Ulrich Paul Wenzel

An Tagen Des Ewigen Nebels


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meinem Mann, das sagte ich ja bereits.«

      »Und ich glaube Ihnen kein Wort!« Er wiegte bedeutungsvoll seinen voluminösen Kopf hin und her. »Ich sagte ja, wir haben da noch viel Gesprächsbedarf. Und eines will ich gleich hinzufügen, Beschuldigte Adling: wir werden alles rauskriegen und aufklären. Alles! Und Ihren Mann, den Hochverräter an der Arbeiterklasse, werden wir auch einfangen. Sie wissen, unser Arm und unser Atem sind unendlich lang. Und dann Gnade ihm Gott.«

      Sein aufgeschwemmtes Gesicht hatte eine dunkelrote Farbe angenommen.

      »Abführen!«, bellte er und zu Vera gewand: »Wir sehen uns bald wieder, Beschuldigte Adling, und ich denke, nicht nur einmal.«

      Vera lag auf ihrer Holzpritsche und starrte zur Decke. Nachdem die nackte, grell leuchtende Glühlampe, die jede halbe Stunde aufflammte, wieder erloschen war, mussten sich ihre Augen erst einmal an die Finsternis gewöhnen. Was ging es Rolf in diesem Moment? Trotz seiner Freiheit sicherlich nicht besser als ihr. Er wird sich bittere Vorwürfe machen, denn es war sein Plan, der sie und Hannah in diese Situation gebracht hatte. Aber das durfte er nicht denken. Es gab nur diesen Weg. Niemand konnte ahnen, dass der Plan verraten wurde. Wer war der Verräter?

      Sie schloss die Augen. Die harte Holzpritsche drückte schmerzhaft gegen ihren Rücken und sie fühlte die Erschöpfung ihres Körpers. Vorsichtig verließ sie ihr Nachtlager und ging zum Waschbecken, um einen Schluck Wasser zu trinken. Angewidert spuckte sie das Wasser sofort wieder aus. Wie spät es wohl war? Bestimmt schon zwei oder drei Uhr. Sie hatte keinerlei Zeitgefühl mehr. Im Gebäude war es totenstill, weder Stimmen noch die obligatorischen Stiefelgeräusche. Gerade als sie sich wieder auf die Pritsche gelegt und krampfhaft versucht hatte, ihre aufwühlenden Gedanken zu verdrängen, um endlich einschlafen zu können, wurde es lauter. Sie hörte die typischen Stiefelschritte auf dem Flur. Ihre Zelle wurde aufgeschlossen, das Licht flackerte auf.

      »Treten Sie heraus, Eins! Beeilen Sie sich, Ihr Vernehmer wartet nicht gerne.«

      »Setzen Sie sich, Beschuldigte Adling«, sagte der Stasi-Vernehmer in einem unerwartet freundschaftlichen Ton, nachdem die beiden Aufseher das Zimmer wieder verlassen hatten. Wahrscheinlich Methode, überlegte Vera. Jetzt war wieder die kumpelhafte, anbiedernde Phase an der Reihe.

      »Kaffee?«

      Sie nickte nur. An Schlaf war sowieso nicht mehr zu denken.

      »Na kommen Sie schon, Beschuldigte Adling, machen Sie nicht so ein Gesicht. Da müssen Sie jetzt durch. Das hätten Sie sich alles früher überlegen sollen.«

      Der Stasi-Beamte griff zum Telefon und bestellte Kaffee. Er legte den Protokollbogen, den er zwischenzeitlich geschrieben hatte, in die mechanische Schreibmaschine ein und ging die Zeilen durch.

      »So Beschuldigte Adling, wo waren wir gestern stehen geblieben?«, fragte er mehr zu sich selbst. »Ich sehe gerade, wir haben noch eine ganze Reihe unbeantworteter Fragen zu bearbeiten. Fangen wir mal anders herum an: Warum wollten Sie die DDR verlassen? Sie hatten doch alles und lebten wie die Maden im Speck. Oberärztin an der Charitè und Ihr Mann war ja bis jetzt auch auf einem ganz guten Weg hier in unserem Stall.« Er lachte verächtlich auf.

      »Ich fühlte mich eingeengt und ich sah keine Möglichkeit, mich beruflich weiterzuentwickeln.«

      »Wie bitte? Habe ich das jetzt richtig verstanden? Sie haben sich eingeengt gefühlt und konnten sich beruflich nicht mehr weiterentwickeln? « Sein Gesicht wechselte wieder die Farbe und seine Stimme wurde schneidend. »Sie müssen doch krank sein, Beschuldigte Adling. Wer engt Sie denn ein? Die Deutsche Demokratische Republik ist der erste Staat auf deutschen Boden, der seinen Mitbürgern überhaupt erst Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Hier bekommen Sie alles, was Sie in der BRD nie im Leben finden werden. Ein Recht auf Arbeit, kostenlose medizinische Rundumversorgung, Wohnung mit geringer Miete, Kindergartenplatz vom ersten Tag an und so weiter. Was wollen Sie eigentlich noch, Beschuldigte Adling?« Der Vernehmer stand polternd auf und kam um den Schreibtisch herum. Seine Augen flackerten, während sich sein kantiger Schädel bedrohlich auf sie zubewegte.

