Ulrich Paul Wenzel

An Tagen Des Ewigen Nebels


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fragte Vera.

      »Ja, Mama.«

      »Dann schlaf jetzt schön. Morgen gehen wir wieder zum Strand.« Vera gab Hannah einen zarten Kuss auf die Nasenspitze und einen freundlichen Klaps auf den Hintern. Zusammen mit ihrem Vater ging Hannah nach oben ins Zimmer. Sie freute sich, zwischen Mama und Papa im Bett schlafen zu können.

      »Schau mal, Hannah, dort zwischen den Dünen ist das Wasser. Die Ostsee.«

      Hannah konnte das Wasser sehen, dass in der untergehenden Sonne eine rötliche Färbung angenommen hatte.

      »Ist da hinten Amerika, Papa?«

      »Nein, mein Schatz, dort liegt Dänemark.«

      »Warst du schon mal in Dänemark?«

      »Nein.«

      »Wir können doch mal mit dem Schiff nach Dänemark fahren. Mit Mama.«

      »Vielleicht mal später. So, nun aber Ausziehen und Zähneputzen. Papa liest dir noch ein Kapitel von Alfons Zitterbacke vor.«

       Fischland, Mecklenburg-Vorpommern, 2018

      »Es war eine Geburtstagsfeier meiner Mutter«, sagte Hannah leise. »Ich kann mich kaum noch daran erinnern, aber ich weiß nur noch, dass ich mit dem Sohn eines Kollegen meines Vaters viel gespielt habe. Am Strand und auch im Garten. Es ist vielleicht komisch, aber diesen Blick aus dem Fenster habe ich nicht vergessen.«

      Hannah löste sich aus Alans Armen, setzte sich auf die Bettkante und nahm einen Schluck aus der Mineralwasserflasche. Alan sah sie nachdenklich an.

      »Du hoffst einen Hinweis auf deine Eltern zu bekommen, oder? Wir können morgen Siegmar und Susanne fragen, ob sie wissen, wem dieses Haus zu DDR-Zeiten gehört hatte.«

      Hannah nickte abwesend.

      »Versuch zu schlafen, Hannah. Wir können jetzt eh nichts tun. Morgen werden wir uns um die Sache kümmern.«

      »Ist lieb von dir, Alan«, sagte Hannah, stellte die Flasche auf den Nachttisch und legte sich hin. Sie ergriff seine Hand und sah ihn mit festem Blick an. »Ich möchte aber, dass wir die Sache zunächst für uns behalten, ja. Kein Wort zu Siegmar und Susanne. Versprich es mir bitte, Alan. Wir machen nur die Pferde scheu. Ich glaube auch nicht, dass sie die Vorbesitzer kennen.«

      Hannah rückte dich Alan heran und gab ihm einen Kuss.

      »Ich brauche jetzt deine Nähe.«

       Am nächsten Morgen

      »Und, wie habt ihr geschlafen? Traumhaft oder?« begrüßte Siegmar sie mit der Kaffeekanne im Flur.

      »Kann man wohl sagen«, antwortete Alan und gähnte.

      »Ihr seht ein bisschen müde aus«, meinte Siegmar lächelnd. »Ist es zu noch früh oder habt ihr euch noch ein bisschen mit euch selbst beschäftigt?«

      »Siggi«, ging Susanne dazwischen und boxte ihren Mann in die Hüfte, »lass bitte deine Anzüglichkeiten.« Sie drehte sich zu Hannah um und tätschelte ihre Wange. »Guten Morgen, Hannah. Du siehst wirklich noch ein bisschen müde aus, aber das gibt sich nach ein paar Tassen Kaffee. Geht rein in die gute Stube.«

      Susanne hatte ein Frühstück aufgefahren, dass für halbe Schulklasse gereicht hätte. Eier mit Schinken, Tomaten mit Mozzarella, Käse und Obst.

      »Ich habe für euch zwei Fahrräder gemietet«, sagte Siegmar am Frühstückstisch, während er sich ein Brötchen mit mehreren Scheiben Käse belegte. »Wir können gleich nach dem Frühstück los.«

      »Und wo soll es hingehen?«, fragte Alan und überlegte, was für einen Stahlesel Siegmar wohl gemietet hat. Er graute sich vor der Fahrradtour und besonders vor geliehenen Rädern, aber irgendetwas mussten sie ja machen.

      »Mein Vorschlag wäre, in Richtung Wustrow zu radeln. Das ist gut zu schaffen, nicht nur für dich, Alan. Dort können wir ein schönes Bier trinken.« Siegmar schmunzelte in die Runde.

