Daimon Legion

Mit schwarzen Flügeln


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      Jaspis trabte stolz durch die Straßen Aziluts. Wild schüttelte er die lange Mähne und peitschte einem Nachgehenden keck den Schweif ins Gesicht. Demutsvoll machte die umstehende Bevölkerung ihm Platz, während weiße Blütenblätter wie Schnee aus dem blauen Himmelszelt fielen und von seinen Hufen zerstampft wurden.

      Die Rückkehr der Gardeeinheit aus dem Hades wurde pompös gefeiert, als kämen sie geradewegs von einer siegreichen Schlacht aus den unbekannten Tiefen des feurigen Höllenpfuhls. Man umtoste sie, klatschte, lachte, umschwärmte jeden einzelnen Soldaten. Von Fanfarenschall begleitet, prasselten lauthals Lobgesänge auf den strahlenden Morgenstern hernieder, den erlauchten Gardeführer.

      Sie trugen ihn quasi auf Händen, als hätte er Satans gesamte zähnefletschende, gewaltbereite Brut geschlagen. Dabei war es nur wehrloses Fußvolk, das von Kriegsstrategie, Truppenstellung und Waffenkunde keinen Deut verstand und somit belanglos niedergemetzelt wurde. Doch sie feierten ihren Helden, ihren glorreichen Seraph.

      Luzifel musste an sich halten, nicht zu schreien.

      Was redeten die Leute? Verstehen sie nicht? Sie verehrten einen geisteskranken Mörder ...

      Denn was sonst war er? Tötet mal so zig schwache Dämonen und schlägt selbst noch auf seinesgleichen ein. Mit jedem Schritt zog er eine Wolke aus Tod und Blutgestank nach sich, sein Inneres bebte vor Zorn und Verzweiflung. Er fühlte so viel Schreckliches, das er kaum fassen konnte. Ekel kroch in ihm hoch und wandelte sich in Wut. Wut auf diese zujubelnden Idioten. Wut auf Gott, den Rat – auf sich selbst.

      Wieso machte er dieses Narrentheater mit? Hatte er völlig den Verstand verloren? Er sollte Jaspis die Sporen geben und ausbrechen, fliehen! In seinen Hof – sein Heim – sein Gefängnis zurückreiten, die Fenster und Türen schließen, sich einsperren – alles aussperren! Um schließlich weinend am schwärzesten Punkt seiner Seele zu zerbrechen.

       Ich will nicht mehr.

      Nein, es war ihm nicht vergönnt, auch bloß einen Moment Erschöpfung zu zeigen. Ein Engel wankte nicht. Zagte nicht. Sondern diente allein dem Befehl seines Gottes.

       Reißt mir mein Herz heraus, ich will das nicht mehr fühlen ...

      Seine Garnison wurde auf den Großen Platz vor das Erztribunal geleitet, wo der Hohe Rat führend residierte. Ein gigantischer, weißsteiniger Gebäudekomplex, thronend auf einem Hügel marmorner Treppen, von unzähligen hohen Säulen gereiht und einer goldenen Kuppel gekrönt. Dagegen verblasste der Schein des Hohen Gerichtes in Beriah maßlos.

      Trompetenschall verkündete von den Zinnen her ihre Ankunft und die Schar der treu-dummen Bewunderer schien jeden Winkel des Areals zu füllen.

      Unter Applaus sattelten die Gardisten ab. Allein Luzifel blieb auf Jaspis sitzen und sah zu den geschmückten Emporen hinter dem Säulenwall oberhalb der Treppen hinauf. Jenseits dieser Mauern warteten sie auf ihn und seinen Bericht. Es würde ihn erstaunen, wenn sie nicht auch von seinem Vergehen wüssten.

      „Luzifel!“, rief droben eine vertraute Stimme und die Stufen kam ein Mann hinunter, zu dem er keinen größeren Gegensatz hätte bilden können. Sowohl charakterlich als auch körperlich war sein jüngerer Bruder das Kehrstück der Medaille.

      Michael war groß und drahtig demselben Sternenfeuer wie er entsprungen – deswegen nannten sie einander Brüder. Der strahlende Seraph und Erzengel ersten Ranges war eine dem Standard entsprechende Frohnatur, witzig und beliebt bei jedermann. Er ließ sich nie etwas zuschulden kommen und wurde dafür mit einem ruhigen Wachposten in der vierten Sphäre belohnt. Nebenbei stand er wie Luzifel unterstützend dem Hohen Rat zur Seite, was auch seine Anwesenheit hier erklärte.

      Es widerstrebte Luzifel zutiefst, sich in Gesellschaft des kleinen Bruders vor Metatron und den anderen zu rechtfertigen.

