Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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      Mein Luzifel.“

      Der Knabe rührte seine Glieder und schlug die klaren Augen auf. Er erkannte die Welt, wie Gott sie ihm zu Füßen legte, und spürte alle Macht, die ihm als Ersten seiner Art gebührte.

      Er stand vor Gott. Sie zeigte sich ihm in ganzer Herrlichkeit.

      1

       Wieder diese Vision. Lästig.

      Die tief ins Hirn eingepflanzte Erinnerung an eine Zeit vor der Zeit, im Moment der Entstehung, vom blanken Nichts zum Sein.

      Als wenn Gott es bitter nötig hätte, ihn jedes Mal, wenn er die Augen schloss, mit der Nase darauf zu stoßen, wie alles seinen Anfang nahm. Er wusste es doch am besten.

      Der Beginn der gesamten Schöpfungsgeschichte, allen voran mit der Erschaffung der ersten Engel, schlicht Erzengel genannt. Mit ihm an der Spitze folgten noch sieben weitere aus dem Sternenfeuer der verschiedensten Himmelskörper und ihre Aufgabe war es gewesen, all die übrigen, niederen Engel zu beseelen.

      Oh, und natürlich Gott zu dienen.

      Verständlich, denn was sollten die Engel auch sonst anderes tun? Die Rolle der Geflügelten war klar definiert, keiner stellte sie infrage. Also wieso immer dieser Wink mit dem Zaunpfahl?

      Die Botschaft sagte stets aus: „Sieh, was du mir verdankst und sei mir auf ewig treu. Denn so, wie ich dich geformt habe, so schnell kann ich dich auch vernichten.“

      Unterschwellig könnte er das als Drohung auffassen.

      Das Dumme dabei war, dass er wirklich mehr als jeder andere Engel bei Gott in der Kreide stand. Gott verdankte er seinen glorreichen Ruhm, seinen hochrangigen Titel, seine ungewöhnliche Macht und seinen außergewöhnlichen Charme, der jeden anderen – obgleich alle Engel davor sprühten – an die Wand spielte. Kein Zweiter konnte sich mit ihm messen und so war er für den Großteil der Hierarchie unantastbar. Eigentlich hätte ihm – laut Gott – jeder Geflügelte Respekt zollen müssen.

      Doch war es nicht verwunderlich, dass eben einige seiner fast gleichgestellten Kollegen ihm den Sonderstand übel nahmen? Gegen kleingeistige Missgunst war er nicht gefeit.

      Aber sonst war er Engelsfürst Luzifel Morgenstern, oberste Befehlsgewalt der Weißen Garde, rechte Hand Gottes, Seraph, Ratsmitglied und goldene Eminenz der weißen Stadt Azilut im siebten Himmel Araboth.

      Was beneideten ihn die gewöhnlichen Engel der untersten Triade um diesen ansehnlichen Ruf?

      Allerdings kam in ihm häufiger der Wunsch auf, er wäre weniger wert. Denn dann würde ihm so manches kleine Geheimnis, das Gott ihm anvertraute, oder was mit seiner Position einherging, schlicht unbekannt bleiben. Unwissenheit war doch gar nicht schlimm. Jedenfalls hätte er sie schon gern gegen die Last auf seinen Schultern eingetauscht.

      Seufzend öffnete er die blauen Augen.

      Die Pflicht seines Lebens konnte er ja nicht aussperren, nur weil er beschlossen hatte, liegen zu bleiben und zu dösen. Richtiger Schlaf war für einen Engel sowieso ein Unding.

      Gott hatte es ja eingerichtet, dass ihre geflügelte Dienerschaft keine Erholung brauchte. Wozu auch, wenn die Sonne im Himmel nie unterging? Immer fleißig, immer emsig bemüht, der holden Gottheit zu Diensten. Springen, wenn man springen sollte und selbst wenn es in einen piesackenden Nadelhaufen ging, musste der Engel stets lieb dabei lächeln und kein Widerwort verlieren.

       Auf, auf! Frisch ans Werk!

      Zu den Teufeln mit der verdammten Motivation. Er kam nicht auf die Beine. Starrte frustriert von der weichen, weiß betuchten Liege auf zur weißen, mit Gold verzierten Stuckdecke.

