Ulrich Paul Wenzel

An Tagen Des Ewigen Nebels


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wir bringen das Geschirr in die Küche und trinken noch ein Glas Rotwein«, sagte sie und glitt von seinem Schoss.

      »Ich würde gerne noch einmal die CD hören, die du vorhin gespielt hast. Wer war das noch mal?«

      »Paul Anka. Sie liegt auf dem Player. Du kannst sie einlegen.«

      Grade als Alan mit der Pfanne und zwei Gläsern auf dem Weg in die Küche war, klingelte es an der Haustür.

      »Wer kann das denn sein, Schatz?«, fragte Hannah und sah Alan irritiert an.

      »Keine Ahnung.« Alan setzte seinen Weg in die Küche fort, stellte das Geschirr ab und kehrte in den Flur zurück. Als er die Wohnungstür öffnete, blickte auf die riesige Gestalt seines Nachbarn und Freundes Siegmar Windler.

      »Hallo Alan. Wir stören doch nicht, oder? Nur auf ein Gläschen«, polterte Siegmar und schwenkte eine Rotweinflasche in der Hand. Hinter Siegmars Rücken erkannte er die grazile Gestalt von Siegmars Frau Susanne, die verlegen lächelte. »Wir haben auf dem Balkon noch Licht bei dir gesehen und dachten, wir könnten einfach noch mal vorbeischauen.«

      Ohne Alans Antwort abzuwarten schob sich Siegmar in die Wohnung. Jeder Versuch, ihn zu stoppen, das wusste Alan, wäre unweigerlich fehlgeschlagen.

      »Nur kurz, Alan«, flüsterte Susanne, mit einem Blick, der du kennst ihn doch signalisierte und folgte ihrem Mann in die Wohnung.

      Alan hätte es sich denken können. Siegmar und Susanne schauten nicht das erste Mal so unvermittelt beim ihm vorbei, allerdings klopften sie bisher immer an der Tür. Hatten sie schon etwas geahnt? Bevor er Hannah kennengelernt hatte, freute er sich auf diese spontanen Besuche seiner Nachbarn, mit denen ihm seit ein paar Jahren eine enge Freundschaft verband. Heute war diese Freude nicht so ausgeprägt. Er wollte den beiden schon lange seine neue Liebe vorstellen, konnte sich aber nie dazu durchringen. Nicht einmal am letzten Freitag, als Hannah ihre Kinder bei sich zu Hause hatte und er von Siegmar und Susanne zum Essen eingeladen worden war. Siegmar fing wie üblich an zu fragen, wann denn endlich mal eine Frau bei ihm einziehen würde. Sein Spezialthema. Es war die Gelegenheit, doch irgendetwas hinderte ihn daran, sich zu offenbaren. Wahrscheinlich war es die Unsicherheit, ob es denn überhaupt etwas Ernsthaftes mit Hannah werden würde. Vielleicht würde es wieder nur eine kurze Romanze sein, wie einige Male zuvor geworden und dann hätte Siegmar wieder gelästert. Nichts hätte er peinlicher empfunden, als eine Frau zu präsentieren, die bald darauf wieder verschwunden war. Da sie meistens in Hannahs Wohnung waren, konnten Siegmar und Susanne von Hannahs Existenz kaum etwas mitbekommen haben, allerdings merkte Siegmar beim Fußball einmal an, man sähe sich in letzter Zeit etwas weniger.

      »Oh«, rief Siegmar überrascht, als er Hannah erblickte, »wir stören wohl doch?« Mit einem Grinsen im Gesicht drehte er sich zu Alan um, der ihm gefolgt war. Natürlich stört ihr, dachte Alan, aber das konntet ihr ja nicht wissen. »Nein, wir waren sowieso gerade mit dem Essen fertig.«

      »Das ist Hannah«, machte er Siegmar und Susanne mit seiner neuen Freundin. Auch Hannah wusste bisher nur wenig von Alans Nachbarn, außer dass sie schon ein paar Mal seine Pflanzen gegossen hatten.

      »Endlich mal wieder eine Frau im Haus, was Alan?«, sagte Siegmar in seiner polternden Tonlage und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich dachte schon, das wird nichts mehr.«

      »Siggi«, zischte Susanne.

      »Setzt euch einfach, ich hole ein paar Gläser.« Mit einem entschuldigenden Blick zu Hannah nahm Alan das restliche Geschirr vom Esstisch und brachte es in die Küche.

      »Ich hoffe, es macht dir nicht allzu viel aus, Schatz«, sagte er mit gedämpftem Ton zu Hannah, die ihm gefolgt war. »Das war jetzt nicht so geplant.« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Die überraschen mich öfter einmal. Sie sind aber ganz gut drauf«. Hannah spürte, dass ihm Siegmars unangenehm war. »Mach dir keine Gedanken. Ist schon okay.«

      Siegmar und Susanne waren auf den Balkon gegangen.

