Ulrich Paul Wenzel

An Tagen Des Ewigen Nebels


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wohnte damals übrigens in Berlin«, fuhr sie fort. »In Ostberlin, um genau zu sein.«

      Alan zog den Kopf zurück und warf ihr einen mitleidenden Blick zu, der sie veranlasste, noch etwas hinzuzufügen. »Wir haben übrigens nicht nur die Bananen gegessen, die man uns über die Mauer warf und wir hatten auch schon den aufrechten Gang eingeführt.«

      »Die DDR hatte ein paar Vorteile«, bemerkte er eilig, »die Mieten waren günstig, jeder hatte Arbeit, …«

      »… und die Ampelmännchen hatten einen Hut. Bemühe dich nicht. Die Bilanz dieses Staates war verheerend. Wir sollten das jetzt nicht vertiefen. Es war jedenfalls keine gute Zeit für mich.«

      Nach einem kurzen Schweigen fragte Hannah: »Bist du eigentlich verheiratet?«

      Alan räusperte sich. Das war eine schwierige Frage und dazu kam sie unvorbereitet. Wahrscheinlich wollte sie nur das Thema wechseln.

      »Eigentlich ja.«

      »Wie bitte? Wenn dir die Frage unangenehm ist, brauchen wir darüber nicht zu reden.«

      »Nein, nein, was ich damit sagen will ist, dass ich zwar verheiratet bin, allerdings nur noch auf dem Papier. Meine Frau ist vor ein paar Monaten ausgezogen.«

      »Das tut mir leid. Ich hätte wirklich nicht davon anfangen sollen.«

      »Aber warum denn? So ist es nun einmal«, hörte er sich mit einer Tönung Trotz in der Stimme sagen.

      »Hast du Kinder?«

      »Nein, meine Frau wollte nicht. Für sie gab es nur Kinder oder Karriere. Beides war nach ihren Vorstellungen nicht miteinander zu vereinbaren. Und du?«

      »Zwei. Ein Junge und ein Mädchen. Fehlt nur noch der Hund zur typischen deutschen Familie.« Hannah lachte und nippte am Mineralwasser. »Wir teilen übrigens dasselbe Schicksal, Alan«, fuhr sie fort, »mit dem Unterschied, dass ich schon geschieden bin.«

      »Das tut mir leid«, rutschte es ihm heraus und er beeilte sich eine Frage hinzuzufügen. »Wie alt sind denn deine Kinder?«

      »Mein Sohn ist 14 und meine Tochter 11.«

      »Es fordert Alleinerziehende ganz schön, zwei Kinder in dem Alter und den Beruf miteinander zu verbinden, oder? Ich kenne das von einer Bekannten. Sie arbeitet in einer Bank. Bei dir als Journalistin stelle ich mir das noch schwerer vor.«

      Hannah aß von der Seezunge und trank anschließend von ihrem Weißwein.

      »Meine Kinder leben nicht bei mir, sondern bei ihrem Vater. In Hamburg.«

      Alan nickte nachdenklich.

      »Es musste so sein«, beeilte sie sich zu erklären, »aber ich möchte im Augenblick nicht darüber reden. Ich habe trotzdem eine gute Beziehung zu ihnen und übrigens auch zu meinem Ex-Mann. Glücklicherweise arbeite ich freiberuflich und kann es mir leisten, Lukas und Jenna oft zu besuchen oder für ein Wochenende bei mir zu haben.«

      Alan registrierte Hannahs veränderten Gesichtsausdruck. Ihre Züge wirkten in diesem Augenblick zu ersten Mal nachdenklich. Ein wunder Punkt? Als wenn sie es selbst bemerkt hätte, zeigte sich plötzlich ein irritiertes Lächeln auf ihrem Gesicht.

      »Ich war achtzehn, als die Mauer fiel«, fuhr Hannah mit ernstem Gesichtsausdruck fort, »und all das, was ich mir immer gewünscht hatte, Städte wie London oder Paris zu besuchen, mit einem Mal möglich wurde. Ich hatte keine verwandtschaftlichen Verbindungen mehr nach Berlin, meine Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen und ich beschloss noch in der Nacht der Feierlichkeiten, ein neues Leben zu beginnen.«

      Hannah erzählte von ihrer Zeit in Hamburg, ihrem Studium und ihrer Beziehung, die bald nach ihrem journalistischen Einsatz für ein französisches Magazin im Irakkrieg auseinandergebrochen war. Sie trank den letzten Schluck Wein.