      Sein großzügiges Anwesen in Azilut war eine weitere Kerbe in Gottes Anschlagtafel. Der letzte Rückzugsort von all den Dingen, die sein Gemüt so schwer machten, war auch nichts anderes als ein Mahnmal dafür, dass er – Herr Unantastbar-Überflieger – ein Knecht war. Vom ersten Tag der Existenz an bis in die Äonen der Ewigkeit.

       Runde um Runde ...

      Mutlos und gelangweilt von seinem goldenen Käfigleben, atmete er tief durch und fragte sich nicht zum ersten Mal, was wohl wäre, wenn er seinen Kopf gegen den weißen Marmorboden schlüge ...

       Wie ist das Sterben?

       Es wäre zumindest eine Abwechslung.

      Und Gott könnte ihm dann auch nichts mehr anhaben, denn das Reich der Toten entzog sich ihrer doch sonst so allgegenwärtigen Macht.

      Er musste grinsen. Lachte gar verzweifelt.

      Wartete irgendwo ein spannenderes Abenteuer? Dort, wo sein Geist ursprünglich herkam? Dass Gott seine Seele geformt hatte, bezweifelte er stark. Weit fern von dieser Welt war sein Herz, sein Denken, sein Wille entstanden und vielleicht konnte er durch einen Tod in der jetzigen Realität dieser entfliehen.

      Neu anfangen. Ein anderer sein.

      Je länger er darüber nachdachte, desto verlockender wurde die Vorstellung. Es gab mehr als diese schäbige Kulisse von Gottes Werk. Viel, viel mehr ...

      „Mein Fürst!“

       Ich bin nicht da, ich bin nicht da, ich bin nicht da ...

      Aber das Klopfen an der goldenen Zimmertür nervte.

      Schwerfällig schaffte er es, einen Fuß auf den weißen Parkettboden zu setzen. Das zweite Bein wollte sich nicht bewegen. Dagegen wurde das Hämmern an der Tür fortwährend dringender.

      Dem Störenfried rief er lustlos zu: „Du kannst reinkommen, die Tür ist offen.“

      „Oh“, kam es peinlich berührt von der anderen Seite. Die glänzende Klinke wurde gedrückt und ein Engel betrat seinen geliebt-verdammten Privatraum. Wer auch sonst?

      Hier stand nun also einer dieser niederen Engel, die ihn ja so umschwärmten. Samael war von einem sorgsam behüteten Hain aus nicht zur militärischen Garde gegangen, nein. Stattdessen hatte er seine intellektuellen Fähigkeiten genutzt, um jetzt als sein persönlicher Sekretär und höriger Laufbursche herzuhalten. Und diese Aufgabe erledigte der Blondschopf strebsamer als gefordert.

      Suchte Luzifel ein wichtiges Dokument, war Samael sofort zu Stelle und hatte bereits den Stift zur Unterzeichnung parat. Stand in seinem Terminkalender ein wichtiges – oder auch banales – Ereignis, tat Samael alles, damit er diesen Zeitpunkt auch einhielt. Gab es gesellschaftliche oder berufliche Neuigkeiten, flitzte Samael sofort los, um ihn genaustens zu unterrichten.

      Der Bursche war scheinbar das Musterbeispiel eines loyalen Idioten. So auch die anderen Geflügelten. Umso mehr fühlte sich da ein eigenständig denkender Geist haushoch verlacht. Ein gutes Leben hatten nur diejenigen, die sich fügten.

      Eigentlich konnte er Samael nichts vorwerfen – außer, dass sein Arbeitseifer Luzifel noch mehr in der Falle sitzen ließ.

      Freiheit. Einfach mal einen Augenblick nur das machen, wonach ihm selbst der Sinn stand. Tun, was er selbst tun wollte, und dazu zählte auch mal faul sein ...

       Ist wohl zu viel verlangt.

      „Mein Fürst, es gibt -“

      Luzifel hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. Doch statt etwas zu sagen, atmete er erneut auf der Liege tief durch, fuhr mit den schlanken Fingern durch sein welliges Haar und schloss die Lider. Genoss die Stille, bevor ein Sturm es wagte, loszubrechen.

      „Ähm ... Geht es Euch nicht gut, Herr?“, fragte Samael schließlich leise mit winselndem Blick.

      „Wenn gut gehen bedeutet, dass ich fröhlich aufjauchzen soll, nur weil du hier bist, um mir zu sagen, dass ich mal wieder auf Gottes Befehl hin die Drecksarbeit machen darf, dann geht es mir Tatsache nicht gut, kleiner Malach.

      Wie nannte Michael mein Denken doch kürzlich?“