Ulrich Paul Wenzel

An Tagen Des Ewigen Nebels


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des Schrankes. In das monotone Rauschen der Wellen mischten sich pfeifende Windstöße.

      Vergeblich versuchte Hannah auf ihrer Armbanduhr die Uhrzeit zu erkennen. Sie konnte einfach nicht einschlafen. Nach einem weiteren Gähnen drehte sie sich zu Alan und legte ihm die Hand auf die Schulter.

      »Alan«, flüsterte sie, »schläfst du schon?« Sie tippte ihm auf die Schulter. »Alan.«

      Er wälzte sich zu ihr.

      »Was gib’s, Hannah? Kannst du nicht schlafen?«

      »Nein, Alan. Hörst du mir zu?«

      Alan tastete nach seinem Smartphone auf dem Nachtisch und blinzelte angestrengt auf das Display.

      »Hannah, weißt du wie spät es ist? Kurz nach zwei. Wir waren erst um halb zwölf im Bett.«

      »Ich weiß, Alan, aber ich muss mit dir reden.«

      »Aber doch nicht mitten in der Nacht.«

      »Doch Alan, es ist wichtig.« Ihrer Stimme klang hellwach. Alan schaltete die moderne Lampe auf dem Nachttisch ein. Hannah hatte sich aufrecht hingesetzt, die Knie unter der Bettdecke an den Körper gezogen und die Arme herumgeschlungen.

      »Was ist los Hannah? Was ist so wichtig, um es jetzt zu bereden?«

      »Alan«, Hannah machte eine kurze Pause und strich sich mit einer Hand durch die Haare. »Es klingt jetzt vielleicht unglaublich, als wenn ich schlecht geträumt hätte oder so etwas, aber das habe ich nicht.«

      »Worum geht es, Hannah? Mach es nicht so spannend. Ich würde gerne weiterschlafen.«

      Hannah fixierte seine Augen. »Ich war schon einmal in diesem Haus, Alan.«

      Alan war plötzlich hellwach. Er setzte sich aufrecht neben Hannah und starrte sie an.

      »Was sagst du da, du warst schon mal hier?«

      »Rede bitte nicht so laut, Alan. Ja, ich bin mir ganz sicher, dass ich schon einmal in diesem Haus war.«

      »Wann denn? Hast du hier mal Urlaub gemacht? Ich weiß gar nicht, ob Siegmar und Susanne das Haus vermieten.«

      »Ich war als Kind schon einmal hier gewesen, zusammen mit meinen Eltern!«

      Alan rückte ganz dicht an Hannah heran, legte einen Arm um sie und zog sie behutsam zu sich heran. Er spürte ihr Zittern.

      »Das kann doch nicht sein.«

      »Doch.«

      »Und du bist sicher, dass du keinen bösen Traum hattest?«

      »Nein, absolut sicher. Ich habe noch keinen einzigen Moment die Augen zugemacht.«

      »Du glaubst also schon einmal hier gewesen zu sein, mit deinen Eltern?«

      »Ich glaube es nicht nur, ich bin fest davon überzeugt.«

      »Das muss dann ja schon lange her sein. Noch vor der Wende, als du noch in Ostberlin bei deinen Eltern gelebt hast.« Alan machte eine Pause. »Und du bist dir wirklich sicher?« Sanft strich er ihr mit den Fingern die Wange entlang.

      »Ganz sicher!«

      »Aber wie kommst du darauf? Ich meine, woran erinnerst du dich? Immerhin ist das schon eine Unendlichkeit her.«

      Ohne eine Antwort löste sich Hannah von ihm, schälte sich aus dem Bettlaken und ging zum Fenster. Als sie die Vorhänge zu Seite schob, zeichnete sich ihre grazile Figur vor dem hellen Mondlicht ab. Alan stand auf, trat hinter sie, verschränkte seine Arme vor ihrem Bauch und legte den Kopf auf ihre Schulter.

      »Schau mal aus dem Fenster, Alan«, flüsterte sie. »Als Siegmar uns vorhin das Meer und die Dünen zeigte, kam mir das alles so bekannt vor. So, als wenn ich es schon einmal gesehen hätte.«

      »Wirklich? Jetzt ist mir auch klar, warum du so irritiert und abwesend gewirkt hast.«

      »Ich war total aufgewühlt, das kannst du mir glauben. Das ließ mir alles keine Ruhe. Ich habe den ganzen Abend darüber nachgedacht, warum ich diese Assoziationen habe.

