Ulrich Paul Wenzel

An Tagen Des Ewigen Nebels


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Linie eines dezenten Ausschnitts folgte. Sie trug die halblangen blonden Haare diesmal offen und hatte sie auf der einen Seite hinter das Ohr gelegt, das von einem kleinen blauen Stecker betont wurde.

      »Wie geht es Ihnen?«, fragte sie mit einem mitfühlenden Blick, nachdem sie sich gesetzt hatte. »Ich hoffe, es haben sich keine weiteren Komplikationen eingestellt.«

      »Nein, ich merke schon nichts mehr.«

      »Wirklich? Wissen Sie, ich habe mir große Sorgen gemacht. Außerdem saß mir der Schreck noch eine ganze Zeit in den Gliedern.«

      »Ist ja alles gut gegangen. Wir sollten das jetzt nicht weiter thematisieren.«

      Sie ließ einen abschätzigen Blick durch das mäßig gefüllte Restaurant wandern.

      »Sind Sie oft hier?« Er hatte die Frage erwartet.

      »Nein, ehrlich gesagt war ich noch nie hier. Ich bin ein paar Mal vorbeigefahren. Ist nicht weit von meiner Wohnung entfernt.«

      Sie nickte nachdenklich. Inständig hoffte er, dass wenigsten das Essen den schlechten Eindruck anheben möge.

      Sie erkundigte sich beim Kellner nach den Weißweinen und bestellte ein Glas Chardonnay und ein Mineralwasser, er ein Hefeweizen.

      »Sie wohnen hier in der Nähe?«, fragte sie, während sie die Speisekarte aufschlug.

      »Ja, in der Ringbahnstraße in Halensee. Und Sie?«

      »In Steglitz. Nicht weit von der Schlossstraße entfernt.«

      »Da haben Sie ja alles was man braucht gleich um die Ecke.«

      »Sie werden lachen, aber in der Schlossstraße bin ich eher selten.«

      Sie sah noch beeindruckender aus als bei ihrer ersten Begegnung. Ein leichter, grauer Lidschatten unter fein gezupften Augenbrauen, ein wenig Rouge an den hohen Wangenknochen, dafür ein kräftiges Rot auf den schmalen, moderat geschwungenen Lippen.

      »Ich kann mich gar nicht entscheiden«, sagte sie, während sie intensiv die Karte studierte.

      »Das geht mir auch immer so. Je mehr Gerichte, desto länger dauert es bei mir. Am schnellsten geht es am Imbissstand.« Sie quittierte seinen Witz mit einem Lächeln. Alan warf ihr einen verstohlenen Blick zu und blieb für einen Bruchteil zu lange an ihrem Dekolleté hängen, der den Ansatz ihrer Brüste andeutete. Trug sie außer blau noch weitere Farben, vielleicht blaue Unterwäsche?

      »Haben Sie schon etwas gefunden? Sie wirken so nachdenklich.« Ihre Frage ließ ihn zusammenzucken. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss, der in diesem Moment die Farbgebung eines Halloween-Kürbisses angenommen zu haben schien. Dem fahlen Licht über dem Tisch konnte er auch etwas Gutes abgewinnen.

      »Ich werde die Lammkoteletts nehmen«, sagte er entschlossen.

      »Und ich die Seezunge.« Sie schloss die Speisekarte, hob den Kopf und bewegte ihre Mundmuskulatur, als lutsche sie auf einem Bonbon.

      »Ist es eigentlich wichtig, dass wir uns weiterhin siezen?«, fragte sie. »Ich mag es eigentlich nicht so förmlich. Ist mir zu steif.« Sie lächelte spitzbübisch.

      »Klar, irgendwann wäre ich wahrscheinlich auch darauf gekommen und warum nicht gleich. Ich heiße Alan.«

      »Ich bin Hannah.«

      Nachdem sie bestellt hatten, schaute sie ihn zwei Sekunden nachdenklich an, dann blitzte ein Lächeln um ihre Mundwinkel herum auf.

      »Du hast einen außergewöhnlichen Namen. Klingt angelsächsisch.«

      »Mein Vater ist Schwede und meine Mutter kommt aus Schleswig-Holstein. Wahrscheinlich ist ihr der Name während eines Englischkurses an der Volkshochschule eingefallen.« Er lachte über seinen Scherz. Hannah schmunzelte, während sie auf ihr Glas blickte und mit dem Zeigefinger über den Rand fuhr.

      »Erzähl mir etwas von dir. Ich bin so wahnsinnig neugierig. Was machst du beruflich?«

      Alan hustete flach. »Ich bin Bulle.« Er glaubte in diesem Moment ein Zucken in ihrem Mundwinkel erkannt zu haben.