      »Ich habe hier übrigens etwas ganz Auserlesenes«, stellte Siegmar fest und entkorkte die mitgebrachte Flasche Rotwein mit der Attitüde eines Kenners. »Ein Chateau Aney. Haute Medoc. Nicht ganz billig. So etwas trinkt man nur mit ganz besonderen Freunden.«

      »Mach nicht immer so eine Show, Siggi«, raunte Susanne und schüttelte genervt den Kopf. Susanne hatte vor einem halben Jahr ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Sie war immer noch eine attraktive Erscheinung. Ihre dunkelblonden, kurzen Haare, die modische Brille mit rotem Gestell und ihre markanten Gesichtszüge verliehen ihr eine avantgardistische Note.

      »Und?«, fragte Siegmar, nachdem sie miteinander angestoßen hatten. »Ist das was?«

      »Ein toller Wein. Hol doch die anderen Flaschen auch gleich«, scherzte Alan und grinste Siegmar an.

      »Die gibt es beim nächsten Mal. Wir kommen jetzt jeden Abend«, gab Siegmar schmunzelnd zurück. »Seit wann kennt ihr beiden euch eigentlich?«

      »Seit drei Wochen«, sagte Alan.

      »Und das haben wir nicht bemerkt, Mäuschen«, sagte Sigmar zu Susanne gewandt.

      »Wo du doch sonst immer alles mitbekommst.« Susanne und musste lachen.

      »Du hättest ja wirklich mal etwas sagen können, Kumpel«, wandte sich Siegmar mit gespielter Entrüstung an Alan.

      »Wir waren meistens bei mir«, schaltete sich Hannah ein.

      »Aber schön, dass wir uns kennengelernt haben.« Susanne nickte Hannah zu. Alle stießen miteinander an.

      »Und ich dachte schon, das wird gar nichts mehr mit dir und den Frauen«, sagte Siegmar süffisant.

      »Das hast du bereits erwähnt, Siggi«, sagte Susanne genervt.

      Dass Siegmar es sich nicht verkneifen konnte, auf diesem Thema herumzureiten, hatte Alan geahnt. Dabei grinste Sigmar übers ganze Gesicht, das von buschigen Augenbrauen und einem schmalen, grauen Oberlippenbart dominiert wurde. Zusammen mit seiner Körpergröße von knapp zwei Metern, dem kantigen, kahlgeschorenen Schädel, war er eine furchteinflößende Erscheinung.

      »Seit wann bist du noch mal mit deiner Ex auseinander?«, fragte Siegmar.

      »Sag mal, Siggi, das ist doch jetzt völlig uninteressant«, mischte sich Susanne ein.

      »Schon lange.« antwortete Alan einsilbig. Er verspürte nicht die geringste Neigung, über Diana zu reden, schon gar nicht im Beisein von Hannah. Um das Thema abzuwürgen, zog er ein Päckchen Zigaretten aus der Hosentasche und hielt sie Siegmar und Susanne entgegen.

      »Du weißt doch, dass ich dein Zeug nicht rauche«, sagte Siegmar und holte seine eigenen hervor. Susanne bediente sich dankend. Siegmar gab Feuer.

      »Du rauchst nicht?«, fragte er Hannah.

      »Nein.«

      »Dann bist du die einzige Vernünftige hier in der Runde.«

      »Susanne und Siegmar kenne ich übrigens seit vier Jahren, Hannah«, sagte Alan und hoffte inständig, dass Siegmar nicht noch einmal auf Diana zurückkommen würde.

      »Fünf«, mahnte Siegmar an, »ich kenne dich fünf Jahre.«

      »Ist das wirklich schon fünf Jahre her?«

      »Ja, vor fünf Jahren bin ich in den Verein eingetreten. Und ihr beide kennt euch übrigens erst drei Jahre.« Er sah Susanne und Alan abwechselnd an.

      »Du hast Recht, Siegmar«, sagte Alan nachdenklich, »vor drei Jahren bin ich hier eingezogen.« An Hannah gewandt fuhr er fort: »Siegmar hat mir übrigens diese Wohnung vermittelt und seitdem sind wir befreundet.«

      Hannah nickte anerkennend.

      Sie redeten noch eine Weile über Belanglosigkeiten, über das Hochdruckgebiet, das gerade über Europa lag und ihnen diesen lauen Sommerabend bescherte, über den Berliner Wohnungsmarkt, als Hannah von ihrer Wohnungssuche berichtet hatte und über Wohnungen überhaupt und irgendwann merkte Susanne an, dass sie am nächsten morgen früh aufstehen müsste, um nach