      »Wir wollten unsere persönliche Freiheit«, sagte sie leise.

      Der Vernehmer lachte schrill auf. »Persönliche Freiheit. Was soll das denn sein? Meinen Sie damit, ihr könnt tun und lassen, was euch gerade so passt, ja? Das könnt ihr vergessen! Das gibt es auch in der BRD nicht, oder in Frankreich oder sonst wo im kapitalistischen Ausland. Das ist es doch, was Ihnen...«

      Es klopfte an der Tür.

      »Herein!«, brüllte der Vernehmer. Ein Mann in Uniform brachte den Kaffee und stellte ihn auf den Schreibtisch.

      »Milch, Zucker, bedienen Sie sich, Beschuldigte Adling.« Der Vernehmer hatte wieder auf seinem Stuhl Platz genommen und zu tippten begonnen. Umständlich fingerte er eine Zigarette der Marke F6 aus einer kleinen Packung.

      Der Kaffee schmeckte gut, stellte Vera fest. Bestimmt aus dem Westen. So einen Kaffee schickte ihre Schwester Karin immer zu Weihnachten.

      »Der BFC Dynamo spielt am Wochenende gegen Lok Leipzig. Was tippen Sie, Beschuldigte Adling? Könnte eng werden, was?«

      »Ich interessiere mich nicht für Fußball.«

      »Verstehe, Fußball ist nichts für zarte Gemüter. Gibt es denn etwas, was Sie interessiert, außer, wie Sie die Deutsche Demokratische Republik illegal verlassen können?«

      Vera schwieg. Sie hatte bisher kaum geschlafen und war trotz des Kaffees dem Umfallen nahe.

      »Sie sind heute nicht besonders gesprächig, Beschuldigte Adling«, stellte der Vernehmer fest, während er den Rauch seiner Zigarette gegen die Decke blies. »Und dabei will ich noch so viel von Ihnen wissen. Zum Beispiel immer noch, wer alles von Ihrem kläglichen Manöver Kenntnis hatte!«

      »Niemand, nur meine Familie.«

      Der Vernehmer stieß ein Grunzen aus. »Sie sind wirklich eine amüsante Erscheinung, Beschuldigte Adling. Sie glauben anscheinend, ich könnte zu vorgerückter Stunde Scherze gut vertragen, was? Ich will Ihnen mal was sagen, nur damit das klar ist: das ist hier keine gemütliche Plauderrunde, verstehen Sie? Sie befinden sich auf feindlichem Boden, Beschuldigte Adling. Wenn Sie sich für Fußball interessieren würden, wäre das für Sie ein Auswärtsspiel!« Der Vernehmer hatte seine Stimme wieder drohend erhoben. Er drückte die Zigarette aus. »Ich will Namen, und zwar alle!«, zischte er. »Und bis ich die habe, drehe ich Sie langsam und mit viel Gefühl durch den Fleischwolf, darauf können Sie sich verlassen. Ach noch etwas, Beschuldigte Adling. Sie wollen doch bestimmt irgendwann einmal Ihre Tochter wiedersehen?« Er schmunzelte in sich hinein. »Ich könnte Ihnen dabei behilflich sein. Dafür müssen Sie mir natürlich etwas entgegenkommen und Sie wissen ja, wie Sie mir einen Gefallen tun können.«

      Vera hörte ihre Herzschläge. Natürlich, diese Karte hatte sie erwartet. Ihr fielen fast die Augen zu.

      »Ich mache Ihnen jetzt ein Angebot, Beschuldigte Adling«, sagte der Vernehmer, lächelte gütig und lehnte sich auf seinem Stuhl mit verschränkten Armen zurück. »Sie gehen jetzt zurück in Ihre Zelle und schlafen sich aus. Können Sie gebrauchen, wie ich sehe. Morgen früh sehen wir uns wieder und setzen unser Gespräch fort. Und bis dahin überlegen Sie sich ein paar zufrieden stellende Antworten auf meine Fragen.« Er griff zum Telefon und rief den Aufseher.

      »Aber denken Sie gut nach, Beschuldigte Adling. Sollten Sie mich enttäuschen, unterhalten wir uns nur noch nachts und Ihrer Tochter, das kann ich Ihnen versprechen, wird es nicht besonders gut gehen. Gute Nacht Beschuldigte Adlin. Schlafen Sie gut.«

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