      »Das hört sich ja spannend an.«

      »Ja, hört sich so an. Ist es aber nicht immer. Ich arbeite beim Landeskriminalamt.«

      »Ah, Kriminalkommissar.«

      »Ja. Seit dem Tag unserer ersten Begegnung allerdings außer Dienst. Ich war gerade auf dem Weg nach Hause.« Hannah sah ihn verblüfft an.

      »Und dann das noch. War bestimmt ein ganz schlechter Tag für dich, oder?«

      »Fing schlecht an, wurde dann aber immer besser.«

      »Erzähl mir etwas über deinen Job. Ist bestimmt nicht so wie im Fernsehen.«

      Alan schüttelte den Kopf. Er begann über seinen beruflichen Alltag zu plaudern, über die wenigen interessanten und die vielen langweiligen Dingen, die Probleme mit seinem Chef und auch über die Umstände seiner Zwangsbeurlaubung.

      »Wie bitte, man hat dich wegen einer Unbeherrschtheit gegenüber einem Untersuchungshäftling beurlaubt, der ein Kind umgebracht hat? Das ist ja unglaublich.«

      Alan spürte den inneren Drang nach einer Zigarette, begnügte sich dann aber mit einen Schluck Hefeweizen.

      »Eigentlich waren die Medien schuld«, fuhr er fort. »Die einschlägige Presse hat das Thema natürlich sofort begierig aufgegriffen. Wenn so etwas passiert, hast du verloren. Journalisten sind eine ganz besondere Spezies.«

      »Dem kann ich grundsätzlich nicht widersprechen«, sagte Hannah mit einem entschuldigenden Lächeln. »Ich gehöre schließlich dazu.«

      Alan räusperte sich peinlich berührt. »Du bist Journalistin? Auf einer meiner wenigen Pressekonferenzen habe ich dich noch nicht gesehen. Du wärst mir aufgefallen.«

      Er glaubte, einigermaßen gut die Kurve genommen zu haben. Sie ging auf das Kompliment nicht ein.

      »Ich bin noch nicht so lange in Berlin und außerdem hatte ich mit Pressekonferenzen noch nie etwas zu tun. Aber wir waren ja bei dir. Wie bist du denn überhaupt bei der Polizei gelandet?«

      »Vielleicht sollte ich erst einmal sagen, dass ich mir beruflich alles hätte vorstellen können, außer zur Polizei zu gehen.«

      »Und warum hast du es gemacht?«

      Alan erzählte ihr in groben Zügen seinen Werdegang. Von seiner Heimatstadt Lübeck, von seiner Jugendzeit, in der er fast jedes Sommerwochenende und die meisten Ferien mit Freunden an der Ostsee verbrachte.

      »In Scharbeutz habe ich ein Mädchen aus Hamburg kennengelernt, die gerade eine Ausbildung an der Hamburger Polizeischule machte und später Kriminalkommissarin werden wollte. Damals gab es noch nicht so viele Frauen im Polizeidienst wie heute. Ich war von ihren Erzählungen ebenso schwer beeindruckt wie von ihrem Selbstbewusstsein. Der Grundstein war also gelegt. Obwohl es nur eine kurze Liaison mit ihr war, wohnte ich ein Jahr später in Hamburg und war ebenfalls an der Polizeischule.«

      »Du hast in Hamburg gewohnt?« Hannah zog die Augenbrauen hoch.

      »Ja, in Barmbek. Du scheinst Hamburg auch gut zu kennen?«

      »Ja.« Hannah überlegte kurz, ob sie ihre knappe Antwort noch weiter vertiefen sollte, wechselte dann aber das Thema. »Und wann bist du nach Berlin gekommen?«

      »Vor acht Jahren erst habe ich den Sprung geschafft, dabei war Berlin schon immer Ziel gewesen. 1980 bin ich das erste Mal hier aufgekreuzt, von da an ließ mich Berlin nicht mehr los. Es war zu Beginn ja noch das alte West-Berlin. Quasimodo, Quartier Latin, Kant-Kino und all die anderen Kultstätten. Mehrmals im Jahr kam ich mit meinem alten Golf hierher und hatte immer Angst, auf der Transitautobahn liegenzubleiben oder die Geschwindigkeit zu überschreiten. Und dann die nervenaufreibenden Grenzkontrollen. Hast du das nicht auch so empfunden oder bist du nie mit dem Auto durch die DDR gefahren?«

      »Zu der Zeit, von der du sprichst, war ich noch nicht