      »Hört sich gut an, oder Hannah?« Alan blickte aufmunternd zu seiner Freundin hinüber, die gerade an ihrem Kaffee nippte und emotionslos nickte. Eigentlich hörte es sich gar nicht so gut an, dachte er bei ihrem Anblick. Richtig scheiße hörte sich das an.

      »Statt Bier natürlich auch gerne Kaffee«, fügte Siegmar mit einem zwinkernden Auge hinzu. »Mir ist es eigentlich egal. Ich will nur ein bisschen raus.«

      »Genau«, meine Susanne, »eigentlich ist es egal, in welche Richtung wir fahren und wie weit. Hauptsache wir sind an der frischen Luft.«

      »Tut mir wirklich leid, Susanne, dass es mich ausgerechnet an diesem Wochenende erwischt hat« , entschuldigte sich Hannah. Susanne hatte Verständnis.

      Hannahs depressive Stimmungslage war offensichtlich. Beim Frühstück bekam sie kaum ein Wort heraus und Alan beobachtete, wie sie sich immer wieder in dem Wohnraum umschaute, als suche sie Anhaltspunkte, die ihrem unscharfen Bild aus jenen Kindertagen Konturen verleihen könnten.

      Obwohl es anfangs noch stark bewölkt war und nach Regen aussah, wurde es schon bald ein herrlicher Sommertag. Sie machten sich in Richtung Darß auf. Siegmar und Susanne hatten nagelneue Räder. Dass Alan tatsächlich das schon vermutete Fahrrad bekam, spielte an diesem Vormittag nur noch eine untergeordnete Rolle. Sie besuchten Wustrow und Prerow, waren am Strand und auch in einem bezaubernden Cafè, doch Hannah schien von alle dem wenig berührt. Sie fuhr meistens lustlos hinterher, war einsilbig und wirkte weiterhin distanziert und fahrig. Selbst Siegmars derbe Sprüche riefen kaum eine Reaktion bei ihr hervor, was Alan zu dem Gedanken führte, dass Hannahs Psyche doch ernsthafter beschädigt war.

      »Können wir heute schon nach Hause fahren?«, fragte sie Alan, als Siegmar und Susanne ein Stück vorausgefahren waren. »Es geht nicht mehr. Ich muss ständig an meine Eltern denken.«

      »Natürlich. Sie werden es verstehen. Du siehst wirklich angeschlagen aus, Schatz.« Alan legte den Arm um sie, während sie langsam weiterfuhren.

      Siegmar und Susanne bedauerten es aufrichtig, dass sie so vorzeitig abfahren wollten, schließlich wollten sie am Abend grillen. Sie brachten aber ihr vollstes Verständnis für Hannahs Wunsch auf. Nachdem sie am frühen Nachmittag noch einen letzten Kaffee mit Siegmar und Susanne getrunken hatten, verabschiedeten sich Alan und Hannah.

      Auf dem Weg zur Autobahn sprach Hannah unentwegt und sichtlich aufgewühlt von dem Ereignis und Alan versprach ihr, sich am Montag um die Eigentümerhistorie des Ferienhauses zu kümmern. Er hatte ja Zeit. Wahrscheinlich war es sogar gut so, denn ansonsten hätte er ständig über seine eigene Situation gegrübelt. Irgendwann schlief Hannah ein und wachte erst auf, als Alan in die Ahornstraße einbog und sie vor dem gepflegten Gründerzeit-Altbau abgesetzt, in dem sich ihre Dreizimmerwohnung befand.

      6

       Dienstag

      Alan stand um kurz nach sechs mit einem Strauß Kornblumen und einer Tasche mit Getränken und Kochzutaten vor Hannahs Tür.

      »Schön, dass du da bist«, flüsterte sie ihm ins Ohr, nachdem er sie lange Zeit fest umschlungen hielt und ihr erst nach einem nicht enden wollenden Kuss gestattete, etwas zu sagen.

      »Du siehst bezaubernd aus, Hannah. Geht es dir etwas besser?«

      »Danke. Ich fühle mich ganz okay. Wie findest du meine Haare.«

      Alan hatte zu spät bemerkt, dass sie beim Friseur gewesen war und die Haare kürzen ließ.

      »Sehr schön. Aber was soll ich sagen, Frauen mit einem ausdrucksvollen Gesicht können jeden Haarschnitt tragen.«

      »War das ein Kompliment, Schatz?«

      Er nickte lächelnd.

      »Dann darfst du reinkommen.«

      Hannah schloss für einen Moment die Augen, inhalierte den Geruch der