu glauben. Nichtsdestotrotz riss er sich mächtig zusammen, rührte sich nur etwas beim Essen und Trinken, schlief auf dem Rücken liegend ein und wachte auch so am Morgen wieder auf – allerdings nicht ganz freiwillig.

      Die junge Schwester brachte ihm gleich sein Waschzeug, eine Schüssel mit lauwarmem Wasser, gemahnte ihn noch zur Eile – „Frühstück gibt’s später – danach!“ – und huschte wieder hinaus.

      Schlaftrunken beließ er es bei einer halbherzig-lustlosen Katzenwäsche, schrubbte gerade einmal so lange auf seinen Schneidezähnen herum, dass er anständig nach Zahnpasta roch.

      „Fertig?“

      Aber ja doch!“

      Sein Krankenblatt legte sie ihm auf den Bauch, löste die Bremsen des Betts und abging’s mit Karacho zum Aufzug, hinab ins Untergeschoss, eine lange Gerade noch – und schon parkierte er vor der Radiologie. Sie verschwand kommentarlos hinter einer der vielen Türen.

      Keine fünf Minuten später kam die Assistentin, dieselbe wie am Vortag, durch eine andere – „..... Morgen!“ – und schob ihn nicht weniger zackig in den fensterlosen Raum mit der wohlbekannten blitzblanken Hightech-Apparatur.

      Die Stimmung beim Doc war wohl gut, schien dieses Mal aber doch ein Stück weit aufgesetzt zu sein, und Gregor fragte sich, ob’s möglicherweise etwas mit ihm .....

      „Dann schwingen sie sich mal rüber!“, forderte er ihn resolut auf und nickte zum Bettgalgen.

      „Ich – soll – selbst ....?“, stotterte Gregor einigermaßen verwundert, aber gewaltig grinsend, dachte dabei an die gestrige, so überaus ernstlich-doppelt gemoppelte Einforderung seiner partiellen Unbewegtheit.

      „Die Kollegin hilft ihnen mit den Beinen“, lächelte der Spiritus Rector nun reichlich süffisant – mehr zur attraktiven Handreicherin als zu seinem humanmedizinischen Werkstück.

      „Okay, wenn sie meinen!“, verscheuchte Gregor den letzten intuitiv-penetranten Anhauch von Bedenken und ergriff mit beiden Händen die baumelnde Aufrichthilfe.

      Der angiologische Akkord-Rohrreiniger fummelte unterdessen bereits diensteifrig am einen Druckverband.

      „Au, au, au ! Ich glaub, jetzt ist aber was ....“

      „Was denn?“

      „.... geplatzt oder so!“

      Die begreiflich-überzeugende Antwort schrieb sich in Sekundenschnelle – ganz von selbst, mit dickem roten Tintenstrahl – an die blütenweiße Decke der klinisch-subterranen Räumlichkeit. Gregors Wahrnehmung wechselte unverzüglich in den schockbedingten Slowmotion-Modus – worauf die knapp handtellergroße Pfütze am Plafond eine ganze Ewigkeit brauchte, den physikalisch angedachten Weg zu nehmen und sich über die staunenden Protagonisten zu ergießen. Die letzten Tropfen landeten auf dem ärztlichen Handy und der gummibewehrten Hand, die es hielt. Die andere drückte mit brachialer Gewalt auf das zerfetzte Gefäß, verhinderte die weitere Entleerung.

      „Ich brauch schnell einen Gefäßchirurgen im OP – aber ganz schnell! – augenblicklich!“, brüllte er am Ende gar.

      Gregor schmiedete derweil schon wieder in fatalistischer Ruhe Pläne für ein ergötzlich-himmlisches Nachleben.

      Alsbald erstürmte ein ganzes Geschwader von professionellen Hektikern den noch eben so friedlichen Ort der neuzeitlich-intrakorporalen Minimalinvasion.

      Ein großgewachsener Pfleger in den Dreißigern mit serienmäßig eingebautem Lächeln – wahrscheinlich der Gute-Laune-Beauftragte der Klinik – kümmerte sich umgehend und einzig um das schwerst gepeinigte Auslaufmodell – also in psychischer Hinsicht.

      „Das wollen wir doch aber alles gar nicht sehn, was die da ....!“, referierte er in fast hypnotischem Tonfall und hielt ein Tuch zwischen Gregors neugierig linsende Äuglein und die notfallmedizinisch-turbulenten Machenschaften.

      Allein die gewisslich satte Monatsration an gepflegter Verzweiflung auf dem blutbefleckten Antlitz des havarierten Katheter-Kapitäns vermochte der letztlich noch zu erhaschen.

      „Seid ihr soweit? – Also ab die Post!“

      „Das kann ich mir doch gar nicht alles merken!“, stammelte der unfreiwillige Blutspender angesichts der chaotischen, gesichtslos-verbalen Informationsflut – und der leidigen Absenz seines Notizbüchleins.

      Der vielbeinige Nothelfer-Express rauschte in äußerstem Tempo über den belebten Flur. Für die gehörig entrückte verderbliche Fracht war’s indes bestenfalls angenehme Reisegeschwindigkeit.

      „Achtung! – Vorsicht! – Platz da!“

      An Wände und Türen gepresst verfolgten nicht involvierte Mitarbeiter die rasante Vorbeifahrt – in allen Gesichtern durchweg der gleiche, sicherlich häufig geprobte routiniert-bestürzte Ausdruck.

      Fast, dass er sie nun genoss, diese allseitig-immense Aufmerksamkeit, wie er sie lange nicht hatte – noch nie vielleicht.

      Man stellte ihm aufgeregt Fragen – richtig wichtige Fragen – und er wusste die Antworten – gab zumindest welche. Am Ende, am taghell ausgeleuchteten Ziel der Reise, wurde er sogar um ein Autogramm gebeten. Der entschuldigende Hinweis, dass es möglicherweise reichlich verunglückt, bestimmt nicht sein schönstes sei, wollte ihm dann aber – beim besten Willen – nicht mehr verständlich gelingen.

      „Hey, hallo, sind wir wieder da! Sie hüpfen mir aber nicht gleich wieder ....?“

      Gregor hatte keinen Schimmer, was die verschwommene, gerade mal halbwegs als männlich zu identifizierende Gestalt damit meinte. Der reine Zufall wohl nur, dass sich sein anschließendes Gekrächze wie ein Nein angehört haben mochte.

      „Das