Hannelore Kleinschmid

Lieber Mord als Scheiddung


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Geschenk gewesen, also ein geschenkter Gaul. Jetzt lag ein Brief darauf, und meine Frau spöttelte: "Unverhofft kommt oft!“, eine Redewendung, die bei uns gerade „in“ war. Ich nahm den Teller.

      Gleich darauf sah ich mich zu einer Verteidigung genötigt. Noch jetzt glaube ich, nichts dafür zu können, dass ich zur erheblichen Wertminderung des Goldrandtellers beigetragen habe. Er fiel auf den Boden, und zwar aus meinen Händen, die eine goldbedruckte Einladung hielten, während mein Grinsen einfror. Der Teller zerbrach in zwei Teile.

      "Und ich hatte mir gedacht, wir könnten das herrliche Stück als Hochzeitsgeschenk benutzen! Wäre doch sehr passend gewesenl" klagte meine Frau Elke. Prompt ging einmal mehr die Kinderzimmertür auf. "Ihr streitet.“ triumphierte mein Sohn Jonas. "Ihr habt den goldigen Teller kaputtgemacht." jammerte Tochter Miriam. "Aber uns wird immer gesagt, wir sollten schön aufpassen und nichts kaputtmachen." ergänzte Jonas.

      "Schert Euch ins Kinderzimmer!“ verlangte ich ziemlich lautstark. "Ihr seht doch, dass wir etwas zu besprechen haben." erklärte meine Frau. Unter Gekicher ging die Kinderzimmertür wieder zu. Überflüssigerweise wies mich Elke nun darauf hin, dass ich nicht losschreien sollte. Gelassen verwahrte ich mich gegen die immer gleichen Anschuldigungen von ihrer Seite.

      Mit den Scherben des wertvollen Tellers und der Golddruckeinladung begaben wir uns ins Wohnzimmer.

      "Ich brauche einen Schnaps." stellte ich beim Hineinsinken in meinen Lieblingssessel fest, der sich so vorzüglich meinen Formen angepasst hatte, dass meine Frau behauptete, er sei schiefgesessen – in nur drei Jahren. Jetzt sagte sie allerdings: "Einen Schnaps kann ich auch gebrauchen." Kommentarlos erhob ich mich wieder und verteilte in meiner gutmütigen Art Whisky. Ich holte sogar noch Eiswürfel aus der Küche, die ich, da ich mich unbeobachtet fühlte, der Einfachheit halber mit den Fingern herausklaubte.

      "Man sieht noch die Fingerabdrücke;" sagte Elke. Aber in Anbetracht des kaputten Tellers schwieg ich großmütig.

      "Prost!“ meinte sie daraufhin und machte eine Geste, mit mir anstoßen zu wollen: "Auf das junge Paar!“ Ich fand die Angelegenheit gar nicht komisch, und so bedachten wir gemeinsam, wie Festivität und Ehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schieflaufen würden. Nach einigen Momenten des Schweigens bekannte sich Elke zum Resultat ihrer nachmittäglichen Überlegungen:

      "Ich komme nicht mitf" erklärte sie. Ihr Tonfall machte mir klar, welch schweren Stand ich hätte, wollte ich sie eines Besseren belehren. Schließlich waren wir seit zehn Jahren verheiratet und kannten uns noch länger. Wir hatten inzwischen unsere Erfahrungen miteinander machen können und gelernt, uns weitgehend so zu akzeptieren, wie wir waren. Die Freunde meinten, deswegen schon, unsere Ehe sei beneidenswert gut. Diese Meinung färbte im Laufe der Zeit auf uns ab. Allmählich wuchs unser Glaube daran, dass wir gute Eheleute seien.

      Folglich reagierte ich auf den Entschluss meiner Frau, nicht an Christophs Hochzeit teilnehmen zu wollen, ohne Protest. Ich hätte auch gar keine Zeit dazu gehabt, denn wir wurden aus dem Wohnzimmer verbannt. Jonas und Miriam verkündeten unmissverständlich: "Sesamstraße“. Wir räumten die Plätze, unsere Gläser in der Hand. Erste Station war die Küche, in der Elke routinemäßig die abendlichen Fischstäbchen für die Kinder in einer Pfanne auf dem Herd plazierte, obgleich dieselben von Zeit zu Zeit als arg gesundheitsschädlich getestet wurden. Uns erschien meistens ein bisschen Schaden weniger schlimm als Protestgeheul gegen zu gesundes Essen. Gut eingespielt im Elternteam, stellte ich Teller und Gläser samt der Riesenflasche Ketchup auf den Tisch. Dann gingen wir ins Gäste- und Arbeitszimmer. Endlich konnte ich fragen, warum meine Ehefrau nicht mit mir in meine alte Heimat fahren wollte. Sie erklärte, dass derlei Festlichkeiten nicht kindgemäß seien und sie demzufolge daheimbleiben müsse. Ich gab mich als friedliebender Mensch. Überdies fand ich den Gedanken reizvoll, einmal ohne Familie zu reisen.

      "Was sagst du sonst dazu?" erkundigte ich mich.

      "Wir sind schuld." antwortete sie. Wir schwiegen gemeinsam und nippten an den leeren Gläsern, bis uns die Wirklichkeit einholte.