      »Ich glaube es wird Zeit für mich, Alan. Es war ein anstrengender Tag und morgen muss ich früh raus.« Mit einem entschuldigenden Augenaufschlag sah sie ihn an. »Ich weiß, ich hinterlasse jetzt noch ein paar Fragen, aber ich würde dich gerne wiedersehen und dir alles beantworten.«

      Alan schluckte. Er fühlte, dass er dieser Frau, die er gerade einmal vier Tage kannte, in diesem Moment schon sehr nahe war. So nahe, wie er es nie zu träumen gewagt hatte.

      Sie winkte dem Kellner.

      »Zahlen Sie getrennt.«

      »Ich zahle«, antwortete sie bestimmt und ihr Ton ließ jeglichen Protest seinerseits ersticken.

      3

       Eschborn, Bundesrepublik Deutschland, November 1984

      Der schwarze BMW 520 stoppte um 19:47 Uhr im Dörnweg. Drei Männer sprangen heraus und huschten auf den Hauseingang des unscheinbaren Neubaus zu. Der Fahrer parkte den Wagen anschließend am Straßenrand und blieb im Fahrzeug sitzen. Die Männer klingelten und betraten nach dem Summen den Hausflur.

      »Guten Abend«, sagte einer von ihnen leise, zeigte der verdutzten Frau im Erdgeschoss des Hausflures seinen Dienstausweis und gleichzeitig bedeutete der Frau, mit Zeigefinger über seinen Mund, zu schweigen. »Bundesamt für Verfassungsschutz. Bitte bleiben Sie in ihrer Wohnung und halten Sie die Tür geschlossen.«

      Nachdem die überraschte Frau sich wortlos wieder zurückgezogen hatte, hasteten die Männer mit geschmeidigen Schritten in die zweite Etage und blieben vor der linken der beiden gegenüberliegenden Wohnungstüren stehen. Einer der BfV-Beamten schaute durch den Spion und klingelte zweimal, während sich die anderen beiden mit entsicherten Waffen neben der Tür postierten. Im Innern der Wohnung hörten sie Stimmen und Musik vom Fernsehgerät. Schritte kamen näher. Die Tür öffnete sich.

      »Herr Lothar Kollmar?«, fragte der Verfassungsschützer, als ein Mann mittleren Alters in Cordhose und kariertem Hemd in der Tür erschien und ihn fragend ansah.

      »Ja.«

      »Bundesamt für Verfassungsschutz. Wir haben einen Haftbefehl und müssen Sie festnehmen.«

      Zwei BfA-Beamte schoben sich mit entsicherten Pistolen an dem überraschten Mann vorbei in die Wohnung und huschten von Zimmer zu Zimmer während der erste Kollege Kollmar Handschellen anlegte.

      »Warum bin ich festgenommen? Was werfen Sie mir vor?«, fragte Kollmar.

      »Ich denke, das wissen Sie. Spionage für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR.«

      »Ich möchte meinen Anwalt sprechen.«

      »Sobald wir hier fertig sind, können Sie Ihren Anwalt anrufen.«

      »Außer der verdächtigen Person befindet sich niemand in der Wohnung«, raunte einer der beiden Verfassungsschützer, nachdem er wieder im Flur aufgetaucht war.

      »Hier Esche 1. Zentrale bitte kommen«, bellte er in sein Funkgerät. Nachdem eine plärrende Stimme geantwortet hatte fuhr er fort: »Zugriff erfolgreich. Eine männliche verdächtige Person mit der Identität Lothar Kollmar festgenommen. Schickt bitte die Spurensicherung des BKA. Ende.«

      Die beiden anderen Verfassungsschützer hatten Kollmar derweil ins Wohnzimmer geführt, wo er mit aschfahlem Gesicht auf den Boden starrte. Im Fernsehen lief eine Vorabendsendung.

      »Packen Sie die nötigen Sachen zusammen, Herr Kollmar. Wäsche für zwei Tage, Nacht- und Waschzeug. Und nichts weiter anfassen.«

      Nachdem Kollmar unter Beaufsichtigung eines BfV-Beamten einen kleinen Koffer gepackt hatte, verließen zwei der Beamten zweiundzwanzig Minuten später zusammen mit Kollmar die Wohnung.

       Darmstadt, Bundesrepublik, November 1984

      Ottmar Riedewitz gähnte und schielte verstohlen auf die Wanduhr, die direkt über der Eingangstür seines Laborraumes hing. 19:53 Uhr. Eigentlich wollte er schon seit einer halben Stunde zu Hause sein, aber er musste noch die Versuchsprotokolle