Ulrich Paul Wenzel

An Tagen Des Ewigen Nebels


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Siegmar immer wieder zähmt, wenn mit ihm der Gaul durchgeht. Auch wenn sie auf den ersten Blick ein ungleiches Paar abgaben, so hatte er im Laufe der Zeit doch festgestellt, dass sie gut aufeinander eingespielt waren.

      Alan trank mit einem Schluck das Glas leer, drückte die halb gerauchte Zigarette aus und schlich zurück ins Schlafzimmer.

      5

       Freitag

      »Da seid ihr ja endlich«, rief Siegmar, lässig am Türrahmen lehnend, als Alan und Hannah das Auto verlassen hatten und ein paar Streckübungen machten. »Ich dachte, du würdest diese kurze Strecke in zwei Stunden schaffen, Alan.« Mit einem wiehernden Lachen kam Siegmar auf sie zu.

      »Willst du mich auf den Arm nehmen? In zwei Stunden schaffst du das auch nicht«, entgegnete Alan. »Was meinst du, was auf den Straßen los war.« Siegmar umfasste Hannahs Taille und begrüßte sie mit einem Wangenkuss. Dann umarmte er Alan mit seinen mächtigen Armen einer Krake.

      »War auch nur ein Scherz«, fügte Siegmar hinzu, »ich bin froh, dass ihr es gefunden habt. Ist ja sogar noch ein bisschen hell.«

      »Ich hoffe du erinnerst dich daran, dass ich schon einmal hier war, Siegmar«, entgegnete Alan beleidigt.

      »Ja, ich weiß. Susannes Fünfzigster.«

      Alan sah seine Freundin an. »Was sagst du, Schatz, gefällt es dir auch?«

      »Doch, schon«, sagte Hannah mit einer Spur Zurückhaltung.

      »Also ich finde, das hier ist der schönste Flecken an der gesamten Ostseeküste«, erklärte Siegmar in seiner selbstherrlichen Art. »Schöner als auf Fischland oder dem Darß ist es nirgendwo. Selbst Rügen und Usedom stehen hinten an.«

      Na ja, das erzählst du schon seit fünf Jahren. Alan zündete sich eine Zigarette an, während auf das weiß getünchte Haus blickte.

      »Du hast renoviert, stimmt’s?«

      »Ja. Haben wir machen lassen. Zwei Polen. Ich dachte, wir hätten es dir erzählt.«

      »Kann sein.« Alan schnalzte mit der Zunge. »Die blauen Fenster auf den weißen Wänden machen sich jedenfalls sehr gut.«

      »Sechzig Meter, dann stehst du im Wasser«, sagte Siegmar mit einem stolzen Blick zu Hannah. »Die Wellen der Ostsee kann man nachts gut hören.« Siegmar nickte mit dem Kopf in Richtung der Dünen, die sich direkt hinter dem Haus aufbauten.

      Alan trat die Zigarette aus und wandte sich zum Kofferraum, um die Reisetaschen auszuladen.

      »Kommt erst mal rein, die Sachen könnt ihr später holen«, unterbrach ihn Siegmar.

      Im Flur roch es nach gebratenem Fleisch. Susanne kam ihnen aus der Küche entgegen, während sie ihre Hände an einer violetten Schürze abtrocknete.

      »Herzlich willkommen in der Natur. Hattet ihr eine gute Fahrt?« Susanne begrüßte Hannah und Alan jeweils mit einem Wangenkuss.

      »Ich kann mich nicht beklagen. Alan ist gefahren und ich habe ein wenig gedöst«, sagte Hannah und zwinkerte Alan zu.

      »Gut. Ich zeige euch erst einmal euer Zimmer«, sagte Siegmar. »Wir müssen die kleine Treppe hier hoch. Du kannst dich ja noch erinnern, nicht Alan? Vorsichtig, Hannah, es ist sehr steil.«

      »Wie sieht es mit dem Essen aus, Siggi?«, fragte Susanne. »Ich habe alles fertig.«

      »Dauert nicht lange, Susanne. In zehn Minuten, okay?«

      Ohne eine Antwort abzuwarten, stapfte Siegmar los. Hannah und Alan folgten.

      »Das Haus ist ja riesig«, stellte Hanna fest, als sie die obere Etage erreicht hatten.

      »Sieht man ihm gar nicht an, was?« Siegmar lachte. »Es ist auch mehr als ein reines Ferienhaus, möchte ich sagen. Wir haben hier oben vier Zimmer."

