Ulrich Paul Wenzel

An Tagen Des Ewigen Nebels


Скачать книгу

die Blicke der beiden Stasi-Männer wie heiße Strahlen auf ihrem Rücken, als sie zur Liege ging. Nachdem sie sich wie befohlen hingelegt hatte, begann die Ärztin ihre Untersuchung, die ausschließlich darin bestand, einen knappen Blick in alle Körperöffnungen zu werfen. Anschließend ging sie zum Schreibtisch zurück und notierte ihren Befund in die Akten.

      »Ziehen Sie ihre Unterwäsche an und die Kleidung, die Sie bekommen haben,« sagte die Ärztin tonlos.

      Vera glitt von der Liege und ging splitternackt, die Arme vor ihren Brüsten verschränkt, zum Stuhl, wo ihre Kleidungsstücke lagen. Unter den verstohlenen Blicken der beiden Uniformierten zog sie sich die Unterwäsche an und schlüpfte anschließend in die übergroße Gefängniskleidung, einen blauen Drillichanzug sowie graue Socken und Filzlatschen.

      »Sie können sie abführen, Genossen«, sagte die Ärztin und die beiden Stasi-Wachmänner führten sie aus dem Raum.

      »Sie beziehen das linke Bett. Von jetzt an sind Sie Nummer Eins, verstanden«, sagte der Aufseher, als Vera die kleine Zelle mit der Nummer 112 betreten hatte. »Lesen Sie sich die ausgehändigte Hausordnung aufmerksam durch. Ich weise sie ausdrücklich darauf hin, dass es streng verboten ist, tagsüber auf dem Bett zu liegen und Kontakt zu anderen Beschuldigten aufzunehmen!« Die Zellentür flog zu und wurde von außen verriegelt. Vera blieb reglos in dem beengten, kaum zehn Quadratmeter großen Raum stehen. Neben den dunkel gebeizten Holzpritschen links und rechts gab es noch einen kleinen Tisch und einen Stuhl, einen Wasserhahn über einem Waschbecken sowie eine Toilettenschüssel ohne Brille und Deckel direkt neben der Tür. Die Fenster hatten werde innen noch außen Gitter, so wie sie sich Gefängnisfenster immer vorgestellt hatte, sondern waren aus Glasbausteinen gemauert. So kam Sonnenlicht in die Zelle ohne das man nach draußen sehen konnte.

      Es war kalt. Vera begann die nach Schweiß riechende Decke, die am Fußende der linken Pritsche lag, mit dem Bettzeug zu beziehen. Nachdem sie auch das Kopfkissen bezogen und das graue Laken über das Holz ausgebreitet hatte, setzte sie sich auf den Stuhl und schloss die Augen. Das kann alles nicht wahr sein, dachte sie, es muss ein böser Traum sein. Sie fühlte sich hilflos und erniedrigt. Was war mit ihrer Tochter geschehen? Tränen schossen ihr in die Augenwinkel. Wenn Hannah jetzt doch nur bei ihren Großeltern in Neubrandenburg wäre, dann würde ihr es sicherlich gut gehen. Wahrscheinlich haben sie sie in einem Kinderheim untergebracht, mit strengen, regimekonformen Erziehern, die ihr die Verwerflichkeit, die Staatsfeindlichkeit ihrer reaktionären Eltern immer wieder vorhalten und die alles daransetzen werden, Hannahs Bindung zu ihr zu zerstören. Sie schmerzte die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation, denn es gab weit und breit niemand, der sich ihrem Schicksal annehmen konnte.

      Vera wischte sich die Tränen aus den Augen. Nein, sagte sie sich, Hannah würde ihnen nicht glauben, niemals. Hannah ist stark und sie wird diese Phase überstehen. Wir werden es gemeinsam überstehen, an all diesen noch so dunklen Orten. Und es wir die Zeit kommen, wo ich sie wieder in die Arme schließen kann.

      Sie hörte ein Klopfen an der rechten Zellenwand. Eine Botschaft? Sie konnte nichts damit anfangen. Trotzdem machte es ihr Mut, war sie doch nicht ganz alleine. Die Gewissheit, dass viele andere Männer und Frauen ihr Schicksal teilten, gab ihr Kraft und sie schwor sich in diesem Moment, niemals aufzugeben. Obwohl ihr die mahnenden Worte des Aufsehers, keinen Kontakt zu anderen Gefangenen aufzunehmen, noch gegenwärtig waren, klopfte sie zurück, verhalten und ohne ein Muster, nur um zu sagen, ich habe verstanden, ich gehöre dazu.

      Nur wenige Minuten später, sie hatte sich an den Holztisch gesetzt und begonnen, die mit schlechtem Farbband getippte Hausordnung durchzulesen, hörte sie die derben Schritte auf dem hallenden Gang, dann Schlüsselgeräusche. Die Tür wurde aufgerissen und ein Aufseher baute sich im Türrahmen auf.