      "Die Fischstäbchen brennen an." rief Elke. Wie auf ein Stichwort sprang ich gemäß meiner mehr als zehnjährigen Erziehung zur Emanzipation auf und startete durch in die Küche.

      3.

      Da ich seit Jahren Vater- und Mutterersatz für meinen Bruder Christoph, die arme Waise, war, verließ ich umgehend Frau und Kinder, setzte mich in den Wagen und fuhr in das Land, in dem er studierte. Was seinen Fleiß und seine Strebsamkeit anging, so hatte er mir bis dato die Erziehung leicht und keine Sorgen gemacht. Zudem war er weder dem Alkohol noch irgendwelchen Drogen verfallen, so dass ich kaum eingreifen musste, um ihn auf dem Pfad gesunder Tugenden zu halten.

      Es war mehr die Haltung zur Welt an sich, hinsichtlich derer wir zu keiner Übereinstimmung gelangten. Noch pubertätsgebeutelt hatte er mich als liberalen Scheißer beschimpft, wobei diese Kritik damals von links kam, so etwa aus Che Guevaras Reihen. Verbissen suchte er als Sechzehnjähriger nach dem einen Satz, nach der einen Weisheit, die ihm die Welt erschließen und ewig helfen würde, das jeweils einzig Richtige zu tun. Meinen bescheidenen Hinweis, die Menschheit suche seit jeher nach diesem Rezept - weitgehend erfolglos –, verachtete er. In jener Zeit waren unsere Gespräche kurz, dafür umso lautstärker.

      An- und eingebunden, wie ich durch die eigene Familie war, kam der kleine Bruder zu kurz. Jedenfalls litt er unter solchen Gefühlen und suchte in seiner konsequenten, entschlusskräftigen Art einen Ausweg, indem er sich nach dem Abitur hin zur alten Heimat unserer Familie wandte, die von ihm außer Stippvisiten nur das Babygeschrei erlebt hatte. In diese alte Heimat, über eine Grenze hinweg, schoß ich nun auf der Autobahn, die jede Landschaft stadtlos-langweilig macht. Zur standesamtlichen Trauung wollte ich pünktlich sein. Elke hatte den Goldrandteller sorgfältig geklebt, die gekreuzten Schwerter waren von dem Bruch nicht berührt gewesen. Die Kinder halfen hingebungsvoll, ihn samt einem wertvolleren, weil nicht geflickten Kerzenleuchter zu einem großartigen Geschenkpaket von unbestimmbarer Form zu verpacken, das in eine Decke gehüllt, im Kofferraum meines Autos verstaut war. Ich musste das Grinsen als hämisch bezeichnen, mit dem meine Frau den schwarzen Nadelstreifenanzug in den Koffer legte. Die Frage, ob sie für mich eine Fliege erwerben sollte, überging ich würdevoll. Auch den Nadelstreifenanzug nahm ich kommentarlos hin, betrachtete ich ihn doch als schwerwiegenden Fehltritt in meiner 35-jährigen Existenz. Was in mich gefahren war, als ich mich im Neonlicht des Herrengeschäftes vor dem schlankmachenden Spiegel für das feierliche Stück begeisterte, weiß ich bis heute nicht. Nachdem ich das erste Mal damit aufgetreten war, wusste ich jedoch, dass ich nicht bei mir gewesen sein konnte. Nebenbei bemerkt sah ich in dem Anzug allen Angaben und meinen eigenen Augen zufolge blendend aus, aber eben doch wie einer, der meine Rolle spielt, und zwar in einer Fehlbesetzung.

      Ich fuhr viel zu schnell. Am Ziel meiner Reise erwartete mich die Rolle, die mir trotz langjähriger Übung nicht auf den Leib geschrieben war. Wieder einmal würde ich Vater und Mutter ersetzen, auf dem Standesamt und als Atheist in der Kirche. Ich sollte einer Eheschließung den Segen geben, die überhaupt nicht in mein Gesichtsfeld passte. Gegnerischer als ich eingestellt war, während ich mich der vertrauten, fremden Stadt näherte, konnte die geballte Kraft eines Elternpaares nicht gegen die Hochzeit ihres Einzigen auftreten.

      Eine Freundin der Familie namens Hilde Huberti nahm mich mit offenen Armen auf. Vom Bräutigam entdeckten wir keine Spur, obgleich sich sein derzeitiges Domizil im selben Haus befand und ich meine Ankunft angekündigt hatte. Nur kurz schwelgten wir bei Kaffee und Kuchen, der haushoch dem der nördlichen Gefilde des deutschen Sprachraums überlegen ist, in den Erinnerungen an die bessere Vergangenheit. Dann sprangen wir hinein in die gegenwärtigen Ereignisse, von denen zu berichten, meine Gastgeberin höchst begierig war. Die ganze Stadt redete nach ihrer Aussage nur von der sensationellen Heirat, dabei lebten hier mehr als zweihunderttausend Leute. Christoph war der erste, dem es zu gelingen schien, eine der vier Töchter des reichsten Mannes dieser Gegend zu ehelichen. Wie mir die Huberti mit vor Erregung vibrierender Stimme mitteilte, war mein Bruder dafür nach vorherigem Unterricht zum Katholizismus übergetreten.

      Unsere ehrbaren Eltern waren nicht in die Lage geraten, uns Erwähnenswertes zu vererben. So nahm Christoph