      »Ihr schlaft hier«, sagte Siegmar und öffnete die Tür des ersten Zimmers auf der linken Seite der Diele. »Das ist der größte und schönste Raum. Extra für unsere Gäste, versteht sich.«

      In dem etwa fünfzehn Quadratmeter großen Zimmer befanden sich ein Doppelbett und ein großer Kleiderschrank. Auf einem kleinen Tisch stand ein Flachbildfernsehgerät. An der Wand hingen alte Fotos vom Ostseestrand.

      »Seht ihr dort zwischen den Dünen das Wasser?« Siegmar zeigte stolz aus dem Fenster.

      »Mit Meerblick«, fügte Alan hinzu. »Ist das nicht grandios, Hannah?«

      Hannah trat an das Fenster und blickte hinaus. »Nicht schlecht.« Ihre Antwort klang weniger euphorisch als Alan geglaubt hatte. Im Gegenteil, sie wirkte plötzlich nachdenklich, fast abwesend.

      »Nicht schlecht? Ich finde das fantastisch.« Alan musterte seine Freundin irritiert, während sie weiterhin gedankenverloren aus dem Fenster sah.

      »Lass doch mal, Alan. Hannah ist etwas müde von der Fahrt«, mischte sich Siegmar ein. »Wenn ihr heute Nacht das Rauschen der Wellen hört und morgen früh am Fenster steht, sieht alles schon ganz anders aus. Zum Badezimmer geht es übrigens hier entlang.«

      Siegmar öffnete die nächste Tür, während Hannah noch einmal einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster warf und anschließend den beiden folgte.

      »Klein aber ausreichend.«

      Nachdem Siegmar Hannah die anderen Zimmer gezeigt hatte, das Nebenzimmer, das Susanne nutzte, ihr Schlafzimmer sowie sein eigenes Arbeitszimmer gegenüber, kehrten sie zurück ins Erdgeschoss.

      »Gefällt es dir nicht? Du bist so zurückhaltend«, raunte Alan Hannah auf der Treppe zu, als Siegmar schon unten war.

      »Doch, doch, Alan, ich bin wirklich noch ein wenig abgespannt.«

      »Und, hat es euch geschmeckt?«, fragte Susanne, »oder kommt ihr nie wieder zum Essen her?«

      »Es war sehr gut, Susanne, wirklich. Aber ich kann wirklich nicht mehr.« Hannah tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und legte sie neben den Teller.

      »Wenn es nach mir geht, würde ich öfter kommen«, sagte Alan. »Das Haus, das Meer und dein exzellenter Braten. Ausgezeichnet!«

      »Das freut mich«, sagte Susanne, stand auf und begann, die Teller einzusammeln.

      »So, ihr beiden, was hättet ihr denn noch gerne zu trinken?« Siegmar schaute Hannah und Alan mit fragendem Blick abwechselnd an.

      »Noch einen Weißwein, Hannah? Und du, Alan, ein kühles Blondes? Oder lieber einen Klaren zur Verdauung? Ihr könnt auch einen Cognac bekommen. Wir haben alles da.«

      »Für mich bitte ein Mineralwasser, Siegmar«, sagte Hannah.

      »Mir kannst du noch ein Bier bringen«, fügte Alan hinzu.

      »Ich werde Susanne helfen, das Geschirr abzuräumen«, sagte Hannah und stand auf. Mit zwei Schüsseln verließ sie den Raum in Richtung Küche.

      »Seit wann habt ihr das Haus eigentlich noch mal, Siegmar?«, fragte Alan, als Siegmar mit den Getränken zurückkam. »Du hast es mir bestimmt schon einmal gesagt.«

      »Das haben wir bald nach der Wende gekauft. Die Gegend hatte uns schon immer interessiert. Wir haben eine Weile gesucht, sage ich dir, aber es hat sich gelohnt.«

      Siegmar füllte ihre Biergläser.

      »Und das Ding war richtig heruntergekommen«, fuhr er fort, nachdem sie angestoßen und den ersten kräftigen Schluck getrunken hatten. »Ich kann gar nicht sagen, wie viele Arbeitsstunden wir hier reingesteckt haben.« Siegmar wischte sich mit dem Handrücken Schaum vom Mund. Alan nickte anerkennend.

      Sie hatten noch ein paar Stunden zu viert zusammengesessen und geplaudert, aber Hannah war an diesem Abend ganz anders als Alan sie kannte. In sich gekehrt und teilnahmslos. Irgendetwas hatte sie, das spürte er. Hannah entschuldigte es mit Migräne. Gegen halb zwölf gingen sie