      »Eins, heraustreten!«

      Vera Adling erhob sich zögernd.

      »Machen Sie schon, Eins. Das muss hier ein bisschen zack, zack gehen!«

      Das Vernehmungszimmer roch nach Linoleum und Kleber. An der linken Wand stand ein fast zwei Meter hoher kunststoffbeschichteter Schrank, daneben war ein Waschbecken angebracht. Vera hatte an der Stirnseite eines direkt am Vernehmer-Schreibtisch angrenzenden Tisches Platz genommen.

      »Wissen Sie, was Sie erwartet, Beschuldigte Adling? « fragte der Stasi-Beamte und sah Vera scharf an. »Versuchter illegaler Grenzübertritt ist kein Kavaliersdelikt«. Er hatte sich nicht mit Namen oder Dienstgrad, sondern nur als ihr Vernehmer vorgestellt und ihr erklärt, dass sie sich in einem Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR befände. Seine dunklen, dicht beieinander liegenden Augen in dem kantigen, von Bluthochdruck gezeichneten roten Schädel wirkten verloren. Er hatte seine schwarzen, fettigen Haare scheitellos nach hinten gekämmt. Zwischen den wurstigen Fingern seiner rechten Hand drehte er einen Bleistift hin und her.Vera fiel auf, dass er sie mit Beschuldigte Adling ansprach, nicht mit Eins, wie das Aufsichtspersonal.

      »Zwei Jahre sind das mindeste für solche Vergehen, in besonders schweren Fällen - und Ihrer ist ein solcher Fall - kann es leicht mehr werden. Das nur zu Ihren Aussichten.«

      Vera sah ihm in die Augen, schwieg jedoch.

      »Sie haben ihr Schicksal selbst in der Hand, Beschuldigte Adling. Wenn Sie kooperieren, kommen Sie einigermaßen glimpflich davon, ansonsten haben Sie ein riesiges Problem.«

      »Wie geht es meiner Tochter?«

      Der Stasi-Beamte lachte trocken auf. »Wie sagt man so schön? Den Umständen entsprechend?«

      »Wo befindet sie sich?«

      »Ich sagte schon, ihr geht es gut.«

      »Kann ich ein Glas Wasser bekommen?«

      Der Vernehmer ging zum Waschbecken, füllte ein Glas mit Wasser und stellte es vor Vera auf den Tisch. »Wir sind ja keine Unmenschen, Beschuldigte Adling.«

      »Ihren vollständigen Namen, Geburtsdatum, Familienstand, Beruf, Arbeitgeber, Wohnort der Eltern«, forderte der Vernehmer, nachdem er sich wieder gesetzt hatte.

      »Das steht doch in der Akte. Ich habe einen großen Bogen bei der Einweisung ausgefüllt.«

      »Dann machen wir das eben noch einmal.«

      Tonlos begann Vera, alles noch einmal zu diktieren, während der Vernehmer mitschrieb.

      »Was wussten Sie über die Aktivitäten Ihres Mannes, Beschuldigte Adling?«, bellte er plötzlich los.

      Vera fuhr zusammen und schluckte. »Nur ein paar unwesentliche Details.«

      »Was waren das denn für unwesentliche Details?«

      »Mein Mann hatte mit mir über seine Tätigkeit kaum gesprochen, daher…«

      »Ich hatte nach Details gefragt und nicht danach, worüber Ihr Mann mit Ihnen gesprochen hat.«

      »Mein Mann hat mir am Tage zuvor gesagt, dass er die DDR verlassen würde.«

      »Ein Tag vorher? Das soll ich glauben?«

      »Es ist aber so.«

      »Wir werden das alles schon noch rauskriegen, Beschuldigte Adling. Das ist jetzt nur ein kleines Vorgespräch, wissen Sie. Quasi zum Aufwärmen. Wir haben hier noch ganz andere Möglichkeiten, glauben Sie mir. Und dann geht es rund, sage ich Ihnen.« Der Stasi-Beamte lächelte kalt und machte sich mit seinem Bleistift Notizen.

      »Wer hat Ihnen die gefälschten Ausreisedokumente übergeben?«

      »Das weiß ich nicht.«

      Der Vernehmer stand auf, ging langsam um den Tisch herum und blieb neben Vera stehen. »Das wissen Sie nicht, Beschuldigte Adling? Sie wollen mich wohl verarschen. Es ging doch wohl um Sie und Ihre Tochter.«

      »Das hat alles mein Mann eingefädelt.«

      Der Stasi-Beamte nickte und sah Vera aus seinen Schweinsaugen an. Im Hintergrund hörte sie die Heizung geräuschvoll arbeiten. Die Hitze im Raum wurde immer unerträglicher.

      »Wann hat Ihr Mann mit den Planungen