      „Komm runter von deinem hohen Ross!“, forderte ihn Michael lächelnd auf.

      Luzifel seufzte und saß ab. Mit seinem Bruder auf einer Stufe stehend, musste jedem der Unterschied ins Auge fallen. Er reichte ihm gerade bis zur breiten Schulter. Wenn es jemand wagen sollte, darüber Witze zu reißen, würde er das Schwert zu spüren bekommen.

      Michael stutzte naiv über sein verdrießliches Gesicht. „Was hast du, Lou? Geht es dir nicht gut? Wurdest du verletzt?“

      „Seh ich so mies aus?“, entgegnete Luzifel barsch.

      „War ja bloß eine Frage. Wie war die Reise?“

      „Unspektakulär. Können wir gehen?“

      „Ähm, klar?!“

      Verwirrt lenkte Michael ihnen beiden den Weg wieder hoch zur Eingangstür des Tribunals frei. Die Einheit und ihre Verehrer blieben unten zurück.

      Beim Steigen suchte der blonde Engel erneut das vertraute Gespräch: „Geht es dir wirklich gut? Du machst auf mich einen leidenden Eindruck, mein Großer. Vielleicht solltest du dich -“

      Sein Bruder unterbrach ihn: „Erwartest du, dass ich mich freue, nur weil Metatron mir an den Kragen will? Ich würde sonst was dafür geben, diese Audienz sein zu lassen. Der wird sich aufspielen, als sei er der Erste und ich ein kümmerlicher Malach, der gerade im Hain geschlüpft ist.“

      Michael lachte. „Ja, das hätte er wohl gern.“

      „Als ob ich Schuld dran hätte, dass Jahwe ihn erst an zweiter Stelle schuf. Soll er bei ihr Beschwerde einreichen, aber dazu fehlen ihm ein paar Federn im -“

      „Lou, reg dich nicht auf. Das Theater von ihm kennen wir doch schon ewig. Du bist so mürrisch in letzter Zeit.“

      Vor der goldenen Tür blieb Luzifel stehen und sah seinen Bruder ernst an. „Ich bin gelangweilt, Mike. Hochgradig gelangweilt und todmüde. Wozu bin ich gut? Zur Dämonenjagd? Ein schlachterprobter Kriegsherr gegen Hirten und Bauern.“

      „Das geht vorbei. Du bist halt etwas schwer-“

      „Ach was! Jetzt hör mir doch mal zu!“, fauchte er Michael zwischen Zorn und Verzweiflung an. „Ich hab ein echtes Problem, Kleiner! Das lässt sich nicht so einfach lösen! Tu nicht so, als hätte ich bloß die Mauser!“

      Durchatmend legte Michael ihm den muskulösen Arm über die schmalen Schultern. „Lou, bleib ganz locker. Würde es dir was bringen, wenn wir nach der Anhörung was zusammen trinken gehen? Dann hör ich mir dein Problem in aller Ruhe an, ja?“

       Wer’s glaubt ...

      Luzifel stöhnte auf. „Und was bringt mir das? Kannst du mir denn helfen?“

      „Mal sehen. Im Notfall fragen wir Gott, ob sie nicht etwas für dich tun kann.“

      Ihre Hilfe war die letzte, die er wollte.

      Der Hohe Rat der Engel bestand im Wesentlichen aus den beiden Seraphim Metatron und dessen Zwillingsbruder Sandalphon. Das Hauptsagen hatte Metatron und nicht wenige bezeichneten ihn im Geheimen als König der Engel. Er selbst unternahm alles, um diesen Ruf zu nähren. Ohne seine Zustimmung entstand nichts im Himmelreich, und Metatron genoss es, dass man für ein Wohlwollen vor ihm kriechen wie betteln musste.

      Die zwei Geflügelten waren wie Luzifel und Michael vom ersten Rang, aber ihr äußeres Erscheinungsbild war silberweiß, weswegen besonders der Ratsvorsteher gern auf den schwarzhaarigen Fürsten herumhackte. Silber und Gold standen ja besser im Kurs als schlichte Kohle.

      Zu den beiden gesellten sich vier Berater, zu denen Michael gehörte, und des Weiteren die Cherubim Gabriel und Uriel, sowie der Thron Raphael zählten.

      Und dann gab es noch den obersten Richter des Hohen Gerichtes auf einem Sonderposten, den eigentlich auch Luzifel als Gardeführer innehatte. Wahrscheinlich rührte von dessen Teilung her der Ursprung ihrer andauernden Rivalität.

      Kamael zählte zu den Gewalten in der zweiten Triadenhierarchie der Engel und ihre gegenseitige Abneigung überflügelte sogar noch Luzifels Verachtung gegen