Alissa Sterne

Fesselnde Entscheidung 2


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ich vorstellen? Das ist deine Herberge für heute Nacht.« »Ich bin dir unendlich dankbar!« »Du kennst mich doch gar nicht. Was, wenn ich ein …« Er beendete den Satz nicht. Ihren ängstlichen Augen nach zu urteilen, war sie genauso wenig zu Scherzen aufgelegt wie er. Mit der Aufforderung: »Fühl dich einfach wie zu Hause!«, versuchte er seine entgleiste Bemerkung in die richtige Bahn zurückzulenken. »Danke!« Vom Handy aus hatte er im Handumdrehen in der Küche die Pizzen bestellt. Leider bemerkte er erst, als sich eine genervte Frauenstimme am Telefon meldete, dass er Sarah gar nicht nach ihrem Wunsch gefragt hatte. Da die ungeduldige Dame am anderen Ende der Leitung aber nicht den Anschein erweckte, noch länger warten zu wollen, bestellte er einfach zwei große Vier Jahreszeiten, in der Hoffnung, dass etwas dabei sein würde, was Sarahs Geschmack traf. Als er wieder ins Wohnzimmer zurückkehrte, zuckte Sarah sichtlich zusammen. »Entschuldigung! Ich wollte dich nicht erschrecken.« »Du musst dich nicht entschuldigen. Ich war nur gerade in Gedanken.« Philipp sah auf ihre zitternden Hände, die sich wieder an ihrer Handtasche festklammerten, und reichte ihre eine Bierflasche. Sie kam ihm mit ihren zerzausten Haaren, ihrer nassen Jeans, an der noch traurige Reste von Blättern und Erde hingen, und ihrem lädierten Gesicht an diesem Ort, der ordentlich und aufgeräumt war, seltsam deplatziert vor. »Danke! … Oh, die ist ja noch zu …«, stellte sie irritiert fest. Philipp musste schmunzeln. »Die war jetzt auch ehrlich gesagt nicht zum Trinken gedacht … sondern eher zum Kühlen!« »Oh … natürlich!«, sagte sie und drückte die kühle Flasche vorsichtig an ihre geschwollene Wange. »Hab leider keine Kühl-Akkus oder so. Ich hoffe, es hilft trotzdem ein bisschen … Äh, möchtest du vielleicht einen … Jogginganzug von mir? Kein Wunder, dass dir kalt ist. Deine Klamotten sind ja total … nass.« Sie schien einen kurzen Moment über sein Angebot nachzudenken und nickte dann. »Das wäre wirklich klasse, aber ich will dir nicht noch größere Umstände machen.« »Schon okay! Warte kurz …« Schnell war er wieder da, hielt ihr einen dunkelblauen Trainingsanzug vor die Nase und sah sie unschlüssig an. »Darf ich vielleicht mal kurz in dein Bad?« »Ja klar. Ist gleich hier nebenan. Wenn du magst, kannst du auch gerne baden gehen. Das wärmt dich vielleicht am besten wieder auf.« Er drehte sich um und zeigte auf den Flur. »Das ist wirklich unglaublich freundlich von dir. Vielleicht lasse ich ein bisschen warmes Wasser über meine Füße laufen. Ich spüre sie kaum noch.« Wie eine Hundertjährige wirkte sie auf Philipp, als sie sich durch das Wohnzimmer zum Bad schleppte. Während er hörte, wie die Dusche lief, zog er sich im Schlafzimmer rasch den Anzug und das Hemd aus, streifte sich einen grauen Kapuzenpullover über und stieg in eine verwaschene Bluejeans. Schließlich kehrte er ins Wohnzimmer zurück, setzte sich aufs Sofa, beugte sich nach vorne und vergrub den Kopf in seinen Händen. Was für eine skurrile Situation! Ihm würde niemand glauben, dass ausgerechnet er eine wildfremde Frau mit zu sich nach Hause genommen hatte. Nachdenklich fuhr er sich durch die Haare und lehnte sich zurück. Sein Blick fiel auf ihre Handtasche, die halb geöffnet neben ihm lag. Wieso hatte sie sie nicht mitgenommen? Für den Bruchteil einer Sekunde war er versucht, hineinzuschauen. Aber im nächsten Moment schalt er seine Neugier und machte das Radio an, um sich abzulenken. Doch die Musik erreichte ihn nicht. In Gedanken war er ganz weit weg. Vollkommen vertieft in wüste Vorstellungen. Was, wenn sie eine drogensüchtige Kriminelle war, die nur darauf aus war, ihn auszunehmen? Aber andererseits … wirkte sie so schüchtern und auf eine sympathische Art und Weise noch mit einer jugendlichen Naivität gesegnet. Dennoch entschied sich Philipp, ihr gegenüber die nötige Vorsicht walten zu lassen. Seit jeher war Philipp ein skeptischer Mensch, der nichts und niemandem vertraute. »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser« war sein gelebter Leitspruch. Die Zuverlässigkeit seiner Reinigungskraft, Frau Sommerfeld, hatte er auf Herz und Nieren eingehend geprüft, bevor er ihr seinen Haustürschlüssel anvertraut hatte. In jede Schublade – abgesehen von den Schränken in Küche und Bad – hatte er ein Haar geklemmt, mit dem Wissen, dass es unbemerkt zu Boden fiel, wenn jemand die Schublade öffnete. Frau Sommerfeld hatte den Test bestanden. Aber würde Sarah es auch? Innerlich ging er seine Wohnung durch. Gab es irgendetwas von Wert, das sie vielleicht nachts, wenn er schlief, mitgehen lassen konnte? Was für ein überflüssiger Gedanke, fand er im nächsten Moment. Wenn es etwas von Wert gegeben hatte, dann hatte Bea es bereits mitgenommen. Allen anderen Ballast hatte sie dagelassen. Ihn inbegriffen. »Ist nur ein bisschen groß, aber sehr gemütlich. Vielen Dank!