      Erst kurz bevor wir ins Bett gingen, hatte es klick bei mir gemacht. Plötzlich fiel es mir ein.« Hannah drehte den Kopf und versuchte seine Augen zu fixieren. »Und ich habe auch schon einmal in diesem Zimmer geschlafen, Alan. Zusammen mit meinen Eltern. Mein Vater hatte mir damals auch das Meer gezeigt und weißt du, woran ich mich besonders erinnere? Die Pfähle dort, am Rand der rechten Düne. Man kann sie jetzt im Mondschein gut erkennen.« Hannah zitterte. Sie zeigte auf drei verwitterte Holzpfähle.

      »Das ist ja unglaublich«, raunte Alan.

      »Und noch etwas, Alan. Bevor wir vorhin nach oben gingen, du erinnerst dich vielleicht, hatte ich doch kurz einmal das Haus verlassen um ein bisschen frische Luft schnappen nach dem verräucherten Abend.« Sie räusperte sich. »Das war nur die halbe Wahrheit, mit der frischen Luft. Ich wollte in Wirklichkeit sehen, ob der kleine Schuppen und der lange Balken noch da waren, an die ich mich auch erinnert habe. Meine Mutter hatte mit mir dort Schwebebalken gespielt.«

      »Und?«

      »Der Schuppen ist nicht mehr da, aber der Balken!«

      Alan spürte die Hitze ihres Körpers. Er hielt Hannah fest an sich gedrückt.

      »Wann war das, Schatz?«

       Fischland, Bezirk Rostock, DDR, 1984

      »Und ich sage dir, Rolf, wir müssen jetzt sehr wachsam sein. Was sich bei den Polacken zusammenbraut, kann uns eines Tages richtig gefährlich werden«, krächzte Alfred Kirstein mit brüchiger Stimme, griff die nur noch halb gefüllte Flasche Nordhäuser und schenkte nach. »Prost!«

      »Prost, Alfi.« Rolf Adling nickte seinem Kollegen zu, dann kippten beide den Schnaps synchron und mit einem Zug hinunter.

      »Ich sehe das anders, Alfi. Ich denke nicht, dass das wirklich ein Problem für uns wird. Die Genossen vor Ort haben das alles im Griff, glaube mir. Solche Proteste lassen sich einfach nicht verhindern, das weißt du doch genauso wie ich. Die müssen das jetzt genau beobachten und ihre Schlüsse daraus ziehen.«

      »Was wollen diese Arschgeigen eigentlich mit freien Gewerkschaften. Die sollen lieber mehr arbeiten. Das ist doch das Problem dort.«

      »Jetzt sage ich dir mal, wie ich das sehe, Alfi. So ganz Unrecht haben sie nicht. Eine Gewerkschaft ist nicht dazu da, den Urlaub der Werktätigen zu organisieren oder das Kantinenessen zu bezuschussen, wie das bei uns ist. Die haben dafür zu sorgen, dass sich die Arbeitsbedingungen verbessern. Den FDGB kannst du doch vergessen, mal ehrlich.«

      »Was sagst du da, Rolf?«, bellte Kirstein und es klang wie ein kotzender Hund, während er Sprache kaum noch kontrollieren konnte. Unzählige Klare und Biere hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. »Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, müsste ich spätestens jetzt an deinem Klassenstandpunkt erheblich zweifeln. Bist du noch einer von uns?« Kirstein schüttelte den Kopf. »1953 hier und …1956 in Ungarn fing alles doch genauso an und dann war die Kacke am Dampfen.« Er war jetzt kaum noch zu verstehen. »Oder dieser Dubcek 1968, dieser Clown, den hätte man…«

      »Rolf, ich denke du solltest die Kleine ins Bett bringen. Es ist jetzt wirklich Zeit.« Vera hatte sich zu ihrem Mann gestellt und sah sich veranlasst, Kirsteins Gestammel zu beenden. Ihr Blick signalisierte ihm, dass es ihr vordergründig darum ging, Kirsteins dumpfen Politisierten ein Ende zu setzen. Rolf Adling nickte ihr zustimmend und erhob sich.

      »Ich habe noch ein paar Pflichten, Alfi. Ich muss die Kleine ins Bett bringen.«

      Zusammen mit Vera zum Nebentisch, wo seine Tochter Hannah mit Hartmut, dem zwei Jahre älteren Jungen von Gabriele und Heinz, spielte.

      »So mein Schatz, für heute ist Schluss. Papa bringt dich ins Bett«, sagte Vera.

      »Jetzt schon?«

      »Es ist schon spät. Morgen könnt ihr weiterspielen. Sag Hartmut Gute Nacht

      Hannah