« Schon stand Sarah wieder im Zimmer und holte ihn zurück in die Gegenwart. Er konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Sein Jogginganzug war ihr nicht ein bisschen zu groß, sondern viel zu groß. Er schlabberte überall an ihr herum, obwohl sie ihn an den Ärmeln schon umgekrempelt hatte, und er fragte sich, wie sie den Hosenbund befestigt hatte, damit die Hose nicht runterrutschte. Da klingelte es an der Tür. »Oh, das ging aber schnell. Sind bestimmt die Pizzen!«, sagte Philipp und eilte an Sarah vorbei zur Eingangstür. Als er mit zwei Pizzakartons beladen ins Wohnzimmer zurückkehrte, war Sarah verschwunden und mit ihr die Handtasche. Im Augenwinkel registrierte er die verschlossene Badezimmertür. Offensichtlich war sie wieder im Bad. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit. Auch wenn sie nicht unbedingt wie eine Drogensüchtige aussah, fragte er sich, ob sie sich vielleicht schnell etwas einwarf oder sogar einen Schuss setzte. In diesem Moment bereute er seine Entscheidung, sie mit all ihren Problemen zu sich genommen zu haben, anstatt sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Mitleid – oder was auch immer sie in ihm ausgelöst hatte – hin oder her, mit Drogen wollte er partout nichts zu tun haben. Achtlos ließ er die Pizzen auf den Tisch knallen. Dann stellte er sich vor die Badezimmertür. »Was auch immer du da drinnen machst, ich will damit nichts zu tun haben! Es ist am besten, wenn du verschwindest. Nimm dir meinetwegen noch eine Pizza für den Weg mit, aber bitte verschwinde!« Gerade wollte er gegen die Tür klopfen, um seiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen, als die Tür aufging und er in Sarahs vor Angst geweiteten Augen sah. »Was ist auf einmal passiert? Wieso soll ich verschwinden?« Fester, als er es eigentlich wollte, packte er ihr Handgelenk und zog sie hinter sich her. »Aua! Du tust mir weh! Warum in alles in der Welt müsst ihr Männer immer so brutal sein?« Ihre Worte hallten wie ein Echo in seinem Kopf. Er ließ sie los und zwang sich, die Vernunft walten zu lassen und ruhigere Töne anzuschlagen. »Ich möchte nichts mit Drogen zu tun haben und daher bitte ich dich, zu gehen.« »Drogen?« Sie sah ihn ungläubig an. »Wie kommst du auf Drogen? Ich nehme keine Drogen!« »Was hast du dann im Bad gemacht? Wofür brauchtest du dann deine Tasche?« Tränen sammelten sich in ihren Augen. »Ich … Ich wollte mich ein bisschen … herrichten … die Haare bürsten … und … sieh doch selbst nach!« Demonstrativ hielt sie ihm ihre Tasche hin. Auch wenn er wusste, dass Handtaschen für Frauen ein Heiligtum waren, siegte sein Misstrauen. Er nahm sie ihr ab, warf erst einen flüchtigen Blick hinein und kramte sie dann durch. Keine Drogen, kein Fixerbesteck, nur eine Bürste, ein Handy, ein Portemonnaie, Taschentücher, mehrere Nagellacke und Lippenstifte, Kondome, Tampons und ein lila Büchlein fielen ihm in die Hände. Mit einem hochroten Kopf reichte er sie ihr beschämt zurück. »Entschuldigung!« »Willst du mich vielleicht auch noch abtasten?« Philipp schüttelte schuldbewusst den Kopf. Sie senkte ihren Blick und sackte von einer Sekunde zur nächsten weinend in die Knie. Ein Blinder hätte ihm seine Überforderung angesehen. Er hockte sich zu ihr, legte unsicher eine Hand auf ihre Schulter und wusste nicht, was er sagen sollte. Wie Bäche stürzten Tränen aus ihren Augen. Am ganzen Körper zitterte sie. Ohne nachzudenken, nahm er sie in den Arm und drückte ihren Kopf sacht an seine Brust. Nach einer Weile brach sie das Schweigen. »Ich bin schwanger und habe den riesengroßen Fehler gemacht, laut darüber nachzudenken, es vielleicht zu behalten«, sagte sie nach einer Weile mit tränenerstickter Stimme. Unvermittelt fiel sein Blick auf ihren flachen Bauch, den auch der übergroße Trainingsanzug nicht runder erscheinen ließ. »Ich weiß es erst seit drei Tagen. Heute war ich beim Arzt … Bin in der fünften Woche.« Philipp wusste nicht, was er denken sollte. Nach und nach tröpfelten die neuen Erkenntnisse in sein Bewusstsein. »Du wirst das jetzt wahrscheinlich nicht hören wollen, aber gerade dann musst du ins Krankenhaus! Ich habe keine Ahnung, was da alles passieren kann! Hast du das Markus erzählt?« Aus verheulten Augen schaute sie ihn traurig an und schüttelte mit dem Kopf. »Wenn es tot ist, dann soll es so sein. Und wenn ich daran sterben sollte, dann hat es auch so sein sollen.« »Was sagst du da? Du musst zu einem Arzt, einem Frauenarzt, am besten ins Krankenhaus!« Wie elektrisiert erhob er sich und griff nach dem Telefon auf der Kommode. »Ich rufe einen Krankenwagen.« »NEIN!«, schrie sie, sprang auf und riss ihm den Hörer aus der Hand. »Warum hast du so Angst davor? Ich verstehe das